Die Hexe zum Abschied. Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied - Günter Billy Hollenbach


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      „Was ist geschehen?,“ frage ich.

      „Das ist weitgehend unklar. Die Kollegin Conrad führt die Ermittlungen, Vera Conrad.“

      Sie war vor Corinna am Tatort, vorgestern, Donnerstag Abend. Ein Schlafzimmer in einer Wohnung in einem kleinen Haus in der Römerstadt. Ihr Freund hat das Opfer gefunden. Gefesselt, geknebelt und blutend, die Kleider vom Leib geschlitzt, mit Kreuz- und Querschnitten im Genitalbereich und Säure-Verätzungen auf den Brüsten.

      „Ääch nein! Widerlich!,“ tönt Mona entsetzt.

      Ich: „Mann, wie fies.“

      Hinweise, wer es angetan hat, gibt es noch nicht.

      „Und sie? Was sagt die Frau, wie es geschehen ist?“

      „Noch mal. Wir wissen es nicht. Noch nicht. Als wir kamen, war der Rettungswagen mit ihr bereits abgefahren.“

      „Das ist die Prostituierte, die Du vorhin meintest?,“ frage ich.

      Ja. Im Schlafzimmer fanden sich eine Peitsche, stoffbezogene Handschellen, schwarze Spitzen-Unterwäsche, Strapse, Ledermaske. Aus dem Waschbecken im Bad wurden Männerhaare sichergestellt.

      „Deswegen muss sie keine Prostituierte sein,“ denkt Mona laut. „Vielleicht war das ihre private Leidenschaft.“

      „Möglich. Aber dafür wirkten die Sex-Sachen zu aufwendig.“

      „Dieser Freund, ist das ihr Zuhälter?,“ fragt Mona. „Habt ihr eine ungefähre Tatzeit? Wo war der Kerl währenddessen?“

      „Halt, Mona, der Reihe nach: Zuhälter? Wir schließen es nicht aus. Die Frau ist Russin. Aber vielleicht galt der Angriff letztlich ihm.“

      „Wieso? Ach, Du meinst ... pah, das ist übel!,“ bemerkt Mona entgeistert. Die Frau verstümmeln, um ihm zu schaden.

      „In Mafia-Kreisen nicht unüblich,“ stellt Corinna fest. „Bis jetzt nichts als eine Vermutung. Falls sie für ihn anschafft, wäre er ein gutbürgerlicher Kontaktvermittler. Mein Gefühl sagt: Eher unwahrscheinlich.“

      Der Mann ist Russlanddeutscher, macht einen gebildeten, soliden Eindruck. Arbeitet als Software-Entwickler in einer kleinen Firma im Westend. Als Täter kommt er nicht in Frage. Die Frau ist mittags gegen drei nach Hause gekommen. Zu der Zeit saß ihr Freund in Auftragsverhandlungen im schwäbischen Waldorf. Felsenfestes Alibi.

      Monas steigt immer angeregter ein.

      „Wie geht der mit dem Beruf seiner Freundin um? Ich als Mann ... ich könnte mir nicht vorstellen, so eine Frau oder Freundin zu haben.“

      Corinna beweist große Geduld mit Monas Unterbrechungen und bleibt bei ihrer sachlichen Berichterstattung.

      „Ich habe ihn nur vorläufig gesprochen. Der Mann wirkte erschüttert und verstört. Dass seine Freundin anschaffen geht, weist er entschieden zurück. Er sagt, sie sei Ärztin, hätte Frühschicht gehabt.“

      Oder er will sie schützen, biete ich an. Dann sagt er so etwas. Abgesehen davon: So selten ist das nicht. Für einen Hungerlohn als Ärztin in Russland schuften oder hier dickes Geld machen für erotische Gesundheitsdienste – das ist für viele Frauen verlockend, trotz guter Berufsausbildung.

      „Das ist uns bewusst, Robert. Als Ärztin versteht sie etwas vom männlichen Körper und seinen empfindlichen Stellen. Beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere als Sado-Maso-Domina.“

      Die Frau wurde bislang nicht auffällig, lebt legal hier, hat seit acht Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft, keine Vorstrafen.

      „Und nun? Was macht sie jetzt“?

      Seit gestern wird sie in Königstein in einer privaten Klinik für plastische Chirurgie und Hauttransplantation behandelt und strikt abgeschirmt.

      Corinna verzieht den Mund.

      „Wir hoffen, dass wir sie bald befragen können. Wir brauchen Hinweise auf den Täter und das Tatgeschehen.“

      Sadistische Sexualtäter steigern sich fast immer. Das nächste Opfer könnte Schlimmeres erleiden als die einschlägigen Verletzungen.

      Etwas verlegen fügt sie hinzu:

      „Zunächst werten wir Spuren aus; Fingerabdrücke, Telefonkontakte. Sehr mühsam; der Tatort wurde durch massig Fremdspuren verunreinigt; die Rettungsdienstler, zwei Streifenkollegen, der Freund. Wenn die Haare im Abfluss zu einer Person in unseren Dateien passen, hilft das weiter. Braucht aber alles seine Zeit.“

      Unsere Anmerkungen springen hin und her.

      „Wer macht so etwas?,“ überlegt Corinna. „Und warum; das sind die Schlüsselfragen.“

      Eine Frau derart gezielt zurichten?! Trotzdem, gesteht Corinna, hält sich ihr Mitgefühl in Grenzen. Sonst kann sie nicht unvoreingenommen ermitteln. Erst mal ist der Neskovaja alles Gute für die ärztliche Behandlung zu wünschen. Das hat die Frau verdient, egal, woher das Geld dafür kommt. Die Privatklinik gilt als führend bei der Hauterneuerung.

      Etwas klickt in meinem Kopf.

      „Halt, Corinna, wie heißt die Frau?“

      „Neskovaja. Gebürtige Russin. Mit Vornamen Tatjana. Warum?“

      Die kenne ich.

      Mona ruckt in erheiterter Verwunderung empor.

      „Berkamp, Du! Das ist krass! ... Obwohl, nicht völlig überraschend. Wenn man bedenkt, was Du dir von Mammi gefallen lässt ...“

      „Stimmt. Oder von meiner herrschsüchtigen Tochter.“

      Corinna greift neben sich, hebt vom Teppich Schreibbrett und Kugelschreiber auf, beginnt, sich Notizen zu machen.

      „Noch mal; die Frau? Russin, Mitte Dreißig, gut gebaute Figur, braungoldene, kurze Haare, frisches Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem herzförmigen Mund ....“

      Der Kugelschreiber verharrt in Schreibstellung über dem Papier.

      „Ja, Robert, das passt; ich schätze, das ist sie. Zumindest nach den zwei Bildern, die ich gesehen habe, in ihrem Ausweis und im Schlafzimmer. Wie gesagt, sie selbst war auf dem Weg in die Klinik. Woher kennst Du sie?“

      „Ich bin ihr mal begegnet ... im vorigen Sommer.“

      In der Orthopädischen Abteilung im Nordwest-Krankenhaus. Sie war dort Assistenzärztin. Als ich Oberkommissar Schuster besucht habe. Wir haben kurz miteinander gesprochen, vor seinem Zimmer.

      „Also doch Ärztin. Das könnte hilfreich sein.“

      „Ja klar. Sie hat mich auf Schusters Muskelhormone hingewiesen. Die Frau war nett ... und sah gut aus.“

      „Das konntest Du Fachmann sofort erkennen?“

      Typische Mona-Frage.

      „Im Arztkittel natürlich. Was da drunter war, ließ sich nur ahnen.“

      „Und schon hat sie dich auf ihres privaten Folterbett eingeladen?“

      „Mona, Robert, bitte, hört auf damit. Bleibt bei der Sache.“

      Der Name der Frau und die Erinnerung an unser Gespräch geben Corinna Mitteilungen ein Gesicht und meiner Aufmerksamkeit einen zusätzlichen Schub. Vor meinem inneren Auge entsteht ein Sekundenfilm über den Ablauf des Geschehens im Schlafzimmer. Der an mehreren Stellen hakt, Fragen aufwirft.

      „Wie war die Frau gefesselt, Corinna?“

      Den Blick auf das Notizbrett gerichtet antwortet sie holperig.

      „Müssen wir ... klären. Mit ihren ... Sex-Handschellen, nehme ich an.“

      „Hat deine Kollegin Conrad das nicht festgestellt?“

      „Robert, wir sind auch nur Menschen. Manche Verbrechen gehen einem mehr ans Gemüt als andere.“

      Kannst


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