Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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mich echt fertig. Noch nie hat jemand so etwas zu mir gesagt. Nicht mal Ellen! Und die traut sich schon viel zu viel.“

      Oweh! Also traue ich mich auch zu viel?

      Ich versuche von dem Thema abzulenken. Doch ich brauche einige Momente, um ein anderes zu finden.

      „Am Samstag … wie hieß das Lied auf deiner Party noch mal?“, versuche ich seine Aufmerksamkeit auf etwas Unverfängliches zu lenken, aus dem Wunsch heraus, den Abend ungeschoren zu überleben.

      Er weiß sofort, was ich meine und antwortet: „Blueneck mit Lilitu.“ Sein Blick verliert alle Härte und das Braun seiner Augen verdunkelt sich um eine winzige Nuance. Um seinen Mund tritt ein weicher Zug. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der im Nullkommanix so auf ein Lied und ein Video abfährt. So viele Drogen kann ich gar nicht einwerfen, dass mir das mal passiert“, raunt er, sich bei dem letzten Satz über den Tisch beugend, damit nur ich ihn höre.

      „Hm, Blueneck. Okay. Kann ich mir merken. Und wegen der Drogen …, das war echt nicht fair. Du hättest mich wenigstens aufklären können“, flüstere ich, mich auch vorbeugend.

      „Aufklären? Über was?“, fragt er süffisant und grinst.

      „Das ich da gerade Plätzchen mit Hasch esse“, flüstere ich wieder, mich kurz vergewissernd, dass uns keiner zuhört.

      „Konnte ich ahnen, dass du dich da sofort draufstürzt?“, fragt er übertrieben betroffen.

      Ich sehe ihn über den Tisch hinweg mit einem besserwisserischen Schmunzeln an, dass ihm klar zeigen soll, dass ich Bescheid über seine angebliche Unwissenheit weiß.

      Er grinst. „Okay, ich habe das in Kauf genommen … vielleicht habe ich das auch gehofft … und auch ein wenig herausgefordert.“

      Ich sehe ihn groß an. „Also eins muss ich dir ja lassen, du kannst entwaffnend ehrlich sein.“ Ich muss lachen und meine Nervosität ebbt etwas ab.

      Er wird sofort ernst. „Eigentlich nicht meine Masche. Schon gar nicht bei Frauen.“

      Es wird Zeit, erneut das Thema zu wechseln. Schnell überlege ich, worüber wir sonst sprechen können, was ihn nicht aufbrausen lässt.

      „Ich habe gehört, du hast Psychologie studiert? Interessiert dich, wie der Mensch so tickt oder warum?“

      „Das und anderes“, sagt er zurückhaltend und versucht das Thema von sich aus nun zu wechseln. Scheinbar möchte er darüber nicht reden. Doch das, was er nun anspricht, macht mich nervös. „Wie läuft es mit deinem Ex und nun nicht mehr Ex? Oder ist er wieder der Ex?“

      Das ist eigentlich nichts, worüber ich mit ihm reden will. Aber mir bleibt nichts anderes übrig. „Nicht mehr Ex. Wir sind wieder fest zusammen“, sage ich und beobachte vorsichtig seine Reaktion. Mehr möchte ich ihm nicht erzählen, doch sein Blick sagt mir, dass ihm das nicht reicht.

      Ich trinke meinen Cappuccino aus und schaue auf die Uhr. Wann kann ich endlich diesem Verhör entgehen?

      Mit dem Gespräch über mein Liebesleben fühle ich mich, so Auge in Auge, überfordert und kann sein Interesse nicht einordnen.

      „Was ist an dem besonderes, dass du so auf den abfährst?“, fragt Erik und setzt sich zurück. Er wirkt lauernd wie ein Tiger, der testen will, wie schnell seine Beute ist.

      Es entsetzt mich, dass er mich so direkt über meiner Beziehung ausfragt und ich habe das Gefühl, er will Marcel angreifen. „Ich glaube nicht, dass ich über Marcel reden möchte“, raune ich, dass „mit dir“ mir verkneifend und setze mich auch zurück, wieder einen Blick auf meine Uhr werfend. Die Zeit scheint still zu stehen. Ich schüttele kurz das Handgelenk, aber die Zeiger laufen auch nicht schneller weiter.

      „Hm, dann kann er dir nicht viel bedeuten, wenn du nicht mal über ihn reden willst.“

      Psychoscheiß, den ich auf mir und Marcel nicht sitzenlassen will.

      Ich hole tief Atem und raune: „Ich liebe ihn. Er ist liebevoll, ehrlich, gutmütig, beliebt, treu, total hübsch und er hat mir das Leben gerettet. Reicht dir das?“, frage ich schnippisch und hoffe, ihm damit den Wind aus den Segeln zu nehmen.

      Ohne auf meine Antwort großartig einzugehen, sagt er überheblich: „Okay, das ist schon viel. Aber das Wichtigste fehlt!“ Erik setzt sich wieder dicht an den Tisch und sieht mir durchdringend in die Augen. „Wie ist er im Bett?“

      Das geht zu weit. Ich ziehe entsetzt die Luft ein. Das geht ihn gar nichts an. Aber an seinem zufriedenen Blick sehe ich, dass er das macht, um mich zu verunsichern. Ich atme erneut tief ein, nehme meinen ganzen Mut zusammen und setze mich auch dicht an den Tisch, um ihm zu antworten. „Absolut liebevoll, zärtlich und der Hammer.“

      Meine Worte scheinen Erik zu treffen. Er setzt sich abrupt zurück, als hätte ich ihn geschlagen. Dass ich ihm das so unverblümt reindrücke, damit hatte er wohl nicht gerechnet.

      „Fertig mit deinem Verhör?“, frage ich und fühle mich gut. Ihn so sprachlos zu sehen freut mich. Doch sein Gesichtsausdruck wirkt plötzlich verschlossen und resigniert. Irgendwas stimmt mit ihm nicht.

      „Magst du noch einen Cappuccino?“, murmelt er.

      „Nein Danke! Ich muss zum Zug“, sage ich und greife nach meiner Tasche.

      „Ich bringe dich! Warte! Ich zahle nur schnell!“

      Ich schenke ihm ein Lächeln. „Das brauchst du nicht. Von hier aus finde ich den Weg auch allein.“ Ich zeige zum Bahnhof, der sich vor uns erhebt und stehe auf. „Danke für den Cappuccino und dass du mir den Weg gezeigt hast.“

      Der Blick, der mich trifft, hat alle Härte verloren. Er nickt nur und sieht mich unschlüssig an, während ich an ihm vorbei zum Ausgang gehe. Als ich an seinem Fenster vorbeikomme, winke ich ihm kurz zu, bevor ich zum Bahnhofsgebäude gehe. Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken und denke mir, dass das Gespräch doch gar nicht so schlecht gelaufen ist. Und ich dachte, er würde mich vierteilen wollen … zumindest nach den zwei Telefonaten mit ihm. Alles nur reiner Psychoscheiß.

      Als ich durch die Tür in den Bahnhof gehe, ist er plötzlich wieder neben mir und zieht mir die Tasche aus dem Arm. „Ich denke, ich bringe dich besser zum Zug, dann quatscht dich keiner an.“ Er wirft einen Killerblick um uns herum und fixiert jeden, der im entferntesten Angreiferpotenzial entwickeln könnte.

      Ich erwidere nichts, sondern lächele nur verhalten. Wenn ich das Ellen erzähle, fällt sie um.

      Ich steuere direkt auf meinen Bahnsteig zu und er folgt mir. Aber scheinbar hat er meine Gedanken erraten, denn als wir uns am Bahngleis in eine Nische stellen, um dem Wind etwas zu entgehen, sagt er mit einem zurückhaltenden Lächeln: „Sag meiner Schwester bitte nichts von heute. Sonst ist mein schlechter Ruf ruiniert.“

      Ich weiß nicht, ob ich ihm diesen Gefallen tun will. Schließlich hat er heute gezeigt, dass er gar nicht so schlimm ist, wie alle glauben.

      „Das kann ich dir nicht versprechen. Schließlich hat sie eine verdammt schlechte Meinung von dir und die kann ich eigentlich so nicht stehen lassen“, sage ich deshalb.

      Sein Blick wird ernst. Aber er nickt nur und einen Moment blitzt etwas in seinen Augen auf, dass ich nicht ergründen kann.

      „Wohin bringt dein Zug dich überhaupt?“, fragt Erik nach einiger Zeit des Schweigens.

      „Jetzt? Nach Bramsche.“

      „Und sonst?“

      „Bersenbrück.“

      „Hm, kenne ich nicht. Ist das weit weg?“

      „Was ist weit? Keine Ahnung! 40 Kilometer oder so!“

      „Und du wohnst in …?“

      „Ankum.“

      „Und du fährst jetzt nach Bramsche, weil …?“

      Ich sehe ihn an und weiß nicht, ob ich ihm das sagen will. Er war bisher nett.


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