Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl

Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl


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ist. Wir werden meinen Geburtstag am Nachmittag in einem Café feiern, nur für uns und vielleicht ist ja auch ein Spaziergang im Park möglich.

      Paris, 25. November 1891

      Ich war nur ein paar Tage in Nantes und jetzt bin ich schon wieder in Paris. Es ist mir natürlich nicht über, aber uns fehlen noch einige Dinge aus unserem Pariser Haushalt, die wir jetzt doch mitnehmen müssen. Es begann mit Victors Dienstwohnung. Victor hat mich noch beruhigt, dass wir eine Wohnung gestellt bekämen. Er hatte sie sich Anfang des Monats schon einmal angesehen und war zufrieden. Ich habe einen kleinen Schreck bekommen. Die Wohnung liegt im Hafen, direkt über den Büros der Hafenkommandantur. Es gibt dort genau fünf Wohnungen. Es sieht alles aus wie in einer Kaserne. Victor war jahrelang nichts anderes gewöhnt, mich stört es aber, mit jungen Kadetten und ledigen Offizieren Tür an Tür zu wohnen. In der Tat wohnen dort nur ledige Herren, für die die Wohnungen groß genug sein mögen. Wir hingegen brauchen Platz für uns und Jeanette. Ein Schlafraum und ein Wohnzimmer, das auch noch die Küche beherbergt, reichen da nicht aus. Auch wenn es nur für einige Monate ist, muss es ein wenig Komfort besitzen. Es hat genau einen Tag gedauert, bis wir ein Haus gefunden haben. Es liegt in einer ruhigen Straße. Victor kann in zwanzig Minuten zu Fuß den Hafen erreichen, mit einer Droschke in nicht einmal fünf Minuten. Jeanette und ich haben gemeinsam entschieden und das war auch gut so, denn ihr muss es ja schließlich auch zusagen, wo sie der gute Geist unseres neuen Heimes werden soll. In Nantes war es in den letzten Tagen schon recht kühl. Ich hoffe nur, wir können die Nähe der Küste genießen, wenn es Frühjahr und Sommer wird.

      Gayton, 29. Dezember 1891

      Die Feiertage haben wir bei Mutter und Vater verbracht und werden sogar noch bis Neujahr in Gayton bleiben. Wir wissen ja auch nicht, wie oft wir im nächsten Jahr Gelegenheit haben, nach England zu kommen. Natürlich haben wir nicht nur Weihnachten gefeiert, sondern auch unseren ersten Hochzeitstag. Victor hat mir einen neuen Federhalter geschenkt. Er ist wunderschön, der Griff und die Feder sind vergoldet. Es ist wie ein Schmuckstück, nur praktischer, denn diese Zeilen hier entstehen schon mit meinem neuen Schreibgerät. In England werden die Weihnachtsgeschenke erst am Morgen des 25. Dezember verteilt und so haben wir es auch gehalten. Ich will gar nicht weiter aufzählen, was wir uns dann noch alles geschenkt haben, Vater, Mutter, Victor und ich. Nur eines möchte ich erwähnen, denn zu dem, was ich von den Eltern bekommen habe, gehörte auch das Strand Magazine mit dem neusten Holmes-Fall, den ich schnell verschlungen habe. Diesmal hat mich die Geschichte sogar zum Nachdenken gebracht. In Paris finde ich es fast selbstverständlich, den Bettlern ein paar Sous hinzuwerfen. Jetzt habe ich aber gelernt, dass ein Bettler gar nicht so arm sein muss, wie er sich in seinen schmutzigen und zerrissenen Kleidern gibt. Sherlock Holmes hat einen Bettler entlarvt, der sich in London ein Vermögen verdient hat. Seine Leiden waren lediglich vorgetäuscht. Auch wenn die Geschichte nur erdacht ist, so kann ich mir schon vorstellen, dass ein Sous zum anderen kommt, wenn jeder etwas gibt, weil er meint, dass es doch nur ein geringes Almosen ist. Die Zahl der Gönner steigt am Ende eines Tages vielleicht auf fünfzig, sechzig oder gar hundert an und so kommen leicht zwanzig oder dreißig Francs zusammen, eine anständige Summe, die über Tage und Wochen gerechnet, den Bettler wohlhabend machen kann. Die Bettler müssen sich künftig bei Mr. Doyle beschweren, wenn sie sich wundern, dass ich nicht mehr so freigiebig bin. Miss Hutchinson interessiert sich übrigens auch für den Holmes. Ich habe ihr das Heft geliehen und sie hat es mir schon am nächsten Tag zurückgebracht. Sie muss es nachts gelesen haben, denn am Tage hatte sie doch im Haushalt der Eltern genug zu tun.

      1892

      Nantes, 10. Januar 1892

      Nantes ist doch so viel kleiner als Paris, es ist eine richtige Provinzstadt, aber das darf ich hier nicht so laut sagen. Die Leute sind sehr nett. Ich glaube manchmal zu spüren, dass ich ja eigentlich meine Wurzeln ganz in der Nähe, in der Bretagne habe. Wenn die Leute reden, hat es mich Anfangs immer an Vater erinnert, er spricht manche Worte noch heute genauso aus, wie es die Leute hier in Nantes tun. Victor hat jetzt mehr Verantwortung als noch bei seinem Dienst in der Kaserne. Er leitet eine Kompanie und hat hundertzehn Mann unter seinem Kommando. Seine Leute kontrollieren die Fracht- und Passagierschiffe, die in den Hafen einlaufen, und unterstützen dabei die Beamten der Zollbehörde hier in Nantes. Die Zollvorschriften sind doch recht kompliziert. Victor erklärt mir immer sehr viel. Ich glaube, ich werde noch zur Expertin. Das ging schon in Paris los, als er selbst noch nicht so viel über das Zollwesen wusste. Manchmal habe ich Angst, wenn er auf ein Schiff gehen muss, wenn er von einem bewaffneten Trupp begleitet wird und dabei hat er mir anfangs noch erzählt, dass er so etwas nicht tun müsse, dass er wie in Paris nur am Schreibtisch sitzen würde. Victor erzählt mir aber nicht, was bei einer Kontrolle passieren könnte und ich will es auch nicht wissen. Ich bin seit November in Nantes, eigentlich keine gute Jahreszeit. Das Wetter ist sehr schlecht. Zum Glück habe ich schnell Kontakt gefunden. Natürlich haben mich die Frauen von Victors Offizieren bei sich aufgenommen. Es gibt immer irgendeine Veranstaltung, besonders im Winter. Ich habe sogar bei der Organisation eines Weihnachtsbasars geholfen. Über Weihnachten waren Victor und ich ja in Gayton, bei Mutter und Vater. Jeanette hat die Feiertage in Paris verbracht. Ich bin immer noch so froh, dass sie uns nach Nantes begleitet hat.

      Nantes, 22. Januar 1892

      Eine kleine Zeitungsnotiz hat mich heute ein wenig erschreckt. Der Schriftsteller Monsieur Maupassant wurde in den vergangenen Tagen in Passy eingeliefert. Es gab einen Zusammenbruch, so schreibt das Blatt, demzufolge Monsieur Maupassant ärztliche Hilfe der entsprechenden Art benötigte. Jetzt weiß jeder, was dies bedeutet und dass es sich bei der ärztlichen Hilfe um die Heilanstalt des Dr. Blanche handelt. Ich hoffe nicht, dass Monsieur Maupassant verrückt geworden ist. Ach, was habe ich seinen Bel-Ami verschlungen, gerade in der Zeit, als ich Victor kennengelernt habe. Heute lache ich darüber, aber ich habe immer geprüft, ob Victor nicht Züge dieses Georges Duroy trägt und ob er wie dieser ein Doppelleben führt. Ich habe Victor davon erzählt und er hat nur gelacht, was mich noch misstrauischer gemacht hat. Ich war wirklich dumm und Victor musste mir versprechen, seinen Dienst niemals zu quittieren, um dann Journalist zu werden oder einen Beruf bei einer Zeitung zu ergreifen. Auf dem Kasernenhof gibt es keine Frauen, keine Damen, die sich als Mätressen anbieten, dort gibt es nur Männer. Bei einer Zeitung jedoch gibt es diese Versuchungen, wie ich überzeugt war, weil Monsieur Maupassant es mir im Bel-Ami so erzählt hat. Victor hat den Bel-Ami dann auch gelesen, um meine Gedanken und mein Misstrauen zu verstehen und er hat mich dann beschworen, nein, er hat mich sogar gewarnt, ihn jemals Bel-Ami zu nennen. Ach, wie lange ist das alles schon wieder her. Aber ich verbinde unser Kennenlernen, den Beginn unserer Liebe immer ein bisschen mit diesem Buch. Ich habe mich immer mit dem Bel-Ami begnügt und weiß gar nicht, welche Literatur Monsieur Maupassant noch hervorgebracht hat. Entweder werde ich mich diesbezüglich einmal umsehen oder ich belasse es, um den jetzt noch ungetrübten Eindruck nicht zu verfälschen.

      Nantes, 2. Februar 1892

      Zu Weihnachten habe ich vergeblich auf mein Buch gewartet, Mutter und Vater haben es in Liverpool einfach nicht bekommen. Vater war im Januar in London und hat es dort auch versucht. Es war in keiner Buchhandlung zu finden, weil es ausverkauft war. Erst einer von Vaters Geschäftspartnern hat mir dann zu meinem Glück verholfen. Das Heft, welches ich heute in Händen halte, ist zwar nicht mehr ganz so neu und hat auch gelitten, weil es eben nicht fest eingebunden ist, es lässt sich aber lesen. In Beeton's Christmas Annual für das Weihnachtsfest vor über fünf Jahren ist die erste Holmes-Geschichte veröffentlicht worden und daher ist diese Lektüre auch so wichtig für mich, weil ich bis heute den Anfang von Mr. Holmes und Dr. Watson nicht kenne. Hier soll es mir jetzt offenbart werden, wobei ich sicher eine der Letzten bin, die es erfahren wird.

      Nantes, 5. Februar 1892

      Ich bin froh, dass Victor nach Nantes versetzt wurde und nicht zu einem Ort namens Werchojansk, an dem vor wenigen Tagen eine Temperatur von fast achtundsechzig Grad unter null gemessen wurde. Die Zeitung schreibt, dass dies jetzt der kälteste Ort ist, an dem Menschen leben. Da dieses Werchojansk


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