Die Mitternachtsuniversität. Saskia Burmeister
gestürzte Obermotz kam nur langsam und schnaufend wieder auf die Beine. Im Moment machte der Lupo gar keinen überheblichen und gefährlichen Eindruck, sondern sah einfach nur genauso verletzt aus wie jeder andere, den es so von den Latschen hieb. Genau in dieser Sekunde empfand sogar Spike ein gewisses Mitleid mit dem Angeber. Doch das währte nicht besonders lange.
»Da du schon wieder stehst, kannst du auch kämpfen, mein kleiner Musterschüler«, dabei klang Miss Cheironas Stimme ein wenig gehässig, »also wirst du uns gleich mal beweisen, was du wirklich auf dem Kasten hast ... und was nicht nur hohles Gerede ist. Wollen doch mal sehen, wer sich heute gegen dich behaupten darf, Lupo.«
»Au Backe«, Hulk wich gleich zwei Schritte zurück, »sie wählt in fast in jeder Stunde jemanden aus und noch nie konnte ihn einer besiegen. Letzte Woche wurde der Zyklop fertig gemacht und davor die vier Zombies, die keine Chance hatten, obwohl sie gemeinsam angriffen.«
Auch alle anderen Anwesenden wichen respektvoll zur Seite. Offenbar wollte sich keiner freiwillig mit dem Lupo anlegen, obwohl dieser schon angeschlagen war. Ein ganz und gar mulmiges Gefühl machte sich in Spike breit. Auch er wollte sich zurückziehen und hatte schon den Plan, sich hinter dem Langen zu verstecken, als seine Beine nicht mitmachten. Sie waren wieder wie zu Eis erstarrt.
»Na kommt schon Leute, traut euch«, bat die Lehrerin und sah sich um, »der Lupo ist gar nicht so fies, wie er immer tut. Will ihn nicht endlich jemand vom Thron stürzen?«
Cheironas Blick haftete an Spike, der weit vor allen anderen stand. Endlich ließen sich seine Füße wieder bewegen und er wollte sich unauffällig zurückziehen, als die Zentaurin ihn mit der Hand heranwinkte.
»Dann eben unser Neuer. Komm schon zu mir, Kleiner. Wenn du einen Jäger austrickst, musst du ein schlaues Kerlchen sein und dass es nicht auf die Größe ankommt, siehst du an mir. Wenn ich diesen Kahlkopf umhaue, kannst du es auch.«
»Ich?«, Spike fing schon leicht an zu zittern. Hatten sich denn alle guten Götter gegen ihn verschworen? Womit hatte er das verdient?
»Zeig es dem Angeber!«, kam es unerwartet von Lulu. Ihre Freundinnen stiegen in das Gejohle ein, ebenso wie Hulk und seine Ratte. Sogar ein paar andere Klassenkameraden beteiligten sich daran. Nur die Fans des Lupo buhten kräftig.
»Schweigt, Kinder!«, verlangte die Lehrerin und bäumte sich auf. Schon hätte man eine Feder zu Boden fallen hören können, so still war es. »Die Kontrahenten brauchen absolute Konzentration. Schaut zu und lernt.«
Damit trat sie zurück und Spike sah sich seinem schlimmsten Albtraum gegenüber. Da er keine Anstalten machte, näher zu treten, kam der Lupo dafür seinerseits auf ihn zu. Der brummte tief und hielt erst etwa zwei Meter vor Spike an. Dieser fühlte sich wie auf dem Präsentierteller und starrte den Gegner an wie eine Maus, die von einer Katze gestellt wurde.
So schnell wie er dachte, kam der Angriff dann aber doch nicht über Spike. Stattdessen ließ der Lupo erst einmal die Fingerknochen knacken, danach drehte er den Kopf erst nach rechts und dann nach links, wobei es leise knirschte. Alsdann zog Spikes Gegner den Hals ein und stellte sich breitbeinig hin, als würde er jeden Moment losspringen wollen. Spike wollte schon die Augen schließen und sich seinem Schicksal als leichte Beute ergeben, doch der Lupo sprang gar nicht los, um ihn von den Füßen zu reißen. Dafür ereignete sich etwas völlig anderes. Aus der bleichen Haut des Lupo spross nach und nach langes, flauschiges, weißes Fell. Aus seinen Händen und Füßen wurden Pfoten, während sich die Kleidung in Nichts auflöste. Vom aufrechten Stand wechselte der Lupo in eine auf vier Beinen ruhende Haltung. Hinten wuchs ihm ein buschiger Schwanz und vorne im Gesicht eine lange Schnauze, gespickt mit einem unheimlich scharfen Raubtiergebiss. Alles veränderte sich an dem Kerl, der zu einem Reitpony-großen weißen Wolf mutierte. Nun wusste Spike endlich, warum man ihn den Lupo nannte.
Einzig und allein die Augen des Obermotzes behielten ihre verschiedenen Farben. Daran erkannte Spike das Tier auch wieder, dem er sowohl heute früh begegnet war, wie auch bereits gestern. Leise knurrte der Wolf vor sich hin, dessen Fell so lang war, dass sogar ein Collie-Hund neidisch geworden wäre. Tiefe Zornesfalten bildeten sich auf der Stirn und der Schnauze des Wolfes, während dieser die dunklen Lefzen anhob.
Bei dem alleinigen Anblick wurde Spike ganz anders zumute. Er fühlte, wie die Ohnmacht schon in ihm hochkroch. Dann aber hörte er wieder die Stimme von Hulk, der ihn im Hintergrund lautstark anfeuerte. Also riss er sich am Riemen und versuchte, wenigstens nicht wie der größte Schwächling gleich tot umzufallen. Das Grollen des Wolfes wurde alsbald zu einem aggressiven Fauchen. Scheinbar schnappte er in der Luft nach einer Fliege und ließ die kräftigen Zähne aufeinander krachen. Diese Drohgebärde erschreckte Spike nun dermaßen, dass er einen Satz nach hinten machte und dabei die Arme empor riss. Zeitgleich schoss nebelhafter Wasserdampf gleich einer Wand aus der feuchten Erde hervor und erstarrte noch in derselben Sekunde zu Eis.
7. Ungleiches Duell
Schreckensstarren Auges schaute Spike sein Gegenüber an. Der feindliche Wolf war mit einer dicken Eisschicht umgeben. Der Junge selbst wusste gar nicht, wie ihm geschah. War er das gewesen? Aber wie? Während er noch rätselte, gab Miss Cheirona einen Laut der Anerkennung von sich, Hulk johlte gemeinsam mit der Ratte und ein Raunen kam von den Zuschauern. Ungeachtet des Eispanzers begann der Wolf derweil mit den Augen zu rollen, spannte die Muskeln an und überall begann es zu knirschen. Risse zogen sich durch den Eispanzer und dieser bröckelte ab. Kaum halbwegs befreit, schüttelte sich das Raubtier wie ein nasser Hund und schleuderte auch noch die letzten Eisstücke davon.
»Au Backe«, sagte sich Spike, denn am Blick seines Gegenübers sah er, dass er den Wolf mit der eisigen Abkühlung erst recht fuchsteufelswild gemacht hatte. Nun wurden ihm die Knie richtig weich und diesmal gab Spike ihnen auch nach. Rücklings fiel er zu Boden und lag dann regungslos im Gras, mit angezogenen Armen. Sogar die Zunge ließ er aus dem halb geöffneten Mund hängen. Fast unmerklich zuckte der Wolf zusammen, kam einen Schritt näher, schnupperte und legte die Ohren an.
»Der Lupo hat ihn allein mit seinem Blick getötet!«, glaubte ein weiblicher Fan. »Er ist wirklich der Allertollste, der Stärkste und der Größte!« Andere Mädchen fielen in das Jubeln mit ein. Doch nicht alle Schüler waren voller Begeisterung.
»Nein!«, quietschte Hulk in höchsten Tönen und rang die Hände. »Das kannst du mir nicht antun, Kumpel, bleib bei mir!«
Tränen schossen ihm in die Augen. Die Ratte begann zeitgleich wie ein Rohrspatz zu meckern. Leicht fing der Wolf an zu schielen, was aber so gut wie niemanden auffiel, da nun die ganze Klasse wild durcheinander schrie. Allen voran rief Hulk etwas von einem Mörder und Galgenvogel. Manch einer schloss sich ihm an. Die Fans wiederum wetterten dagegen und nicht einmal die mahnende Stimme der Lehrerin konnte die aufgebrachten Gemüter beruhigen.
»Du bist doch gar nicht tot«, brummte der Wolf missgelaunt und verwandelte sich in den Kahlkopf zurück. Doch als fast menschliches Wesen wirkte er nicht weniger angsteinflößend. »Es macht wirklich keinen Spaß, jemanden anzugreifen, der schon am Boden liegt.«
»Das wäre auch überaus unfair!«, mit schnellen Schritten kam Miss Cheirona heran gestürmt. »Also halte dich zurück!«
»Hab eh gerade keinen Hunger«, murrte der Lupo, während sich Spike endlich wieder aufsetzte.
»Du lebst ja noch!«, mit Tränen in den Augen stürzte Hulk herbei und drückte den Jungen ohne Vorwarnung an sich. »Und ich dachte, du wärst gestorben! Du bist echt der Hammer! Von den Toten zurück gekehrt!«
»Ach du meine Güte«, kam es von der Ratte und diese sprang zu Boden, »manchmal bist du echt oberpeinlich! Ach was sage ich da: du bist immer peinlich! Ich kenne dich gar nicht.«
Auch Spike war das reichlich unangenehm. Er schielte zum Himmel und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Schon lachten ein paar Klassenkameraden hämisch. Die peinliche Situation wurde aber sogleich von Miss Cheirona entschärft. Insgeheim konnte sich Spike nur wundern. Bisher hatten seine Lehrer es immer nur verstanden, aus einer eh schon unangenehmen Situation die ultimative Katastrophe zu machen.
»Der