Die Hexe zum Abschied. Günter Billy Hollenbach
Tee schlürfen.“
„Genuss, der anderen Leuten die Nerven raubt.“
Die nächste Runde steuert erfahrungsgemäß auf mich zu. Anfangs bin ich noch in Monas Falle getappt, habe verlegen rumgeredet. Inzwischen nutze ich das Mittel der provokativen Therapie: Je schräger die Erklärung, je unmöglicher der Lösungsvorschlag, desto größer die heilende, alle zum Lachen bringende Wirkung.
„Egoistin, Mammi. Du bräuchtest doch nur etwas pusten und dann leiser schlürfen. Was meinst Du, Berkamp? Stört dich das nicht?“
„Jetzt, wo Du es sagst, Mona, denkbar.“
Sie, leicht empört:
„Was ist denn das für eine Antwort? Stell dir mal vor, Du musst das die nächsten Jahre hören!“
Natürlich bin ich gebührend entrüstet.
„Entsetzlich, Mona, nicht auszudenken. Womöglich für hundert Jahre.“
Worauf Corinna ihren Griff zur Salatschüssel umlenkt und mir leicht gegen den Oberarm boxt.
„Jetzt fang Du auch noch an. Wo bin ich hier bloß reingeraten?!“
„Wieso? Wenn sie recht hat, hat deine Tochter recht.“
„Na bitte, da hörst Du es. Also!“
Corinna schaut etwas grimmig zwischen uns beiden hin und her.
Mona, mit dem Teelöffel auf mich deutend, fordernd.
„Ja, ... und, wie weiter? Hast Du auch einen brauchbaren Vorschlag. Gegen ihr Schlürfen, meine ich.“
„Selbstverständlich. Ganz einfach!“
Wir sperren Corinna in die Besenkammer, erkläre ich; sägen einen Schlitz in die Tür, durch den Tee nachgeschenkt wird. Und sie kann darin schlürfen, so lange und so laut sie will.
„Problem gelöst, jeder frönt ungestört seinen Leidenschaften.“
Mona ist klug.
Und offenherzig.
Bei einer dieser Gelegenheiten bekennt sie mit stockender Stimme, was wirklich dahinter steckt. Wie glücklich sie ist, ein Stück vom Traum des früher oft vermissten Familienlebens finden, nachholen zu können. Die heimlich gescholtene Corinna sitzt schweigend daneben, sichtlich gerührt, und nickt stumm.
4
Samstag Abend, Redezeit. Bereits nach wenigen Wochen wurde sie zur festen Gewohnheit. Keiner von uns möchte sie mehr missen. Mona bevorzugt die rechte Seite der hellen Ledercouch, quer gegen das Seitenpolster gelehnt, Beine angezogen, Füße auf der Sitzfläche daneben, Hände oder einen Arm um die Knie gelegt.
Mir ist die linke Seite der Couch recht. Corinna räkelt sich schräg gegenüber in einem neigungsfähigen Ledersessel mit hoher Rückenlehne. Sie und ich strecken, halb sitzend, halb liegend, unsere Beine auf den flachen Couchtisch zwischen uns. Wie zufällig beginnen unsere Zehen miteinander zu spielen.
Monas Sinn für Gerechtigkeit.
Nach einer Schonzeit bekomme ich ebenfalls mein Fett weg.
„Sag mal, Berkamp ...? Guckst Du hin und wieder in den Spiegel?“
„Jeden Morgen, und wasche mich trotzdem anschließend.“
„Das ist ja wohl das Mindeste. Außerdem meine ich das nicht.“
Sondern meine Klamotten. Sie denkt, ich laufe stets in denselben Sachen rum.
„Falsch, Mona. In den gleichen.“
„Haarspalter. Wer dich sieht, muss denken, Du hast nur ein Hemd, eine Hose und eine Jacke.“
„Und eine Krawatte und ein Jackett, beim Coachen meiner Kunden.“
„Stimmt, einmal habe ich dich im Jackett gesehen. Ist ja auch wurst.“
Ihr würde das tierisch auf den Keks gehen, immer die gleichen Sachen, gesteht Mona. Vor allem die braune Lederjacke. Die sieht aus wie aus dem Ersten Weltkrieg.
„Wenigstens erkennt man daran, wie alt ich bin.“
„Stört dich das nicht, was die Leute denken?“
„Und woher weißt Du, was die Leute denken?“
„Ist ja wohl kein Geheimnis. Die fragen sich, ob Du so arm bist, dass Du dir nichts Besseres leisten kannst. ... Ne neue, schicke Jacke, zum Beispiel. Oder, noch schlimmer, die halten dich für geizig.“
„Wenn das die Leute echt stört, sagen sie es mir demnächst.“
„Ha, ha. Das machen die bestimmt, klar doch. Trotzdem, ich verstehe nicht, wie Du das aushältst ... jeden Tag.“
Ich mag diese kleinen Streiterein mit ihr. Klar, weil ich Mona mag.
„Ich sehe das genau andersrum, Mona.“
Meine Bekleidung muss mich den ganzen Tag aushalten. Aus Dankbarkeit für diese aufopfernde Leistung halte ich ihr die Treue und behandele sie ordentlich.
Hilfsangebot von Corinna:
„Das stimmt, Roberts Sachen sind immer sauber und gepflegt.“
Was Mona mit einem verächtlichen „Ordnungsfetischist“ beiseite wischt.
„Psychologen nennen als Kontroll-Fanatiker, richtig?!“
Corinna, mit tadelndem Kopfschütteln:
„Wie Du dir das gefallen lassen kannst, Robert? Mona zieht über dich her und Du sitzt da, als ob es dir Spaß macht.“
„Das ist im Preis eurer geschätzten Anwesenheit inbegriffen.“
Mona schubst mich mit der Ferse an.
„Du liebst uns nicht. Hast bloß Angst, wir laufen weg, wenn Du dich ordentlich zur Wehr setzt?“
„Wozu, Mona? Bis jetzt hat mich noch niemand angegriffen.“
„Feigling!“
„Wenn Du es genau wissen willst. Ich habe in China-Town die Zielübung eines Mannes mir Gewehr überstanden. Also stecke ich ganz gelassen weg, was deine spitze Zunge von sich gibt.“
Dazu streichele ich Mona über die Knie.
Sie schaut mich verlegen lieb an, formt mit den Lippen ein Küsschen.
„Angeber! Außerdem lenkst Du vom Thema ab.“
Nach einem Augenblick des Nachdenkens befindet sie:
„Wetten, gegen mich hast Du keine Chance?“
Corinna, nicht mehr so heiter wie eben:
„Was soll das denn jetzt, Mona? Hör auf damit!“
„Wieso? Den Kampf hat er schon verloren. Das schafft er nicht.“
Dass bei uns das Fernsehgerät selten eingeschaltet ist, braucht bei der Sachlage keine weitere Erklärung.
Ich trinke einen Schluck Tee, angele mir Kartoffelchips und befinde:
„Okay, werdet euch einig, wogegen ich keine Chance habe, und informiert mich über meine Niederlage.“
Mona verkündet siegessicher.
„Dreimal freiwillig kochen, Mammi, dass er ,Nein’ sagt.“
Flinkes Rausstrecken der Zungenspitze in meine Richtung.
„Das möchte ich erleben,“ bestätigt Corinna neugierig.
„Prima, Mammi. Was ist, Berkamp? Traust Du dich? Wetten, dass Du dich darauf nicht einlässt!“
„Worauf soll ich mich einlassen, Mona?“
„Dass Du regelmäßig meine BHs