Die perfekte Insel. Thomas Frick
Ein bisschen ratlos latschten wir herum und machten uns gegenseitig Mut. Klar, zur Not könnte man hier irgendetwas drehen, was wie eine einsame Tropeninsel aussehe, aber ohne Palme war das Ganze doch nur ein Haufen Sand und der Busch war viel zu klein für die Verfolgungen und anderen Handlungselemente.Ich knipste mit der Sony im Fotomodus ein paar Gipfelfotos und sah dabei vor greller Helligkeit nicht einmal, ob ich gerade im Tele- oder Weitwinkelbereich war.
Indessen hatte unsere Besatzung das Beiboot zu Wasser gelassen und zwei Jungs von der Crew stakten uns langsam entgegen. Mangels Ruder stießen sie sich mit einer weißen Stange ab. Als Stefan einstieg, war das halbe Ding schon voller Wasser. Ich jauchzte vor Entzücken, das schrottige Teil, das bei der kleinsten Bewegung abzusaufen drohte, war perfekt für den Film. Dieses Minischiffchen war so armselig, dass damit die Charakterisierung des Postmanns ganz von alleine funktionierte.
Wieder im Dhoni stürzten wir uns auf unsere Wasserflaschen. Ich sagte Stefan, dass sein Rücken schon ein bisschen rot sei. Und weiter ging es – die nächsten vierzig Minuten mit Volldampf zur Insel Huruelhi, die schon ganz klein am Horizont zu sehen war.
Wir ankerten, sprangen ins Wasser und schwammen an Land.Am Strand standen ein paar einsame weiße Sonnenschirme herum, aber zum Glück waren es transportable, die wir natürlich zum Drehen entfernen würden.
Von Nahem war die Insel noch schöner: ein perfekter weißer Strand, mehrere Palmengruppen und das Ganze nicht zu groß und nicht zu klein. Eine sandige Lücke in den Büschen führte zu einer Lichtung unter einer Gruppe von Palmen, unter denen ein Büfett aufgebaut war und ein paar Leute auf Romantik machten. Eine Art Bodyguard kam eilig auf uns zu und teilte uns unmissverständlich mit, diese Insel gehöre dem Hilton-Hotel und dass wir die Insel sofort verlassen müssten, wenn wir nicht zufällig Gäste seien.Wir hatten laut unserer Rezeption eine Erlaubnis, aber der gute Mann wusste natürlich nichts davon. Bevor ich anfangen konnte, zu diskutieren und auf unsere leider nur mündliche Genehmigung vom Holiday-Island-Management zu pochen, kam Stefan mir mit einem charmanten Lächeln zuvor. Er mimte vollstes Verständnis. Ober er sich als Ehrenmitglied des Hilton-Clubs – oder so ähnlich – mal am Strand umsehen dürfte? Vermutlich allein die Tatsache, dass er solche Wörter überhaupt kannte, ließ den Bodyguard strammstehen und er erlaubte uns einen ganz, ganz kurzen Blick aufs Paradies.Wir gönnten uns einen halbstündigen Spaziergang rund um die Insel und danach schnorchelten wir noch ausgiebig in den heiligen Gewässern.
Das Hausriff war ansehnlich, es gab keine großen oder seltenen Fische, aber immerhin eine Menge intakter Tischkorallen mit schönen Fischschwärmen, über die ich im Blindflug und ein wenig zu hektisch – mit der Kamera auf Dauerbetrieb – dahinplanschte, nie ganz sicher, ob sie tatsächlich an war.
Wegen der vorangegangenen Stürme und Regengüsse war das Wasser relativ trübe und es herrschte eine starke Strömung. Trotzdem tat es wieder einmal gut, nach Jahren über einem Korallengarten zu schweben. Es war wirklich schon verdammt lang her.
Auf der folgenden etwa 25 Kilometer langen Fahrt quer durch das Süd-Ari-Atoll zu einem Inselchen namens Dhehassanu Lonu Bui Huraa hatten wir dann ausgiebig Zeit, zu relaxen. Ich stürzte mich, inzwischen hungrig, auf die Lunchbox. Darin waren Melonen, bei denen mir schon vom Geruch schlecht wurde, kalte pappige Pommes frites mit Ketchup, der sich weigerte, die schützende Flasche zu verlassen, und etwas, was zunächst wie Hühnersandwich aussah und nach allem Möglichen roch.Ich aß es gierig und hatte das zweite Ding schon halb herunter, als ich merkte, dass es wohl doch Thunfisch enthielt. Dazu sei erwähnt, dass mich seit frühester Kindheit wenn nicht eine Fischallergie, doch zumindest eine ausgeprägte Aversion gegen alle Arten von Seafood plagt und ich jedes Mal die Farbe wechsle, wenn ich geräuchertem Aal, Seelachs, Shrimps, Seetang, ja, selbst Delfin in Dosen auch nur zu nahe komme.
Stefans Rücken war inzwischen krebsrot. Ich sagte es ihm und piekte ihn zur Untermalung noch einmal mit dem Finger an, aber es schien ihn, den sonnenerprobten Wüstensohn und Dubaianer, einfach nicht zu interessieren. Ich prophezeite ihm also eine unschöne Nacht.
Unermüdlich pflügte das Dhoni durch die Wellen. Die Besatzung traute sich nicht an die Lunchbox, vermutlich nicht, weil es ihnen nicht schmeckte, sondern weil sie einfach nicht durften. Wenigstens konnte Stefan ihnen ein paar von den Melonenstückchen verabreichen. Es war ein seltsames Bild: die drei braungebrannten einheimischen Skipper, dicht um das Steuerrad gedrängt, und in der vorderen Hälfte des Schiffes die beiden Weißen bzw. Roten, die eine irrsinnige Summe Geldes dafür ausgaben, sich menschenleere Inseln anzusehen, beim Anblick eines verranzten Miniruderbootes fast auf die Knie sanken und die tolle Kiste mit den Leckereien verschmähten.
Und dann kamen wir nach einer Stunde Fahrt zu der Insel mit dem langen Huraah-Namen und wollten gar nicht erst aussteigen, obwohl es sogar einen schicken langen Steg gab und Wellenbrecher sowie riesengroße Sonnenschirme, also richtig gemütlich, erschlossen, zivilisiert.
Stefan lief pro forma doch mal schnell die paar Meter zur Inselmitte und kehrte gleich kopfschüttelnd wieder um. Man hatte uns eine leere Insel nur mit ein paar Palmen versprochen, das Satellitenbild hatte es auch so gezeigt, aber die Zivilisation hatte bereits zugeschlagen. Das hier war ein totaler Reinfall.
Stefan reichte zwanzig herüber und wartete auf das Wechselgeld. Nein, selbstverständlich waren schon immer zehn Dollar pro Nase gemeint! Und da bewunderte ich mal wieder, wie wenig der sonst so Sparsame am Gelde hing und sich die Laune nicht verderben ließ. Er respektierte vermutlich die Geschäftstüchtigkeit der Insulaner.
Zurück im Bungalow sahen wir uns die Aufnahmen an, die – abgesehen vom Gewackel beim Ein- und Ausschalten – überraschend gut aussahen. Wir diskutierten verschiedene Möglichkeiten, die Kamera mit dem Unterwassergehäuse vernünftig einzusetzen, sodass man auch etwas sah und Kontrolle über sie hatte. Vielleicht half ein Tuch über dem Kopf? Ich erinnerte mich, dass unser Kameramann Guntram in der Wüste in Tunesien mit einem Tuch gearbeitet hatte. Ob das unter Wasser funktionierte, wollten wir beim nächsten Mal probieren.
Stefan hatte einen üblen Sonnenbrand, während ich nach wie vor käseweiß war, aber mit einem seltsamen expressionistischen roten Ausschlag auf dem Rücken, der unheimlicherweise die Form von Flügeln hatte. Zunächst befürchtete ich eine Allergie, doch im Spiegel gesehen kapierte ich: Dort, wo meine eigenen Hände mit dem Sonnenöl nicht hinkamen, war ich ebenso verbrannt wie Stefan. Da fehlten die liebevollen Hände meiner Lieblingsreisebegleiterin. Pech gehabt!Stefan fiel bald in Tiefschlaf – phänomenal, wie viel der schlafen kann – und ich schlich mich davon und drehte noch für ein Stündchen eine Runde um die Insel, betrachtete den Sonnenuntergang, grübelte über dieses und jenes, bis es dunkel war.
Beim Abendbrot entdeckte ich dann endlich neben dem Salatdressing eine große Schale mit gehacktem Knoblauch in Öl und machte das Zeug auf sämtliches Essen – außer natürlich auf die Kuchen, Puddings und Pasteten, die es in unerschöpflicher Vielfalt und jeden Tag wechselnd als Nachtisch gab.
Später saß ich noch stundenlang mit einem frisch gepressten Orangensaft und dem kleinen Jornada-Computer vor dem Restaurant am Ufer und schrieb die Ereignisse des ersten Tages auf. Hinter mir verwurstete eine Coverband alles, was einem lieb war, von Bob Marley bis zu den Doors und Pink Floyd. Es war entsetzlich, aber irgendwie passte es auch