Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
nicht auszumachen.
Der Langhaarige nimmt erneut ein Blech Kekse aus dem Ofen.
Plötzlich steht Erik wieder hinter mir. „Suchst du mich?“, fragt er ironisch.
„Nein Ellen. Ich dachte, sie ist auch wieder da. Ich habe Daniel gesehen“, antworte ich leise und verunsichert.
„Die kommt gleich nach. Sie hat Schwierigkeiten mit einer Freundin, der es nicht so gut geht. Sie muss aber auch gleich da sein“, erklärt Erik und scheint mich beruhigen zu wollen. Er sieht auf die Uhr und schenkt mir tatsächlich ein beruhigendes Lächeln. „Tanzen?“, fragt er und legt den Kopf etwas schief, um mir ins Gesicht sehen zu können.
Ich schüttele den Kopf und lächele zaghaft zurück. Auf seine Art ist Erik eigentlich doch irgendwie nett.
„Nein!“, erwidere ich aber trotzdem, um meinen Unwillen dennoch zu verdeutlichen. Mir ist irgendwie nicht gut. Vielleicht hätte ich die Kekse nicht so in mich hineinstopfen sollen. Offenbar vertragen sie sich auch nicht mit der Cola. Mein eh schon labiler Magen dankt mir das nicht gerade. „Ich gehe lieber wieder in Ellens Zimmer und warte da auf sie.“
Ich lasse Erik stehen und gehe die Treppe hoch. Als ich gerade auf Ellens Seite der Etage abbiegen will, wird nach meiner Hand gegriffen und ich zurückgehalten.
„Ach, Blödsinn! Da bist du doch ganz allein. Hier ist die Party!“, sagt Erik mit seiner dunklen Stimme und zieht mich gnadenlos zu seinem Wohnzimmer.
Ich bin etwas wie ferngesteuert und kann ihn nur gewähren lassen. Vielleicht kann ich im Sessel ein wenig die Videos ansehen? Die Welt um mich herum beginnt langsamer zu laufen oder ich werde immer langsamer. Mein Kopf scheint weiter in einem Nebel zu versinken, der mich seltsam willenlos macht.
Erik lässt mich los und spricht mit einer jungen Frau, die ihn regelrecht anhimmelt und ihre langen, rotlackierten Fingernägel nach ihm ausstreckt.
Ich steuere auf den Sessel zu und schaue auf den großen Bildschirm, an dem gerade ein Lied anläuft, das mich magisch in seinen Bann zieht. Auf dem Bildschirm erscheint in dunklen Farben eine Welt, die auf einen weißen Kokon zusteuert. Ein Schmetterling schlüpft aus ihm hervor, spreizt seine Flügel und startet in ein neues Leben. Doch er findet sich in der Welt nicht zurecht und er lässt sich von einer vorbeifliegenden Schar Faltern mitreißen. Mit ihnen mitfliegend, landet er letztendlich in einem Spinnennetz. Das Lied dazu lässt mich wie gebannt den Bildschirm anstarren. Es versetzt etwas in mir in seltsame Schwingungen.
Erik taucht neben mir auf. Ich spüre seine Hand in meinem Rücken, bin aber im Moment gar nicht in der Lage, mich daran zu stören. „Wer ist das?“, frage ich nur.
„Blueneck Lilitu“, raunt Erik neben mir völlig fasziniert.
Mag er das Lied und das Video auch?
Als ich ihm einen schnellen, fragenden Blick zuwerfe, sieht er mich an, statt die Mattscheibe.
Als das Lied zu Ende ist, folgt ein deutsches Lied von Style Aroma und Besk mit dem Text „Ich bin nicht glücklich“. Und wieder mit viel Klavier.
Ich komme aus meinem Gefühlschaos, dass das erste Lied in mir verursacht hat, kaum wieder heraus und sehe mich um, ob ich mich irgendwo hinsetzen kann.
Der Sessel ist mit einem knutschenden Pärchen belegt und das Sofa mit drei Typen, die sich das scheinbar ansehen.
„Komm!“ Erik packt mich und reißt mich aus meiner Verwirrung, die mich immer noch wegen dem Lied umfängt, hebt mich wie eine Puppe hoch und setzt mich auf seine Anrichte.
Ich bin völlig irritiert, dass er das tut und auch noch schafft. Es ist ziemlich hoch.
Er stellt sich direkt vor mich und greift nach einer Fernbedienung, die in einer Schale neben mir liegt, dreht sich um und drückt ein paar Knöpfe.
Brutal wird das Lied von Style Aroma abgewürgt und Blueneck Lilitu läuft wieder an und schlägt mich erneut in seinen Bann. Es ist wirklich schön.
Erik lässt die Fernbedienung neben mir in die Schale fallen und sieht zu mir auf.
Ich sehe fasziniert auf den Bildschirm und lasse das Lied durch meinen Körper rauschen. Dabei spüre ich Eriks warmen Brustkorb an meinen Beinen und sehe von dem Bildschirm in sein Gesicht. Er steht so dicht vor mir, dass ich nicht mal herunterspringen könnte, ohne direkt in seinen Armen zu landen.
Seine Hände legen sich um meine Taille und fixieren mich an meinem Platz. „So können wir uns mal vernünftig unterhalten“, erklärt er die Aktion, während ich ihn nur wie ein Hintergrundrauschen wahrnehme.
Das Lied läuft aus, um wieder von vorne zu beginnen. Ich sehe erneut die dunkle Welt, die auf den weißen Kokon zusteuert …
„Was ist mit deinem Bruder? Ellen sagte, du hattest Probleme mit ihm?“, höre ich Erik fragen und sehe ihn wieder an. Will er jetzt wirklich mit mir über Julian reden?
Ich schüttele langsam den Kopf. „Ach, ist doch egal“, murmele ich und sehe erneut auf den Bildschirm. Was ist das bloß für ein Lied? Das ist Marcel und Tim zusammen. So schön und fasst nicht auszuhalten!
Meine Gefühlswelt wird durcheinandergeschüttelt, wie ein Schiff bei starkem Seegang. Dabei will kein Gedanke mehr vernünftig zu einem anderen passen.
„Nun sag schon. Was war mit ihm?“ Erik legt seinen Zeigefinger auf meine Wange und drückt meinen Kopf zur Seite, damit ich ihn wieder ansehen muss. „Ist der dir an die Wäsche gegangen?“
Ich sehe ihn beunruhigt an. Ist es das, was er bei Ellen verbockt hat?
„Nein!“, brumme ich und wünsche mir, dass er mich endlich loslässt. Mein Blick gleitet erneut zu dem Video, als wäre ich damit verbunden.
„Was war es denn dann? Komm, sag es mir. Ich bin wirklich neugierig“, raunt Erik mit strengem Blick und in einem barschen, ungeduldigen Ton.
Er nervt und meine Stimmung sinkt, wie in dem Video der Schmetterling im Sog der vielen anderen Falter. Mir wird flau im Magen und eine Sehnsucht packt mich. Ich will zu Marcel! Warum kommt Ellen nicht endlich wieder?
Ich sehe über Erik und die seltsamen Gestalten hinweg, die den Raum bevölkern, als das Lied endlich endet und ich hoffe, es beginnt nicht wieder von vorne.
Es fängt tatsächlich ein anderes Lied an und ein neues Video. Ich atme auf.
„Ich lasse dich nicht eher runter, bis du mir gesagt hast, was ich wissen will. Hat der dich belästigt?“ Erik grinst unverschämt und er wird mir wirklich langsam unsympathisch.
Plötzlich schießt es mir durch den Kopf. Marcel, der mich aus dem Labor holt und völlig panisch nach einem Krankenwagen schreit. Oh Mann! Ich fühle mich von dieser plötzlichen Erinnerung wie überfahren.
„Komm, spucks aus, sonst lasse ich dich hier nicht weg“, zischt Erik ungeduldig. Sein Blick wird hart und unnachgiebig und ich spüre die kalte Angst durch meine Adern kriechen. Aber ich weiß nicht, ob es an Erik liegt oder weil er meine Vergangenheit heraufbeschwört.
„Julian wollte mich umbringen“, raune ich und das Entsetzen packt mich stärker.
Erik scheint jetzt verwirrt zu sein. „Was? Hast du Halos?“
„Wieso? Ne! Er hat mir in den Hals geschnitten.“ Ich schiebe meine Haare an die Seite, beuge mich zu ihm runter und zeige ihm die Narbe. Damit soll doch wohl alles geklärt sein und er lässt mich endlich in Ruhe.
„Krass! Das ist natürlich hart“, raunt er überrascht, packt mich um die Hüfte und hebt mich von der Anrichte runter. Er stellt mich direkt vor seine Füße und seine Lippen legen sich plötzlich auf meine.
Ich drehe den Kopf zur Seite und schiebe ihn energisch von mir weg, ein: „Lass das“, zischend.
„Warum?“ Seine Stimme klingt plötzlich ungewöhnlich weich.
In dem Moment kommt Ellen ins Zimmer, schubst alle weg, die ihr im Weg stehen und reißt mich von ihrem