Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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hör auf!“, brummt sie mit wütendem Blick. Sie sieht mich an und wird noch wütender. „Carolin, wie geht es dir?“, fragt sie und ich finde die Frage verwirrend.

      „Weiß nicht so recht.“

      „Ich rieche die Scheiße doch bis nach draußen“, faucht Ellen aufgebracht. „Hat Erik dir irgendetwas gegeben?“

      Ich schüttele den Kopf. „Nur eine Cola. Er hat sie vor mir aufgemacht.“

      Ich denke das ist wichtig.

      Ellen sieht mir in die Augen und Erik lacht laut auf, bevor er klarmacht: „Sie hat die Kekse allein gegessen. Ich bin unschuldig und jetzt bleibt sie bei mir. Sie schläft doch eh heute hier. Und du musst dich bestimmt noch um Tina kümmern. Ich kümmere mich so lange um Carolin.“ Den letzten Satz drückt er süffisant über die Lippen.

      Ellen scheint hin und her gerissen zu sein. „Verdammt!“, brummt sie und schießt aus dem Raum.

      Ich will hinterherlaufen, aber Erik hält mich fest und ich fühle mich seltsam benommen und unfähig, mich loszureißen. Außerdem ist mir zum Heulen. Warum lässt Ellen mich hier stehen? Wie Marcel. Und Tim. Alle sind weg.

      Ich sehe mich vor einer Linie stehen. Da wo ich stehe, sind alle weg … springe ich über die Linie, sind alle wieder da. Aber ich kann nicht hinüberspringen.

      Erik zieht mich in seine Arme und tanzt mit mir, langsam und bedächtig.

      Ich fühle mich nicht in der Lage, mich zu wehren. Die traurigen Gedanken an Marcel und Tim halten mich gefangen und machen mich irgendwie willenlos.

      Ellen kommt wieder in den Raum gerauscht und sieht sich nach Daniel um. Der geht zu ihr, als sie ihn zu sich winkt.

      Ich sehe sie an und hoffe, sie wird jetzt hierbleiben. Ich fühle mich in den Armen ihres Bruders nicht wohl. Zumal erneut das Lied von Blueneck anläuft und mir mittlerweile eine Gänsehaut über den Körper treibt. Ich kann den Bildschirm von hier aus nicht sehen … aber das Lied dringt aus allen Boxen in meine Eingeweide.

      Ellen redet auf Daniel ein und er schüttelt den Kopf, was sie wütend macht. Sie sieht auf die Uhr und dann zu mir. Was ist nur los?

      Mir ist seltsam zumute. Ich will nach Hause.

      Erik zieht mich noch fester in seine Arme und ich versuche ihn etwas auf Abstand zu halten. Aber ich fühle mich benommen und wie der Schmetterling in dem Lied. Alles um mich herum wirkt wie in Zeitlupe. Selbst Erik, der mein Kinn umfasst, um mir in die Augen sehen zu können. Was sucht er in meinen Augen? Er irritiert mich.

      „Hey, Süße! Wie fühlst du dich?“, fragt er und dieses „Süße“ geht mir voll quer.

      „Ich muss mal“, antworte ich aufgebracht und schiebe ihn, meine ganze Kraft aufbietend, energisch weg.

      Erik lässt mich widerwillig los und ich gehe durch den Raum rüber zu Ellens Reich. Ich will nicht bei Erik auf die Toilette gehen, wo immer die auch sein mag.

      „Erik!“, höre ich hinter mir Ellen wütend rufen.

      Ich drehe mich verunsichert um. Er ist direkt hinter mir und Ellen eilt an ihm vorbei und zieht mich in ihr Badezimmer. Krachend fällt die Tür ins Schloss und sie schließt sogar zu.

      Ich gehe auf die Toilette, während sie mich verlegen mustert. Leise, und als hätte sie ein schlechtes Gewissen, höre ich sie sagen: „Es tut mir leid. Ausgerechnet heute ist das mit Jasmin passiert. Sie ist eine alte Freundin und sie hat Probleme mit Drogen. Wir haben sie ins Krankenhaus gebracht. Ich habe, seit das mit Alex war, immer Angst, dass es noch jemanden trifft.“ Sie klingt dabei völlig fertig. „Deshalb habe ich etwas getan, was du mir wahrscheinlich nie verzeihen wirst. Aber es geht nicht anders. Ich muss gleich noch mal los. Jasmin war bei Tina gewesen. Die habe ich noch nicht finden können. Ich wollte dich holen und mitnehmen, aber ich wusste nicht, dass Erik hier heute seine eigene Session geplant hat und du da voll reingeraten bist“, brummt sie wütend.

      „Nicht schlimm. Hoffentlich findet ihr diese Tina. Ich komme schon klar“, versuche ich sie zu beruhigen, und verstehe nicht ganz, warum ich jetzt nicht mehr mit ihr mitfahren kann.

      Ellen schüttelt besorgt den Kopf. „Nein, du kommst bald nicht mehr klar. Und die Geier kreisen schon.“

      „Was?“ Ich verstehe nicht, von was sie spricht und mein Kopf wirkt immer umnebelter.

      Ein Handy klingelt und sie atmet auf. „Endlich!“ Dann nimmt sie ab. „Okay, bleib vor der Tür und klingele bloß nicht. Schau, dass dich keiner sieht. Wir kommen zur Tür und du verschwindest mit ihr, so schnell es geht. Ich kann dir jetzt nichts erklären.“

      Sie klingt wie gehetzt und scheinbar ist jemand am anderen Ende der Leitung, dem sie auch nichts erklären muss.

      „Danke!“, sagt sie noch und legt auf.

      „So, komm! Hier ist dein Handy.“ Sie gibt mir das Handy, mit dem sie gerade telefonierte, und ich frage mich, woher sie es hat. Sie muss es aus meiner Jacke aus ihrem Zimmer geholt haben. Aber warum? Sie hat doch ihr eigenes.

      „Wo gehen wir denn hin?“, frage ich völlig verunsichert.

      „Carolin, was jetzt auch passiert, du tust was ich dir sage. Versprichst du mir das?“, trichtert sie mir ein. „Und morgen darfst du mir dann den Kopf abreißen.“

      Langsam werde ich nervös und ängstlich. Was ist nur los?

      Sie macht die Badezimmertür auf und schiebt mich aus dem Raum.

      Erik lehnt an der Wand neben seiner Wohnungstür und wartet auf uns. Hat er denn niemanden, um den er sich sonst noch kümmern muss?

      Abermals höre ich das Lied im Hintergrund. Oder meine ich nur, dass ich es höre?

      Daniel sieht uns kommen und schiebt sich vor Erik, ihm eine Zigarette anbietend.

      Schnell zieht mich Ellen an den beiden vorbei die Treppe hinunter, was mir fast die Füße verheddert. Die Haustür aufreißend, schiebt sie mich in die kühle Nacht und direkt jemandem in die Arme.

      „Ellen?“, rufe ich erschrocken und will wieder zurück zu ihr. Aber sie schmeißt die Tür hinter mir zu und schließt ab.

      Ich stehe vor dem weißen Holz und kann es nicht fassen, dass sie mich einfach ausgesperrt hat.

      In dem Moment bricht im Haus ein Tumult los und ich höre Erik Ellen anschreien. Er will die Tür aufreißen, die aber verschlossen ist.

      „Carolin, komm! Ich nehme dich mit“, höre ich jemanden neben mir sagen und etwas durchzuckt mich wie ein Dolchstoß. Irritiert sehe ich mich um.

      „Marcel, was machst du hier?“

      Träume ich? Das Lied wird in meinem Kopf lauter.

      Marcel zieht mich zur Straße, reißt die Autotür auf und schiebt mich in seinen Golf. Er beeilt sich, auf seiner Seite einzusteigen und fährt mit quietschenden Reifen los. Er sieht noch in den Rückspiegel und dann mich an.

      Mein Blick muss dem eines Kindes gleichen, das zum ersten Mal einen Weihnachtsbaum sieht.

      „Diese Ellen hat mich angerufen. Sie wollte, dass ich dich da weghole. Sie meinte, sie könne nicht auf dich aufpassen und ihr Bruder hätte nichts Gutes mit dir vor. Und sie klang wirklich besorgt. Ich bin sofort losgefahren. Gut, dass ich in der Nähe war.“

      Ich verstehe nichts. Nur das Marcel da ist und von Ellen gerufen mich nun abgeholt hat. Mir schießen Tränen in die Augen. Marcel ist wieder einmal gekommen, um mich zu retten. Wie immer.

      „Danke, dass du mich nach Hause bringst.“

      Marcel sieht mich kurz an. „Ich bringe dich nicht nach Hause. Was meinst du, was deine Eltern mit mir machen, wenn ich dich mitten in der Nacht bei ihnen abliefere, völlig stoned“, brummt er wütend.

      Völlig was?

      Ich sehe verwirrt aus dem Fenster und verstehe nicht, von was er da redet. Aber das wird auch nebensächlich,


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