Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich

Preis des aufrechten Gangs - Prodosh Aich


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Problematik des ‚Auslandsstudenten‘ deutlich sichtbar werden läßt. Damit ist ein sehr ernsthaftes Thema angeschnitten, zu dessen Behandlung der Verfasser weit mehr gibt als nur eine Vorbereitung.“

      In wenigen Wochen ist die erste Auflage verkauft. Sie ist ein Medienereignis. Vom „Kölner Stadt–Anzeiger“ bis zum „Spiegel“. Vom Fernsehen zu Illustrierten. Auch im europäischen Ausland. Berichte, Interviews, Veranstaltungen. Edward A. Shils, einer der Soziologiepäpste, Wanderer zwischen den Universitäten in Cambridge und Chicago, fragt mich über den Verlag Kiepenheuer & Witsch an, ob ich bereit wäre einen Aufsatz von 10000 Worten für die Zeitschrift „Minerva“ zum gleichen Thema wie im Buch zu schreiben. Honorarangebot: 200,- US-$.

      Sauer ist nicht nur das Auswärtige Amt. Viele „farbige“ Studierende sind erbost. Vor allem bei dem Befund, daß sie eigentlich ihr Land nicht repräsentierten, weil ihr sozialer Hintergrund sie als eine überprivilegierte kleine Minderheit ausweist. Die Emotionen reichen von Beschimpfungen bis zu anonymen Morddrohungen. Auch König wird nicht von Morddrohungen verschont. Die philosophische Fakultät organisiert eine öffentliche Veranstaltung. Es geht hoch her, leider nicht immer einer Veranstaltung der Universität würdig. Mit Medienpräsenz und Polizeischutz. Der Historiker Theodor Schieder wird Jahre später bei seinem Abschied in den Ruhestand vom „Kölner Stadtanzeiger“ gefragt, was seine erfreulichste und schlimmste Erfahrung an der Kölner Universität gewesen sei. Seine schlimmste Erinnerung soll diese fast gewalttätige und emotionalisierte Veranstaltung unter Polizeischutz gewesen sein.

      Dem Medienrummel folgen Einladungen zu Vorträgen, Rundfunksendungen, Rundfunk– und Fernsehdiskussionen und Aufsätze. König und ich treten meist gemeinsam auf: der Lehrer und sein – wie König es zu formulieren pflegt – „hochentwickelter unterentwickelter Schüler“. So werde ich auf eine joviale Weise auch von König vermarktet. Er rechnet fest damit, daß der Antrag beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) bewilligt wird. Wie sehr er damit rechnet, belegt ein kurzes Schreiben, das er mir am 4. Januar 1963 geschrieben hat:

      „Mein lieber Herr Aich, anbei die Adresse von Mrs. Sabine Braun in Bombay, die früher als Fräulein Sabine Nipperdey bei uns studiert hat. Falls Sie Ihr Projekt in Indien verwirklichen können, wäre Frau Braun sehr daran interessiert, an Ihrem Projekt teilzunehmen. Sie hat bei uns eine vorzügliche Diplomarbeit geschrieben, so daß Sie in ihr eine wirkliche Hilfe hätten. Mit allen guten Wünschen und herzlichen Grüßen bin ich stets Ihr René König.“

      Nipperdey ist der bekannte Arbeitsgerichtspräsident und Arbeitsrechtler an der Universität Köln. Nicht nur König und ich sind „ins Geschäft“ gekommen, sondern auch einige andere bestallte Soziologen. Aber für mich sind die Honorare für die folgenden Monate das einzige Einkommen. Interviews im Fernsehen und der „lnternationale Frühschoppen“ machen mein Gesicht bekannt. So werde ich in einer Gaststätte der Heidelberger Innenstadt von dem damals jüngsten Soziologieprofessor aller Zeiten, Ralf Dahrendorf, beglückwünscht, durchaus neidvoll. „Farbige unter Weißen“ widersprach seiner bekundeten Überzeugung, als er noch wissenschaftlicher Assistent in Saarbrücken war: die Karrieren der Wissenschaftler werden mit dem Zentimetermaßstab bestimmt.“ Wenige Wochen vorher, anläßlich seines Vortrags auf Einladung Königs in Köln, schenkte er mir kaum Beachtung, als König mich ihm vorstellte. Natürlich mit seinem „jovialen“, latent rassistischen Spruch: unser „hochentwickelter Unterentwickelter“.

      Horst Krüger, Schriftsteller, leitet auch die Abteilung „Kulturelles Wort“ beim Südwestfunk in Baden–Baden, nimmt eine „Nachtprogrammdiskus-sion“ über das Buch „Farbige unter Weißen“ auf. Teilnehmer sind auch K. W. Bötticher, René König und Helga Pross. Thema: Fördern wir unsere farbigen Studenten richtig? Horst Krüger will vor der Aufnahme, nicht nur scherzhaft, von mir wissen, wie man sich fühlt, wenn man gerade „einen Bestseller gelandet“ hat!

      Winfried Böll, mit dem ich viele gemeinsame Veranstaltungen auch vor diesem Buch bestritten hatte, merkt an, ich hätte einen gefährlichen Grad an Bekanntheit erreicht. All dies hätte mich nachdenklich machen müssen. Aber keine Spur davon. Meiner finanziellen Unsicherheit zum Trotz. Dieser Rauschzustand hält an. Die Ernüchterung stellt sich nicht einmal zur Halbzeit meiner „Gastprofessur in meinem eigenen Land“ ein, als die Untersuchung der „lndischen Universität“ beginnt, Gestalt anzunehmen.

      Die Kehrseite dieser Erfolgsmedaille, dieses Rausches, ist aufschlußreicher. Wäre der Forschungsantrag zum Rückanpassungsprozeß „Künftige Elite oder wurzellose Intellektuelle?“ glatt durchgekommen, wie Winfried Böll mir noch vor „Farbige unter Weißen“ als Vertreter des Ministeriums zugesichert hatte, würde es weder einen Aufenthalt in Jaipur noch eine Untersuchung „Die Indische Universität“ gegeben haben. Ich würde gewissenhaft den Rückanpassungsprozeß beschrieben, eine Habilitationsarbeit über das Studium der „Farbigen unter Weißen“ und deren Folgen für die „beiden Welten“ geschrieben haben. Aber ich würde bestimmt nicht auf die Idee gekommen sein, mir die Frage zu stellen, wer die Ergebnisse meiner Untersuchungen mit Gewinn hätte verwerten können und wer die Verlierer gewesen sind. Ich wäre einem blond-blauäugig-weiß-christlichen Wissenschaftler gleich geworden, trotz meines nicht zu übersehenden fremdländischen Aussehens, und würde mich immer noch am Bauch gepinselt fühlen, wenn König und seinesgleichen mich als „hochentwickelten Unterentwickelten“ präsentieren würden.

      Ich habe die Wirklichkeit hinter dem Medienrummel nicht wahrnehmen können. Dieser hat der Regierung der Bundesrepublik nicht gepaßt. Sie hätte jede Studie finanziert, die sicherzustellen versucht hätte, daß ausgewählte Personen aus den „Entwicklungsländern“ auf kostspieligen Studienplätzen nach ihrer Rückkehr in die Heimatländer Karriere machten und dennoch im Herzen blond-blauäugig-weiß-christliche Botschafter blieben. Den diplomatischen Wink mit diskretem Charme des Auswärtigen Amtes, ob mit einer Veröffentlichung des Unesco–Berichts nicht abgewartet werden sollte, habe ich nicht verstanden, trotz meiner Erfahrungen mit der Friedrich–Ebert–Stiftung oder mit der Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer. Die BMZ war damals und ist heute noch lediglich eine Unterabteilung des Auswärtigen Amtes. Dort zählten nicht die thematische Sympathie eines sachkundigen Winfried Böll und auch nicht der Nutzen von Forschungsergebnissen für die praktische Arbeit einer Carl-Duisberg-Gesellschaft, sondern übergeordnete, öffentlich nicht zu Markte getragene Interessen.

      Das „Abfeiern“ von „Farbige unter Weißen“ durch die Medien lockert nur zeitweilig unsere finanzielle Anspannung. Hans–Joachim Friedrich und Olrik Breckoff, damals Redaktionsmitglieder von „Report WDR“ unter Franz Wördemann („Monitor WDR“ gab es ncoh nicht), gehen mehrere Wochen schwanger damit, über „Farbige unter Weißen“ einen ausführlichen Bericht zu machen. Sie begleiten mich zu Veranstaltungen, aber zum Schluß finden sie die Zusammenhänge für einen Magazinbericht doch zu verwickelt. Dennoch bedenken sie mich mit einem großzügigen „Informationshonorar“. König muß mich noch am 22. März 1963 als Berater beim Kultusministerium von Nordrhein–Westfalen (NRW) andienen:

      „... da Herr Dr. Aich über eine ungewöhnlich große Erfahrung verfügt, hat er doch nicht nur die erste, Ihnen bekannte Untersuchung über ‚Farbige unter Weißen' gemacht, sondern bereits eine zweite, die sich momentan noch im Auswertungsstadium befindet. Wir planen ferner noch eine dritte Studie, welche eine der Hauptthesen bestätigen soll, wonach die Heimkehrer in ihren Heimatländern große Anpassungsschwierigkeiten durchzumachen haben. Bevor die erwähnte Untersuchung anläuft, stehen Herrn Dr. Aich noch einige Monate zur Verfügung, während derer er Ihnen sehr gern zur Verfügung steht.

       Ich kann Herrn Dr. Aich restlos empfehlen. Er ist ein außerordentlich liebenswürdiger und sympathischer junger Mann, in jeder Hinsicht sehr zuverlässig, der sich bei allen meinen Mitarbeitern sehr beliebt gemacht hat.“

      So werde ich für drei Monate Berater. Am 6. Juni 1963 stellt König den folgenden Antrag, damit wir nicht am Hungertuch nagen müssen:

      „hiermit möchte ich den Antrag stellen, daß die Unterstützung von Herrn Dr. Prodosh Aich aus den Mitteln des Kultusministeriums zur Förderung des Nachwuchses noch für die Monate Juli und August verlängert


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