Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

Jakob Ponte - Helmut H. Schulz


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Gottes Willen! Was hast du wieder angestellt? Bei Geschäften verstehen die keinen Spaß. Wir müssen die Zigaretten zurückgeben, sonst werden wir alle an die Wand gestellt! Was du auch machst, es ist ein Kreuz mit dir«, rief er aufgeregt. Seit seiner Haft und seiner Registrierung als potenzieller Kriegsverbrecher war er schreckhafter denn je und zitterte, wenn ihn ein Fremder auch nur ansah und verkroch sich bei Gefahr in einem Winkel des Hauses. Ich aber dachte nüchterner als er; wenn der Dicke auf der Unterseite der Schale nur diese blauen Schwerter vermisst hatte, und wenn er gewissermaßen eine Anzahlung auf die nachfolgenden Objekte an Porzellan geleistet hatte, dann wollte ich keine Mühe scheuen, seine Wünsche zu erfüllen. Von an die Wand stellen, konnte keine Rede sein.

      Zurück in Amerika, bei der Prüfung der im europäischen Krieg gemachten Ankäufe durch den Fachmann, musste allerdings die Wahrheit herauskommen. Nun, gut, inzwischen würde Zeit verflossen sein und die Entfernungen waren groß, und ob Amerika einem betrogenen Kleinkrieger eine zweite Reise finanzieren würde, war ungewiss. So untersuchte ich denn im Kellerversteck unter dem alten Geschirr die Unterseite der Tassen und Teller auf das Wertzeichen hin ab, fand aber nur wenig, entweder, weil ich nicht entdecken konnte, wo Großmutter dieses Geschirr aufbewahrte oder weil wir nichts mehr davon besaßen. Der Dicke betrat den Laden nicht wieder, aber es kamen genug andere, die dringend nach Porzellan mit den blauen Schwertern verlangten. Notwendig kam der Tag heran, wo ich begann mit einem Tuschepinsel und blauer Farbe die gekreuzten Schwerter auf den Rückseiten der kleinen Teller und Tassen nachzuahmen, ich entwickelte bald ein besonderes Geschick in dieser Kunst, machte eines Tages die Probe aufs Exempel und legte Großvater ein Produkt meiner Übungen und die Frage vor, ob es sich hier um ein echtes Stück aus Meißen handeln könne. Der Erfolg war überwältigend; der Alte erkannte meinen Teller als echt an. Da übernahm ich kühn den Handel mit diesen leicht zu beschaffenden Objekten, leicht insofern, als ich vermittels der Einnahme von Zigaretten überall Geschirr erwerben konnte, um es zu Porzellan zu veredeln. Allein Großmutter zu täuschen, gelang mir doch nicht; sie kam natürlich bald hinter diesen Schwindel und nannte mich einen Taugenichts, der im Zuchthaus enden könne, billigte aber das Unternehmen, unterstützte meine Geschäfte durch nützliche Hinweise, immer nur ein Stück ins Regal zu legen und diese Maßnahme erleichterte den Handel ungemein, denn sie enthob meinen Kunden des Zweifels, der Qual der Wahl. Worauf es ankam, war klar, die Unterseite des Objektes entschied. Die Käufer verstanden nichts davon; ich verstand auch nichts davon, und ganz ohne Risiko war dieser Handel sicherlich nicht. Was, wenn ich es eines Tages mit einem Sachkundigen zu tun bekam? Immerhin handelte es sich für den überseeischen Krieger um ein heiliges Andenken an den großen Krieg. Wahrscheinlich hätte ich im Laufe der Zeit alles Steingut unserer Gegend in Meißener Porzellan verwandelt, wären nicht alsbald neue Besatzer erschienen. Von meinem Fenster aus sah ich die alten Krieger wieder abfahren, die Panzer, die Jeeps, den ganzen großen reisenden Tross des siegreichen Amerika, hie und dort mein Porzellan im Gepäck. Und es war noch ein Geringes, was sie mitnahmen, denke ich jetzt eines großen Raubes, den des berühmten Merseburger Domschatzes, den die Bonner Deutschen ein Lebensalter später und nach einem Deal mit der Regierung der USA und einer exorbitant hohen Summe D-Mark von den lieben amerikanischen Verbündeten zurückkauften; zu schweigen von den Kunstgegenständen, den echten Bildern, wie noch mehr unechten, welche verzollt oder geschmuggelt die alte europäische Welt verließen.

      Von meinem Fenster aus sah ich sie abfahren und ich sah die anderen ankommen; alte und neue Autos, auch wieder Jeeps, Pferdefuhrwerke und Reiter; Infanteristen in erdbraunem Rock, ihr Habe in einem verknoteten Sack auf dem Buckel, die Maschinenpistole umgehängt, umlagert von einer Wolke aus Staub und Machorka; es schien, als würde diese neue Macht von weiter hergekommen zu sein, als aus den USA. Im gotischen Rathaus rannten die provisorisch ernannten Ratsmänner durcheinander, wie ich von meinem Fenster aus beobachtete, packten Sachen und Akten ein oder wieder aus, flüchteten den erste Siegern nach oder rüsteten sich zum Empfang der neuen Besatzungsacht. Es rasselte der Tross heran und kam auf dem Pflaster des Adolf-Hitler-Platzes zum Stehen. Ich habe bei diesen Aufgeregtheiten der Tatsache zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, dass die erste Besatzungsmacht einige Klempner oder städtische Arbeiter rief, kaum dass sie die Koffer ausgepackt hatten, um die alten Namensschilder abzubrechen, beziehungsweise mit Farbe zu schwärzen.

      Unserem Platz ermangelte es kurzfristig an einem Namen, so wichtig schien ihnen diese Aktion. Großvater entsann sich an die Zeit, als das Viereck noch Kaiser-Wilhelm-Platz hieß, in der Weimarer Zeit allerdings den Namen Friedrich-Ebert-Platz bekommen hatte, bis er nach der Machtergreifung 1933 endlich für zwölf Jahre den Namen erhielt, unter dem ich das Licht der Welt erblickt hatte, Adolf Hitler. Man konnte damals natürlich nicht voraussehen, dass der Platz noch unter anderen Namen in die Stadtpläne eingehen sollte.

      Ich glaube, es gehört zu einer der Wendebesonderheiten, als Erstes die Namensschilder auszuwechseln, das Vergangene auszulöschen und sich dem neuen Lauf anzupassen, heute unter der Phrase vorauseilender Gehorsam. In London heißt der Trafalgar Square seit der berühmten Seeschlacht eben einfach Trafalgar Square, auch wenn die Regierungen gewechselt haben, und sogar wenn kein Stein im Königreich auf dem anderen geblieben ist; Trafalgar Square bleibt von Ewigkeit zu Ewigkeit wie die Monarchie, glückliches Volk.

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