Die Hexe zum Abschied. Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied - Günter Billy Hollenbach


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lässt ihr berühmtes Teeschlürfen hören.

      „Was sie von dir hält, verrate ich selbstverständlich nicht.“

      Wie schön, eine verschwiegene Frau, Komma, Freundin zu haben.

      „Hör mal, am Freitag? Wir reden endlich über Haushaltsgeld. Am besten mit Mona zusammen. Das Kind soll sich endlich mit den Mühen unseres Alltags befassen.“

      Durchsichtiges Ablenkungsmanöver.

      „Von mir aus.“

      „Wie Du meinst. Jetzt sag endlich, wie gefällt sie dir ... Vera.“

      „Sprichst Du von Frau Conrad? Ich war überrascht, wie hübsch sie ist. Geradezu begeistert hat mich ihre Stimme. Ungewöhnlich freundlich, klar, leicht, wie sie klingt.“

      „Und ... welche Farbe? Ihre Stimme?“

      Zuerst hat Corinna gedacht, ich veralbere sie, als ich meine nichtalltäglichen Fähigkeit erwähnte. Hirnforscher sprechen von Synästhesie. Ich sehe Töne, Musik und menschliche Stimmen in unterschiedlichen Farben und fühle sie vor allem in den Energiezentren meines Körpers – auch Chakras genannt. Als Junge fand ich das so normal, dass ich es kaum bemerkte und mir nichts dabei dachte. Vor mehreren Jahren habe ich – natürlich auf einem schamanischen Workshop – gelernt, dass die Farben und Gefühle Hinweise vermitteln. Auf das Wesen und die Befindlichkeit der Person, die spricht. Vor allem bei Menschen, denen ich zum ersten Mal begehe, achte ich seitdem auf diese unbewusste Kommunikationsebene.

      „Helles Königsblau, prickelnde Schwingungen im Kehlkopfbereich, anregend, heiter und willkommen.“

      „Und, was schließt Du daraus?“

      „Willenskraft, Urteilsfähigkeit. Mut, ihre Meinung zu sagen und dazu zu stehen; aufgeschlossen für Träume, Märchen, Phantasie. Lauter Schlagwörter, die alles und nichts bedeuten können.“

      „Nöh, mein Lieber, ich finde, das trifft viel von Veras Wesen.“

      Teeschlürfen, lautes Seufzen.

      „Ich sehe schon, Du und ich ... wir passen nicht zusammen. Ich mit meiner orange-roten Stimme.“

      „Herzblatt, ich habe es dir schon mal gesagt: An sich wirkt deine Stimme auf mich sexy und sinnlich, tiefer im Bauch.“

      Leider oft mit Grau durchsetzt. Ich schätze, das kommt von verminderter Flirtneigung als Folge dienstlichen Gedankenschrotts. Das jetzt zu sagen verkneife ich mich natürlich.

      „Berkamp, wie halte ich es bloß mit dir aus?“

      „Wieso, ich mag meine Macken; harmlos und pflegeleicht.“

      „Tja, wenn Du es sagst. Übrigens, nebenberuflich spielt Vera in einem Laientheater in Bornheim. Demnächst wieder in der Naxos-Halle.“

      „Oh, das sollten wir uns mal antun.“

      „Gut, Robert, ich frage sie. Und sie betreut eine Gruppe von Problem-Jugendlichen im „Kamerun“, also im Gallusviertel. Die Frau ist ziemlich aktiv, beneidenswert. Tja, ist wohl der Vorteil, wenn man jünger ist. Nicht wahr, mein Lieber?“

      Es folgen ein paar von Corinnas berüchtigten Gedankensprüngen.

      „Bin ich froh, dass ich keine Kinder mehr kriege. Sag mal, was hältst Du davon, mich zu informieren, bevor Du dich in meine Ermittlungsarbeit einmischt? Nebenbei, wieso hast Du die Pistole mitgenommen? Komische Art von Krankenbesuch, findest Du nicht?“

      „Tja, Corinna, dank deiner Überredungskünste besitze ich nun mal den Waffenschein und das Schießgerät.“

      „Verstehe, eine Pistole als symbolischer Ersatz für mich?!“

      Täusche ich mich? Am Telefon wirkt Corinna oft eine Spur schlagfertiger und witziger als daheim in der Küche.

      „Ach, ist das schön, solch eine pfiffige Frau zu haben.“

      „Habt ihr über den Fall Neskovaja gesprochen?“

      „Nur flüchtig. Ich glaube, deine Kollegin arbeitet sehr sorgfältig.“

      Ein vorauseilendes Lob kann nicht schaden.

      „Hör mal,“ schneidet sie den Satz ab, „Vera hat gemeint, Du willst privat für die Neskovaja ermitteln. Hast Du das vor?““

      „Ja, warum nicht?“

      „Meinen Segen hast Du, wenn Du nichts Besseres zu tun hast. Mehr als wir kannst Du sowieso nicht rauskriegen; da bin ich mir sicher.“

      Abwarten, denke ich.

      „Mal ganz ehrlich, Robert, was treibt dich ausgerechnet in der Sache an? Wenn Du dir unbedingt die Zähne ausbeißen willst ... ich kann dich locker mit ein paar meiner ungelösten Fälle beschäftigen.“

      Eine schlüssige Antwort fällt mir tatsächlich nicht ein.

      18

      Während des Vormittags texte ich an einer Rede im Auftrag einer Anwaltskanzlei. Doch meine Gedanken schweifen immer wieder ab.

      Im Hinterkopf tönt wiederholt Corinnas Frage.

      „Was erhoffst Du dir von dem Besuch bei Frau Dr. Neskovaja?“

      Eine mich selbst überzeugende Antwort finde ich nicht.

      Gedanken bewegen sich oft – wie auf festen Verbindungslinien – blitzschnell hin und her. Zwischen Personen und Begebenheiten, die gefühlsmäßig miteinander verbunden sind. Denke ich an Gisela, sehe ich sofort unsere Tochter Claudia.

      Ich schätze, mit dem Auftauchen des Namens der Ärztin sind in mir Gefühle wiederbelebt worden, die in Wahrheit mit Oberkommissar Schuster zu tun haben. Zwischen beiden Personen bestand nur ein zufälliger, nahezu bedeutungsloser Zusammenhang.

      Jetzt spuken mir die Erinnerungen von damals wieder nah und lebhaft im Kopf herum. In jener Wahnsinnsnacht Anfang August hatte Schuster eine Kugel abbekommen, nach seinem Schuss auf die wehrlose Chefin. Das brachte ihm den Krankenhausaufenthalt ein.

      Wo Frau Neskovaja in der Orthopädie-Station arbeitete. Sie hielt mich für seinen Kollegen und erwähnte Schusters Muskelhormone. Damit lieferte sie nebenbei eine mögliche Erklärung für seine Neigung zu unvermittelten Stimmungsschwankungen und für die impotent-brutale Gewalt gegen Mona.

      Jetzt konnten der Bulle und die Ärztin nichts mehr miteinander zu tun haben. Aus dem Krankenhaus heraus entzog Schuster sich der Festnahme und ist seitdem spurlos verschwunden. Alle polizeilichen Erkenntnisse führten zwingend zum Ergebnis Selbstmord. Seit September des Vorjahrs ist der Mann Geschichte.

      Gefühle folgen selten der Logik.

      Wenn beide Namen jetzt in einem Gedankengang aufblitzen, ist das zwar erklärlich. Doch hüte dich sich vor derartigen Kurzschlüssen. Sie können zu falschen Folgerungen führen. Weil du spätere Ereignisse unbewusst im Licht der Voreingenommenheit von damals betrachtest. Dass der Überfall auf die Ärztin – eine von vielen Personen, die Schuster damals betreut haben – irgend etwas mit der alten Sache zu tun haben könnte, wäre solch ein naheliegender Denkfehler.

      *

      Außer zu festen Terminen mit Coaching-Kunden passt sich meine Bürozeit mühelos den Neigungen und der Trägheit meines Kopfes an. Meine Neugier und die gestrige Begegnung mit der hübschen Vera Conrad liefern die besten Gründe, am Nachmittag ins Auto zu steigen und wieder nach Königstein zu fahren. Obendrein regt sich ein gehöriger Schub Ehrgeiz; der Wunsch, Corinna zu widerlegen. Wetten, mein Schatz, ich kann mehr herausfinden als ihr. Egal was. Etwas zu erreichen – auf meine Weise, auf ihrem Arbeitsfeld –, was sie staunen lässt, reizt mich ziemlich.

      „Mal sehen, wohin meine Fragen führen.“ Schon oft erwies sich der Vorsatz als ein starker Antrieb, mich mit einer Sache zu befassen. Selbst wenn ich anfangs nicht viel Ahnung habe, worum es geht. Als Einstieg


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