Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich

Preis des aufrechten Gangs - Prodosh Aich


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werden würden und ich dann im Institut für Soziologie als Forschungsbeauftragter geführt werde. Die Art und Weise, wie mein Beschäftigungsverhältnis mit Weisser beendet wurde, hat bei König und seinen Mitarbeitern Sympathien für mich geweckt. Diese sind: der Privatdozent Peter Heintz, schweizer Nationalität, dessen Buch über „Soziale Vorurteile“ bei der Planung meiner Untersuchung hilfreich war, der seine Vorlesungen auf „lexikondeutsch“ – sehr exakte, aber schwer gängige Bandwurmsätze – hält; der wissenschatliche Assistent im Institut für Mittelstandsforschung, Hans–Jürgen Daheim; die beiden wissenschaftlichen Assistenten Fritz Sack und Franz–Josef Stendenbach, so etwas wie ein Geschäftsführer des Instituts, zwei Sekretärinnen und zwei wissenschaftliche Assistenten im „Seminar für Soziologie“, dessen Leiter wiederum König ist.

      Eine Ausnahme ist da: Erwin K. Scheuch. Nicht daß er etwas Negatives öffentlich kundgetan hätte. Er gibt sich gleichgültig. Er sitzt an seiner Habilitationsarbeit. Er läßt sich auch zu informellen Anlässen nicht sehen. Ich würde seiner Zurückhaltung keine besondere Bedeutung beigemessen haben, wenn meine Frau und Scheuch nicht Studienkollegen gewesen wären. Damals, aber auch zu meiner Zeit, war die Universität zu Köln klein. Die Angehörigen begegneten sich häufig. Auch damals wurde nicht wenig getratscht. Meine Frau war nicht nur wegen ihrer langen blonden Zöpfe auffällig. Sie hatte einen Professor geohrfeigt, weil der sie zum Beischlaf erpressen wollte. Sie war dem amtierenden Dekan glaubwürdiger als der betreffende Professor. Vollzogene Erpressungen waren den Universitätsangehörigen an der Kölner Universität nicht unbekannt. Aber einmalig war der Mißerfolg, eine universitätsöffentliche Ohrfeige, und dies noch in der Endphase ihrer Promotion. Daß just diese Frau in Universitätskreisen wieder auftaucht, ist vielen nicht recht. Sie war damals nach dem unüblichen Ereignis von ihren wissenschaftlichen Kollegen gemieden worden, von Unterstützung ganz zu schweigen. Scheuch hat meine Frau erkannt, auch ohne ihre Zöpfe.

      Auch Scheuch war seinerzeit auffällig, weil er in Veranstaltungen zu spät herein hechelte mit einer stets übervollen Aktentasche, die eher auffiel als seine physische Erscheinung. Er fiel auch in Seminaren auf, weil er auf eine hektisch–ehrgeizige Art redete, eher in einem ihm eigenen Telegrammstil mit unvollständigen Sätzen, nervös augenzuckend, aber mit einer Gestik, die König so ähnelte, daß er den Beinamen „der kleine König“ erhielt. Zu meiner Zeit fühlt sich „der kleine König“ im Vergleich zu seinem Seminarassistentenkollegen Dietrich Rüschemeyer zurückgesetzt. König hat zu Rüschemeier ein entspanntes Verhältnis, zu Scheuch nicht.

      Welche Gedanken Scheuch in der neuen Situation durch seinen Kopf geht, als er sieht, daß wir verheiratet sind oder daß ein farbiger Ausländer sich langsam im Institut etabliert, werde ich nie erfahren. Deshalb werde ich mich nur auf Fakten beschränken. Scheuch hat sich als „Fachmann“ in Sachen empirischer Sozialforschung – wenn auch nur ein theoretischer Fachmann – leicht ausrechnen können, was meine Frau mir über ihn alles erzählt haben könnte. Fakt ist, daß Scheuch und ich nie einen privaten Kontakt gehabt haben.

      Der Vorfall mit der Ohrfeige soll bei den Professoren ein Gesprächsthema an den „Herrentischen“ gewesen sein. Ein Nachbeben davon erlebe ich auch. Gegen Ende des Jahres 1960 bestellt König mich zu einem Gespräch. Für längere Gespräche bestellt er gern Mitarbeiter an Samstagnachmittagen. An dem Tag haben wir auch eine andere Verabredung in Köln, daher ist meine Frau mit gefahren. Wir warten schon vor dem Institutsgebäude, als König ankommt. Ich stelle ihm natürlich meine Frau vor. Er ist verwirrt. Nach anmerkbarem Zögern fragt er meine Frau, ob sie in Köln studiert hätte und mit ihrem Mädchenname Knüwe hieße. Sie bejaht.

      Wortlos schließt er die Haustür auf und geht die Treppen hoch zum zweiten Stock. Schweigend. Wir folgen ihm. Im Arbeitszimmer angelangt geht er zu seinem Sessel, setzt sich aber nicht, bittet uns mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. Immer noch stehend greift er zum Telefon. Er telefoniert mit seiner Frau fast eine halbe Stunde lang, über nichts oder Belanglosigkeiten. Dabei kommt er gerade von zu Haus. Ratlosigkeit und Verlegenheit stellen sich bei uns ein. Nach dem Telefongespräch stellt er keine Fragen, macht keine Anmerkungen. Nichts. Als König uns dann verabschiedet, weiß ich nicht, warum König mich bestellt hatte. Das Image von König, immer souverän und locker zu sein, bekommt einen ersten Kratzer. König kennt also den Vorfall. Auch er hatte seinerzeit nichts unternommen. Etwas Ähnliches ist bei Gerhard Weisser nicht geschehen. Seiner Verhaltensweise hat mir nicht den leisesten Hinweis gegeben, ob auch Weisser von dieser Ohrfeige gewußt hat oder ob er meine Frau mit diesem Vorfall in Verbindung gebracht hatte.

      Die berechneten Daten unserer Untersuchung sind vom Rechenzentrum der Universität zurück. Aufregende Zeit. Die Rechenblätter enthalten nur Zahlenkolonnen, –Reihen und Symbole. Keine Texte. Die Zahlen übertragen wir auf vorbereitete Tabellenblätter und beschriften sie. Dann geht das Nachdenken und das Schreiben los. Zu meinem Glück und sicherlich zum Unglück meiner Frau kann sie auf Deutsch und Englisch stenographieren, beherrscht auch das Zehnfingersystem für das Maschinenschreiben. Sie hatte die Handelsschule besucht, bevor sie Abitur machte. Großzügig bietet sie mir ihre Hilfe an. Aus diesem Hilfsangebot ist leider für spätere Arbeiten eine Selbstverständlichkeit geworden. Alles schriftliche von mir bis 1987 hat sie mindestens dreimal geschrieben. Das erste Mal in Kurzschrift. Wenn ich mir die Anzahl der angesammelten Aktenordner ansehe, wird mir nicht nur schlecht. Wir fragen uns auch, wie wir das alles wirklich geschafft haben?

      Ab April 1960 ist der Tagesablauf durch die Auswertung der Untersuchung geprägt: aufstehen, gedankliches Sammeln, Frühstück, die Tabellenblätter sortieren, entlang einer Reihe von Tabellenblättern konzipieren, diktieren bis der Kopf leer ist. Meine Frau tippt. Ich erledige alles übrige. Dann meist in die Spätvorstellung mit Fräulein Lehner. Sie läßt uns bis abends in Ruhe, hilft uns, wo sie nur kann, und leidet mit uns den Streß durch.

      Monat für Monat gehöre ich dem Institut ein Stückchen mehr. Ich bin jener Forschungsbeauftragte, der keinen Arbeitsplatz im Institut hat und auch kein Gehalt vom Institut bekommt. Jeder hofft, daß der Antrag beim Auswärtigen Amt durchkommt. Eine Planstelle als wissenschaftlicher Assistent ist solange nicht in Sicht, bis Scheuch nach seiner Habilitation eine andere Stelle bekommt. Nicht daß König mir eine explizite Hoffnung gemacht hätte. Nein. Dennoch wissen alle Mitarbeiter von König, daß die nächste Assistentenstelle für den neu entstehenden Schwerpunkt „Soziologie der unterentwickelten Gebiete“ eingerichtet und durch mich besetzt werden würde.

      Ich halte immer mehr Vorträge. Die Zahl der Aufsätze wächst auch. Die „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“ berichtet auch über wissenschaftlichen Tagungen. Josef Gugler, jener freundliche Doktorand von König, der mich König vorstellte, und ich tauchen häufig zusammen im Institut auf. Irgendwann beginnt König, uns Max und Moritz zu nennen. Im Juni 1960 fragt er uns, ob wir an einem internationalen Seminar über „Leadership in the Nonwestern World“ in Wageningen (Niederlande) teilnehmen und darüber einen Bericht schreiben wollen. Wir wollten. Die Reisekosten würden übernommen, ebenso die Spesen vom 28.Juni bis 1. Juli, ein kleines Honorar winkt uns auch noch. Und lernen könnten wir auch von den Soziologiepäpsten auf diesem Gebiet der „Unterentwicklung“: W. F. Wertheim (Amsterdam), G. Balandier (Paris) M. Freedman (London).

      Josef Gugler und ich haben eine etwas unterschiedliche Einschätzung über das Ergebnis und über den Nutzen des Seminars. Er ist nicht erbaut. Ich bin enttäuscht. Wir haben nichts Neues gelernt. Außer vielleicht, daß auch die Päpste nur mit Wasser kochen. Das können wir natürlich nicht schreiben. Und wie schreibt man einen Bericht zu zweit? Ich soll einen Entwurf machen. Josef Gugler ist erschrocken, als er meinen Entwurf liest. Alle drei Referenten sind Freunde von König. Lange Diskussion zwischen uns. Was stimmt im Entwurf nicht, frage ich ihn. Die Schärfe der Kritik wird etwas geglättet. Dann Audienz bei König. Josef Gugler berichtet, wie der gemeinsame Bericht zustande gekommen ist. König liest den Bericht sofort durch. Er ist einverstanden. Der Bericht erscheint unverändert in der „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“ (12.Jahrgang, 1960, Heft 3). Gugler ist überrascht.

      Im Spätsommer 1960 kann ich überblicken, daß die Auswertung der Untersuchung und der Bericht für die Unesco, Paris, spätestens bis zum nächsten Frühjahr fertig sein könnte. Muß ich den Bericht zeitlich mit meinen Studien– und Prüfungsinteressen koordinieren? Wie soll es


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