SILBER UND STAHL. Nicole Seidel
sie kamen schnell dahinter, was ihnen geschehen war und warum, sie waren keine dummen Müllersöhne.
Der Müller Conrad war nach Hause gefahren und hatte sich wachend neben das Bettchen seines Töchterleins gesetzt und war dann schnell eingeschlafen.
Der Hahn krähte auf dem Misthaufen und sagte so der Sonne guten Morgen. Sabryn schlug ihre Äugelein auf und fand ihren Vater im Sessel schnarchend vor.
„Papa, ich hab Hunger!“
Conrad blinzelte ganz verwundern, erhob sich und nahm sein Töchterlein in die Arme und drehte sich voller Freude im Kreis.
„Hihi“, lachte das Mädchen, „mir wird schwindelig, Papa!“
„Sabryn, mein Liebling!“
Seit diesem Tage wurde es wieder anders auf dem Müllerhof. Ein helles Mädchenlachen klang über den Hof und der Müller Conrad verhätschelte das Töchterlein, so oft er nur konnte. Doch die Mutter des Mädchens blieb seither traurig zurück und erledigte ihre Arbeiten auf der Mühle wie mechanisch.
Erst als fast täglich sieben Raben auf dem Dach der Mühle saßen und das menschliche Treiben darunter stets ausführlich beobachteten, hegte Elevin neue Hoffnung, diese Raben mögen ihre Söhne sein, die dem Tod in Gestalt schwarzer Vögel entkommen waren.
So zogen die Jahre ins Land...
Als Sabryn fast vierzehn war, lief sie einmal einen schmalen fremden Pfad im Wald entlang, der bei einer schwarzen Ruine endete. Seit ihrem Erwachen vor dreieinhalb Jahren hatte sie immer das Gefühl gehabt, dass etwas Entscheidendes in ihrem Umfeld fehlte. Aber sie erinnerte sich nicht daran. Sie jagte zwei Schmetterlingen nach, die sie immer weiter in die Ruine hinein führten.
Unheilvoll dunkel gähnte ihr der Eingang zum verrotteten Haus entgegen. Mutig schritt Sabryn darauf zu und zwängte sich an der halb aus den Angeln gerissenen Tür ins düstere Innere. Sie tastete sich voran und stieß plötzlich mit dem Bein gegen einen festen Wiederstand. „Autsch!“
Sie fühlte neben sich eine Holzkiste ohne Deckel. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die räumliche Dämmerung und sie erblickte weitere sechs Kisten, die willkürlich im Raum verteilt waren. Und diese Kisten hatten Deckel, die neben dran lagen und die Form von ... „Das sind ja Särge!“ entfuhr es dem Mädchen.
Doch sie waren leer, was Sabryn ganz gut fand. Wer wohl darin gelegen hatte? Sieben Särge. Da schob sich plötzlich eine Erinnerung aus früherer Kindheit vor ihr geistiges Auge: Sieben Buben umringten sie, spielten mit ihr, verhätschelten sie. Sieben Brüder. Und sie erinnerte sich wieder an sie und wusste nun, was den leeren großen Raum in ihrem Herzen einst ausgefüllt hatte: „Ich habe sieben Brüder! Doch wo sind sie? Was ist mit ihnen geschehen?“
Sabryn rannte hinaus. Lief den Weg durch den Wald zurück, schnurstracks zur Mühle zurück. Dort fragte sie den Vater – doch der verleugnete die sieben Söhne. Da lief sie zur Mutter und fragte sie nach ihren Brüdern – doch diese rannte weinend fort und schloss sich ins Schlafzimmer ein. Viele Tage lang wollte niemand ihr eine Auskunft geben.
„Ich werde fortlaufen und sie suchen gehen“, meinte eines Abends das Mädchen. „Ich weiß, dass ich einst sieben Brüder hatte. Mein Herz sagt es mir. Es sagt mir auch sie sind nicht tot!“
„Diesen Unsinn schlag dir aus dem Kopf, Kind“, meinte der Vater und sperrte sie über Nacht in ihrem Zimmer ein, so dass sie nicht fortlaufen konnte.
Doch gegen Mitternacht, als alle schliefen, schlich sich die Mutter Elevin in das Zimmer ihrer Tochter und erzählte ihr von der schändlichen Tat ihres Mannes Conrad. Auch sie glaubte nicht daran, dass die sieben Buben tot seien und erzählte ihr von den sieben Raben, die anfangs einige Zeit die Mühle bewacht und beobachtet hatten. Doch nach einem lauen Winter waren die sieben Vögel verschwunden.
„Mutter, ich werde sie suchen gehen!“
„Ich werde dich nicht aufhalten, mein Kind.“
So packte sich das Mädchen Sabryn ein Bündel mit Ersatzkleidung und Essensproviant und machte sich noch in der gleichen Nacht auf. Sie lief fort und suchte ihre Brüder.
Doch die sieben Brüder im schwarzen Federkleid hatten sich nie wirklich fort von der Mühle begeben. Ein oder zwei waren immer in der Nähe gewesen und hatten das Schwesterlein bewacht, während die restlichen Vögel am Himmel die Welt erkundet hatten. So auch an diesem Morgen, schraken die jungen Zwillinge Andward und Alfward auf und suchten erst Sabryn... doch als sie immer weitere Kreise um die Mühle und Mühlbachstadt zogen fanden sie ihr Schwesterlein auf einer Straße nach Westen laufend vor.
Zu Anfang war die Wanderlust des Mädchens noch ungebrochen, aber in einer regnerischen Nacht, in der sie sich nirgends unterstellen konnte, begann der große Kummer. Ihre Tränen mischten sich mit dem Regen, sie war bis auf die Knochen nass und fror entsetzlich – und wollte nur noch nach Hause.
Da setzten sich sieben Raben zu ihr und spendeten ihr Trost. Sabryn erkannte sie. Zuerst war die Freude groß – Kummer und Regen vergessen. Und beschützt von sieben schwarzen Vögeln schlummerte das Mädchen ein.
Mit den ersten Sonnenstrahlen erschien eine hübsche Frauengestalt am Wegesrand. Ihre Haut schimmerte golden und ihr Kleid am schlanken Leib war aus allen herbstlichen Farben von Grün-Gelb-Brauntönen gefertigt. Es war die Erdgöttin Gaia, die da vor ihnen stand – doch weder die Rabenbrüder noch Sabryn erkannten sie. „Meine sieben schwarzen Freunde, ihr dürft nur an der Seite eures Schwesterleins bleiben, wenn sie ein Opfer bringt.“
„Ein Opfer? Gerne, wenn nur die Brüder bei mir bleiben können!“ Demütig senkte das Mädchen den Kopf vor der Göttin, denn ihr Strahlen blendete sie ein wenig.
„So soll es sein. Fortan – bis dass der Fluch behoben sei – sollst du Schweigen!“ Sanft berührte die goldene Frau das Mädchen und verschwand im Wald.
Und seit diesem Morgen blieb Sabryn stumm. Doch hatte sie die Gewissheit, dass ihre Brüder mit Klauen und Schnäbeln über sie wachten. So zog sie noch einige Zeit weiter des Weges.
Irgendwann fand ein junger Kaufmann, das umherwandernde Mädchen und verliebte sich in sie. Er bat sie, ihn nach Feldwaldingen zu begleiten und seine Frau zu werden. Auch Sabryn war sehr angetan von dem hübschen jungen Kaufmann mit Namen Hubwald Engerling und willigte ein. So hielt sie Hochzeit mit fünfzehn und schien ein glückliches Leben führen zu können, wäre da nicht die Mutter des Kaufmanns gewesen: Hagnessa Engerling.
Von Anfang an hegte Hagnessa Argwohn gegen das unbekannte, sanfte Mädchen das niemals ein Wort sprach. Aber sie war fleißig, hübsch und ihr Sohn Hubwald liebte die junge Frau aufrichtig, so musste die Mutter die Rivalin im Haus tolerieren. Aber akzeptieren konnte sie sie nicht!
Als sie des Öfteren beobachten konnte, dass sich die Anvermählte heimlich im nächtlichen Garten mit sieben Raben traf, die sie wie Kätzchen liebkoste, war ihr das Mädchen unheimlich. Sie erzählte ihrem Sohn davon, doch Hubwald wusste von den sieben Raben, die Sabryn stets irgendwo nahe waren. „Die Raben sind harmlos, Mutter. Lass Sabryn nur machen.“
„Irgendwas stimmt mit dem Mädchen nicht, Hubwald. Sicher lastet ein Fluch auf ihr – oder sie ist eine Hexe!“
„Ach, Mutter, rede nicht so einen Unsinn. Sie ist ein ganz liebes Mädchen – lass sie in Ruhe!“
Da ihr Sohn hinter der jungen Frau stand, entsann sich die Mutter einen bösen Plan, um das stumme Mädchen los zu werden, dazu brauchte sie einen verschwiegenen Dieb und die Gelegenheit ihr etwas Belastendes unter zu schieben. Über ein halbes Jahr intrigierte Hagnessa gegen die verhasste Schwiegertochter... und als ihr Kaufmannssohn mal wieder auf Geschäftsreise war, trieb ihr heimtückischer Plan saure, grausame Früchte!
Man fand Diebesgut – weitgehend Schmuck reicher Damen der Stadt – im Zimmer Sabryns, die daraufhin verhaftet wurde.
III
„Sie ist – krah