Tod auf Mallorca. Dirk K. Zimmermann

Tod auf Mallorca - Dirk K. Zimmermann


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Funkgeräte in die Ladestationen.

      Ich blieb in einiger Entfernung vom Pförtnerhäuschen stehen, holte meinen Skizzenzettel hervor und studierte die Zeichnung auf meinen derzeitigen Standpunkt hin. Definitiv hatte die Rothaarige mit ihren Pfeilen signalisiert, dass ich einen anderen Weg hinein nehmen sollte, als den offiziellen, der beinhaltete, hier beim Pförtner um Einlass zu bitten. Also ging ich weiter und folgte den Skizzenpfeilen bis ich an einer abseits gelegenen Ecke, nahe eines Abhangs, nahezu verdeckt von Büschen, ein klaffendes Loch im Zaun entdeckte. Das Loch war gerade groß genug, um eine Person hindurchzulassen. Ich schaute nochmals auf meine Skizze, aber es gab keinen Zweifel: Dieser Ort musste gemeint sein. Also zwängte ich mich hindurch, es bereitete mir einige Mühe, aber schließlich gelang es, ohne dass ich mir die wadenlange Cargohose zerfetzte. Auf der anderen Seite des Zauns angekommen, ging ich hinein in diese tote Stadt. Der Wind pfiff und mich beschlich ein mulmiges Gefühl. Aber ich tastete zu meiner seitlich aufgenähten Hosentasche, in der, in weißes Pergamentpapier gewickelt, eine frische Chorizo steckte. Ein Tipp, eine kleine, mitgegebene Lebensversicherung von Peggy, falls die Wachleute mit Hunden unterwegs waren oder das Gelände von freilaufenden, knurrenden und zähnefletschenden Bestien bewacht war.

      Ich marschierte durch die verstaubten kleinen Gassen, schaute in die gähnend leeren Eingänge hinein. Niemand war weit und breit zu sehen. Drei Kreuzungen überquerte ich, nahm dann, wie eingezeichnet, die vierte Abbiegung nach links und stand nach einigen zurückgelegten Metern vor einem kleinen Appartement, das den Eindruck machte, fast fertiggebaut worden zu sein.

      Ich ging auf die Haustür zu und umso näher ich an das Gebäude, an diese Wohnbaracke heranging, je mehr wusste ich, dass ich am Ziel angekommen war. Jemand hatte provisorisch einen dünnen Draht zu einer Acht gebogen und diese an einen aus der Wand herausstehenden rostigen Pfeiler gehängt. Die Acht schaukelte im Wind und erwirkte – so wie sie dort baumelte –, ein Gefühl von Unendlichkeit.

      Ich empfand es als absurd vor dem Eingang zu warten, an die verwitterte Tür zu klopfen (immerhin hatte man hier eine Tür eingehängt) und zu fragen, ob jemand zu Hause sei. Ich tastete mich vor, schob die Tür einen Spalt weit auf, sie knarzte in den Angeln. Ich trat ein und erst als ich die Tür behutsam wieder angelehnt hatte, erhob ich vorsichtig meine Stimme.

      „Hallo? Ist jemand zu Hause?“

      Meine Augen gewöhnten sich ziemlich schnell an die Dunkelheit im Raum. Ich ließ meinen Blick schweifen und durchschritt den Flur zu einem Wohnraum hin. Vorbei an Mülltüten, Apfelsinenkisten, leeren Weinflaschen und Büchsen Hundefutter, Milchtüten, Zeitungspapier mit verwelkten Salatblättern. Im Wohnraum selbst: Ein paar Kerzen, zwei Matratzen, in verschiedenen Ecken gelagert. Wolldecken, Kopfkissen, vier oder fünf ramponierte Romane. Plastikflaschen mit Mineralwasser. Am Fenster fand ich so etwas wie eine Ecke für die Morgentoilette vor. Eine Plastikschüssel, Zahnbürste, Zahncreme, eine Haarbürste, ein Fläschchen Nagellack, ein Lippenstift lagen da auf dem Mauervorsprung. Am Boden, in einem gelblich durchsichtigen Plastiksack die Wechselwäsche und Handtücher. – Ich war mir sicher, hier hauste die Rothaarige, als mein Blick auf die Haarbürste fiel. Ich rief nach ihr. „Hallo?“

      Ich lauschte, ob sich nicht jemand irgendwo in der Baracke versteckte. Nichts. Sie war nicht da. Ich würde wiederkommen müssen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Eilig verließ ich das Gebäude und nahm denselben Weg zurück, wie ich hergefunden hatte. Aber ich kam nur bis zur Biegung. – Dort stand ein schneeweißer Bullterrier. Ein junges, kräftiges Tier. Mit einem Nietenhalsband. Ohne Maulkorb. Er schnüffelte etwa fünfzehn Meter entfernt von mir herum, hob den Kopf, reckte die Nase in den Wind, entdeckte mich, sah mich neugierig an und hatte noch nicht entschieden, so glaubte ich an seiner Haltung ablesen zu können, mich zu zerfleischen oder mich als Gast in seinem Revier zu begrüßen. Letzteres war mir deutlich lieber.

      Ich griff in meine Hosentasche und versuchte die Chorizo ganz langsam herauszuziehen. Gleichzeitig redete ich beschwörend auf ihn ein.

      „Hallo, mein Bester. Ja, sei schön brav, jetzt gibt’s was Leckeres für dich. Was ganz Leckeres.“

      Der Bullterrier hatte den Braten schon gerochen, ehe ich ihn aufgetischt hatte. Er kam, freudig mit seinem kaum vorhandenen Schwanz wedelnd, näher. Ich hatte Mühe, die Chorizo schnell genug aus dem Papier zu wickeln und ihm die Wurst hinzuwerfen, aber es gelang, ehe er mich erreichte. Er roch kurz an ihr und begann sie dann mit seinen kräftigen Kiefern zu zermalmen. Es knackte laut, dann hatte der Terrier mit einem einzigen Biss die Wurst in zwei Teile durchtrennt. Jetzt galt es für mich. „Adieu, Hundchen“, sagte ich und ging zuerst langsam, dann immer schneller von ihm fort. Der Hund folgte nicht, bemerkte ich durch einen Blick zurück; er war fasziniert von dieser Wurst.

      Um die nächste Hausecke gebogen, begann ich zu laufen, ich sprintete.

      Auf der langen rettenden Geraden zum Loch im Zaun – genau auf der Kreuzung zur letzten Quergasse –, fand meine Flucht ihr jähes Ende. Dort stand sie. Nicht die Rothaarige, sondern eine kleine, stämmige Frau, gekleidet in die hellblaue Uniform des Sicherheitsdienstes. Sie trug ein Pistolenhalfter um ihre breiten Hüften, in den Händen hielt sie einen Kunststoffstab an dessen Ende ein abgewetzter Tennisball steckte.

      „Tijuana“, rief sie, „Tijuana, dónde estás? Ven!“

      Aber anstatt ihres Diensthundes, sah sie mich vor sich. Wie ich aus vollem Lauf abbremste, dass der Staub nur so aufwirbelte. Sie sah, wie ich stehen blieb. Sie griff zum Halfter und zog ihre Pistole heraus. Ihre Hand zitterte leicht, während ich wie angewurzelt vor ihr stand und sie sich langsam, die Waffe vorhaltend, auf mich zu bewegte.

      „Quien eres?“, schrie sie mich an. „Qué quieres? Vete!“

      Ich verstand nicht. Und sie sah es.

      „No trespassing. Go out!“, versuchte sie es erneut. „Betreten verboten. Gehen Sie!“

      Ich hob abwehrend die Hände. Und nickte zum Zeichen, dass ich ihre Anweisung befolgen wollte.

      Sie deutete mir mit ihrer Pistole den Weg hinaus. Ich setzte mich in Bewegung, es war beinahe vorbei und ich würde glimpflich davonkommen, doch ihr Bullterrier Tijuana machte mir einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Den Rest meiner Chorizo zwischen den Zähnen, kam er zwischen den Baracken hervor und lief zu mir hin, sprang fordernd an mir hoch. Die Frau schaute von mir zu Tijuana, zu seinem Maul und wieder zurück zu mir.

      „Stopp!“, sagte sie kehlig. Ich blieb stehen, was mir mit dem um Wurst bettelnden Tijuana am Bein ziemlich leicht viel.

      „Deutsch?“

      „Ja“, sagte ich.

      „Warum bist du hier?“

      „Ich wollte eigentlich zur Bucht, suchte nach einer Abkürzung, und da bin ich hier gelandet.“

      „Eine Abkürzung“, sagte die Frau gedehnt und entsicherte ihre Waffe.

      „Und du hast dann Wurst mitgebracht, die du meinem Hund gibst.“

      „Ja“, stotterte ich, „meine Wegzehrung. Ich liebe Chorizo.“

      „Du bist gekommen, um herumzuspionieren. Was wolltest du hier?“

      Ich schwieg und suchte nach einer Antwort, während mir Tijuana inzwischen die Hand leckte.

      „Tijuana“, brüllte die Frau, „ven!“

      Tijuana bellte beleidigt, dann trottete er zu seinem Frauchen zurück und schaute sie an, als wäre ihm gerade eine Laus über die Leber gelaufen. Er legte sich neben ihrem rechten Bein nieder und blickte sie erwartungsvoll an.

      „Ich ...“, begann ich.

      „Du wolltest zu Atma!“

      Die Frau blinzelte mich an. Ich nickte.

      „Du wolltest zu Atma ...“, wiederholte sie. „Was wolltest du von ihr?“

      Ich war überrascht. Die Frau kannte die Rothaarige (die wohl Atma hieß, was das kleine Rätsel löste) und wusste von ihr. Ich räusperte mich.

      „Ja. Ich wollte zu Atma. Sie hat


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