Die Mitternachtsuniversität. Saskia Burmeister
»Sie haben vergessen zu erwähnen, dass nicht nur Vampire, Werwölfe und andere menschenähnliche Wesen diese Fähigkeit nutzen, um zu Tieren zu werden, sondern dass es auch Tiere gibt, die sich mittels der reellen Verwandlung als Menschen ausgeben. So wie Drachen oder die Marderhunde, die man in meiner Heimat auch Tanuki nennt.«
Kurz schloss das Kind die Augen, um sich zu konzentrieren und schon begann sie sich zu verwandeln. Während ihr ein dichter, orangeroter Pelz wuchs, löste sich der Kimono auf. Im Gesicht wuchs ihr eine Schnauze und ihre Ohren wurden zu großen Lauschern. Im Ganzen nahm sie binnen Sekunden die Gestalt eines Rotfuchses an. Auf den Hinterbeinen hockend meldete sie sich mit einer Vorderpfote erneut zu Wort: »Und wir Kitsunen gehören natürlich auch zu dieser Gruppe. Als Menschen getarnt können wir uns unauffällig unter den Normalos bewegen. Meine Familie ist sehr groß und einige meiner Onkels gehen tatsächlich einem ganz gewöhnlichen Tagwerk in der Bank oder an der Supermarktkasse nach.«
In genau diesem Moment erklärte ein Gongschlag diese lehrreiche Stunde für beendet. Der Direktor dankte dem
Fuchsmädchen noch für ihre Ergänzung, dann jagten die meisten Schüler auch schon aus dem Saal heraus. Auch Spike erhob sich, musste aber tierisch aufpassen, nicht von Zombies und dergleichen umgerannt zu werden. Grinsend schob sich sein Banknachbar an ihm vorbei und verschwand wie alle anderen durch die Tür hinaus.
»Und, wie hat dir deine erste Stunde gefallen, Alter?«, quakte Hulk, der neben dem Lehrer als Einziger noch anwesend war.
»Tja«, mehr fiel Spike im Moment dazu nicht ein. Nun kam auch noch der Direktor schnurstracks auf ihn zu.
»War doch voll interessant, was?«, posaunte Hulk, als meine er, dass der Lehrer schwerhörig wäre. »Also ich denke, das war die informativste Lehrstunde, der ich überhaupt beiwohnen durfte. Der Direx ist doch mit Abstand der coolste Lehrer von allen.«
Jener seufzte nur: »Statt hier herum zu schleimen, solltest du lieber ein bisschen mehr pauken, Hulk. Das kann nie schaden.«
In diesem Moment erinnerte der bleiche Vampir-Direktor Spike an einen seiner ganz normalen Lehrer von früher. So viele Unterschiede es auch gab, es existierten offenbar doch auch gewisse Parallelen zwischen dieser völlig abgedrehten Welt und jener, die für Spike bisher die Realität war.
»Und was folgt jetzt?«, fragte der Junge. »Eine weitere Lektion über Verwandlungen?«
»Nicht doch«, winkte Hulk ab, »jetzt fängt die Aktion doch erst richtig an. Mit einer praktischen Übungsstunde in Sachen Selbstverteidigung gegen die üblen Mächte des Chaos - die man auch als Jäger bezeichnet. Das ist jedenfalls cool, solange man den anderen bei ihren Show-Kämpfen zusieht. Muss man dann aber selber ran, dann zerlegt es einen höchst wahrscheinlich in seine Einzelteile.«
»Wie bitte?«, Spike hoffte innständig, sich verhört zu haben.
»Keine Bange Jungs, das packt ihr schon«, glaubte der Direktor und klopfte Spike zuversichtlich auf die Schulter.
»Na, ich weiß nicht«, seufzte Hulk, »beim letzten Mal habe ich einen Zahn verloren und drei Rippen wurden mir gebrochen. Dank der magischen Krankenschwester ist alles wieder in Ordnung gekommen. Aber was, wenn sie heute ihren freien Tag hat?«
»Genau und wenn es euch zwei Komiker dann atomisiert, ist Ende Gelände«, setzte die gescheckte Ratte noch eines drauf, die noch immer auf Hulks Schulter hockte. »Passt auf, dass man euch halbe Hemden heute nicht so fix und fertig macht, wie noch kein Hosenscheißer vor euch in die Pfanne gehauen wurde! Sonst habe ich am Ende keinen mehr, über den ich mich lustig machen kann!«
Nun schielte Spike schon wieder wie ein Kaninchen erst zu dem Großen und dann zu der Lehrkraft auf. Er ahnte Schreckliches. Seine Maskerade als cooler Draufgänger hatte er bei all dem ganz vergessen.
»Ich garantiere euch, dass ich ihr heute keinen freien Tag genehmigt habe«, versuchte der Direktor die Gemüter zu beruhigen. »So schlimm wird es schon nicht werden, Kopf hoch, ihr zwei! Danach könnt ihr euch von allen Schmerzen und Strapazen doch erst einmal beim Mittagessen ausruhen, bevor es im Einzel- oder KleingruppenUnterricht dann richtig zur Sache geht.«
Mit diesen Worten entfernte sich der Direktor aus dem Zimmer und der Junge starrte ihm fassungslos nach. Diese Neuigkeit machte Spike nicht gerade froh. Reichlich kleinlaut hakte er bei Hulk nach, »Was genau soll das mit dem Einzelunterricht bedeuten?«
»Dass man dich allein lässt mit einem der gruseligen Lehrkräfte«, kicherte die Ratte, »damit der dich ganz in Ruhe in die Pfanne hauen kann.«
»Alleine mit so einem Typen?«, Spike merkte wie ihm die Knie weich wurden, »so wie dieser unheimliche Kerl mit dem grünen Flaum und den langen Wimpern?« Bei dem alleinigen Gedanken kam er schon einer Ohnmacht nahe.
»Voll korrekt«, bestätigte die Ratte mit gehässigem Unterton, während Hulk mit dem Kopf schüttelte: »Nicht ganz, Alter. Mit Professor Ginseng habe ich schon das zweifelhafte Vergnügen. Mir will er beibringen, ein echter Vampir zu sein. So voll konkret mit Leute erschrecken, Bluttrinken und Jägern ihren Schatten zu stehlen, um sie zu schwächen. Für dich, schätze ich, wird ein Magier oder eine Hexe verantwortlich sein, um dir die ganze verzwickte Zauberer-Kiste einzutrichtern.«
»Genau und von denen hört man allesamt nichts Gutes«, schwafelte die Ratte drauf los, während Hulk sich in Bewegung setzte. Spike folgte ihm mit ungutem Gefühl hinaus in den Korridor und dann ein Gewirr von Gängen hindurch zu einer Treppe, die in das Erdgeschoss hinab führte. Unterdessen verstand das Nagetier es meisterhaft, Spike dazu zu bringen, mit den Zähnen zu klappern: »Von jener Hexe, die hier auch als Sportlehrerin abreitet und auch Unterricht im Besenfliegen erteilt, hört man, dass sie ihre Schüler auf Kadavergehorsam drillt. Wenn sie sagt, dass man aus dem Fenster springen soll, gibt es nur noch die Option, danach zu fragen, als welchem Stockwerk man sich stürzen soll. Um den eigentlichen Befehl kommt man aber nicht drum herum. Mit den anderen Lehrern der Magie will ich gar nicht erst anfangen...«
Damit die Ratte dies auch tatsächlich nicht tat, hob Hulk sie von seiner Schulter herab, drohte ihr damit, sie an die hellseherische Katze von Meister Ginseng zu verfüttern. Daraufhin hielt sie auch tatsächlich ihre Schnauze und kicherte nur leise und etwas boshaft vor sich hin.
»Und wo soll es jetzt hingehen?«, fragte Spike um sich selbst abzulenken. Derweil waren sie schon im Erdgeschoss angelangt.
»Raus auf die Wiese hinter dem Anwesen«, Hulk bog gerade um eine Ecke in einen weiteren Flur, der bei einem großen Portal endete, »dort hast du dich gestern erfolgreich mit dem Lupo angelegt. Was wollte der vorhin im Unterricht denn von dir? Hat er gedroht, dich mit Haut und Haar aufzufressen? Wenn ja, dann ist das ein Zeichen, dass du ihn gestern voll korrekt auf die Palme brachtest, als du ihm die Stirn geboten hast, Alter!«
»Äh, klar«, Spike war ganz in Gedanken, »ich glaube, der respektiert mich jetzt, denn ich habe mich nicht einschüchtern lassen. Dieser Lupo meinte jedenfalls, es wäre alles geregelt zwischen uns zwei.«
Gleich bereute er es aber wieder, so übertrieben zu haben. Anerkennend klopfte Hulk ihm auf die Schulter und betonte wieder einmal, dass Spike in seinen Augen der Megaknaller war. Jener biss sich im Geheimen auf die Zunge. Es verlangte ihm viel Überwindung ab, sich cool zu geben. Schließlich war er in Wahrheit das genaue Gegenteil davon. Doch er erinnerte sich, dass er sich vorgenommen hatte, hier ganz neu anzufangen und nicht bei jeder Gelegenheit den Schwächling heraus hängen zu lassen. Zudem tat Spike die Bewunderung von Hulks Seite her furchtbar gut und er wollte sie keinesfalls einbüßen. Das konnte auch durchaus gut gehen, solange er sich im Hintergrund hielt und nur dann den Coolen markierte, wenn der Gegner so leichtgläubig war wie der Zyklop von heute früh und sich auch ebenso schnell geschlagen gab.
»Du bist noch keinen Tag hier und schon hast du dem Obermacker dieser Schule bewiesen, dass du keine Angst vor ihm hast«, schwafelte Hulk überschwänglich, während sie durch die Tür hinaus traten und zur Wiese marschierten, die von hohen Eichen umschlossen war, »der Kerl ist nicht einmal einen Monat hier und schon hat er jeden besiegt, der es wagte ihn herauszufordern. Jetzt