Sprachlos. Marlen Knauf

Sprachlos - Marlen Knauf


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nahe am Wasser gebaut, laufen Tränen.

      (Tränen der Begeisterung über seine Lügenmärchen, die er so gut verkauft, dass ich sie glaube. Nie und nimmer kommt es zu einem Telefonat mit seinem Sohn. Die angekündigte Begegnung ist nicht realisierbar. Es gibt keine Gespräche zwischen ihm und seiner Ex-Frau. Jegliche Kontaktaufnahme ist ihm unter Strafe untersagt. So muss er sich für den Musikwettbewerb eine perfekte Ausrede ausdenken, was ihm nicht schwerfällt.)

      Da es nur in begrenzter Zahl Eintrittskarten gibt, bekommen natürlich die Großeltern den Vorzug, wofür wir gefälligst Verständnis aufbringen sollen. Fast hätte er schon die Flugtickets für den Flug ins Rheinland bestellt. Natürlich ist Peter enttäuscht und verbittert. Er schimpft auf seine ehemaligen Schwiegereltern und seine Ex-Frau. „Du siehst Liebling, es hat sich nichts geändert. Erst die Großeltern, dann erst lange danach der Vater.“

      Mich berührte die ganze Sache nicht sonderlich. Natürlich hätte ich ihn zu diesem großen Auftritt begleitet und bei der Gelegenheit den kleinen Mann kennengelernt.

      (Heute weiß ich, er hat für seinen Sohn und die Tochter nie Unterhalt gezahlt . Er verschwendet keinen Gedanken an seine Kinder. Im Gegenteil, benutzt er sie zur Untermauerung seiner Glaubwürdigkeit.)

      „In den Sommerferien, darauf kannst du Gift nehmen, lasse ich mir mein Recht einige Wochen mit meinem Sohn zu verbringen, nicht nehmen. Dann mieten wir ein großes Wohnmobil, das für uns drei und natürlich das Motorrad,“ das noch immer in Belgien steht, „Platz hat.“ Die Reise soll uns an der Loire entlang bis zum Atlantik führen. „Dann kann er endlich für kurze Zeit wieder Kind sein, toben, Fußball spielen. Muss sich nicht dauernd die Ermahnungen, sei vorsichtig, passe auf deine Finger auf, die du zum Klavierspielen benötigst, anhören.“ Die Großeltern sind so ehrgeizig, erlauben sich Über- und Eingriffe in das Leben ihres Enkels, so wie früher bei Tochter und Schwiegersohn. Peter leidet sichtlich.

      Wie gerne würde er den Kontakt zu seiner Schwester, ihrem Mann und dem kleinen Neffen pflegen, jedoch sind sie immer nur auf ihre Vorteile bedacht und darauf aus, von seinem Erfolge zu profitieren.

      Hin und wieder telefoniert er mit seinem kranken Vater. Besuchen will er ihn nicht, da sich der Vater kurz nach dem Tod der Mutter eine dicke, dreckige Schlampe ins Haus geholt hat, so Peter. Zur Zeit hält sich der Vater bei seinem Freund, einem Förster in Mecklenburg- Vorpommern auf. Mit ihm zusammen hat er von einer großen Erbschaft ein Jagdrevier gekauft. Er ist ein leidenschaftlicher Waidmann. Diese Passion teilt Peter mit dem Vater. Ist der Abschuss nicht zur Genüge erfüllt, greift der Sohn zum Drilling und fährt für einige Tage ins Revier. Er legt beim Bau von Hochsitzen mit Hand an, hilft beim Aufforsten und macht sich überall nützlich.

      (Tatsächlich hat der Vater geerbt. Von der verhältnismäßig großen Summe ist nach kurzer Zeit nicht viel übrig. Das betrügerische Agieren des Sohnes, der den Vater zu einer Bürgschaft für das hoch verschuldete Labor überredet, verschlingt fast die ganze Erbschaft. Daraufhin wendet der sich verbittert und enttäuscht vom Sohn ab und untersagt ihm den Zutritt zum Elternhaus. Auch vor dem Sparbuch der Großmutter macht Peter keinen Halt. Durch Fleiß und Sparsamkeit hat sich die alte Dame 130.000,-- DM fürs Alter zurücklegen können. Peter räumt alles ab, sodass sie auf Sozialhilfe angewiesen ist. Seine Betrügereien kann ich aufzählen, aufreihen, wie Perlen auf eine Schnur. Nur würde dabei kein edles Schmuckstück entstehen, sondern eine Spur von Elend, Zerstörung und Vernichtung.)

      Auf unseren Immobilienbesichtigungen lerne ich Bayern von der schönsten Seite kennen. Die stille Weite Niederbayerns, einsam gelegene Erbhöfe. Für den Moment bin ich gefesselt, jedoch kann ich mir nicht vorstellen, für immer hier zu leben. Wo man die schönsten Gehöfte erwerben kann, hat die Abgeschiedenheit der kargen, spartanischen Landschaft eine fast depressive Wirkung auf mich. Die kaum zugänglichen Menschen kommen meiner rheinischen Frohnatur so gar nicht entgegen.

      Zum Glück muss ich in den nächsten Tagen zurück nach Köln zu einer Kontrolluntersuchsuchung. Ich will endlich meinen Sohn wiedersehen und auch in meiner Wohnung nach dem Rechten schauen.

      Endlich wieder zu Hause!

      Wir streifen durch die Stadt. Hier geht es mir gut, hier fühle ich mich wohl. Endlich wieder am eignen Herd stehen, kochen und genießen. Einkaufen, in Läden, wo man wie alte Bekannte begrüßt wird. Es tut einfach nur gut. Zum Stammfrisör, ins Nagelstudio, in unsere Stammlokale, all die lieb gewonnenen, so lang vermissten Gewohnheiten wieder aufnehmen.

      Die Nachuntersuchung fällt zur vollsten Zufriedenheit meines Arztes aus. Peter ist ganz aus dem Häuschen. Das Leben ist schön.

      Die Immobiliensuche holt uns auch in Köln ein. Der Makler schickt uns täglich neue Angebote. Eines Tages meint Peter: „Es ist an der Zeit, deine Kölner Wohnung zur Weitervermietung in die Zeitung zu setzen und mieten in Bayern eine Ferienwohnung. Von dort können wir in aller Ruhe unsere Suche nach dem richtigen, für uns passenden Haus angehen.“

      Ich bin nicht sehr begeistert. Nur schweren Herzens kann ich mich mit dem Gedanken anfreunden, meine Wohnung, die ich so ganz nach meinen Vorstellungen eingerichtet habe, aufzugeben. Meine moderne, neue Küche, maßgearbeitete Einbauschränke mit vielen Extras, einen neuen Dielenfußboden, all das liebe ich, liegt mir sehr am Herzen. Hier fühle ich mich wohl, das soll ich nun alles aufgeben. Ich will nicht so recht. „Außerdem,“ wende ich ein, „bekomme ich bei Weitem nicht die Summe, die ich in die Wohnung gesteckte habe.“ „Maus, auf das Geld sind wir nicht angewiesen, das Argument lasse ich nicht gelten. In unserem neuen Domizil in Bayern kannst du alles nach deinem Gusto gestalten. Bald hast du Zugriff auf meine Konten.“ Er wird immer drängender.

      (Wie heiß muss ihm der Boden in Köln unter den Füßen sein.)

      „Außerdem kommt Akif in der ersten Maiwoche nach München, um sich mit uns zu treffen. Er brennt darauf, endlich meine tolle Frau kennen zu lernen.“ Ich gebe mich geschlagen und beauftrage eine Agentur mit der Weitervermietung meiner Wohnung.

      Auf Anhieb finden wir eine wunderschöne Ferienwohnung bei einer sehr herzlichen Familie in St. Englmar. Die drei Kinder, zwei Jungen, ein Mädchen schließe ich sofort ins Herz. Margit, die junge Frau mit ihrer erfrischenden Natürlichkeit, muss man ganz einfach mögen. Die Chemie stimmt. Der Hausherr arbeitet als Chefkoch in einem nahe gelegenen Romantikhotel. So fehlt es den Männern nicht an Gesprächsstoff. Peter schwelgt in Erinnerungen, erzählt ganz beiläufig von seiner Selbstständigkeit, seinem Besitz in der Türkei

      (und hat wieder Gelegenheit, seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Lügen und Aufschneiden nachzugehen.)

      Am Abend treffen wir uns meistens auf der großen Terrasse zum gemeinsamen Abendessen. Leider verabschiedet sich Albert immer sehr früh, um seinen Dienst in der Hotelküche anzutreten. Margit und ich arbeiten oft gemeinsam in Haus und Garten. Sehr schnell entsteht ein freundschaftliches Miteinander. Kehren wir abends etwas verspätet von der Immobiliensuche zurück, werden wir schon sehnsüchtig erwartet. Peter legt sich mächtig ins Zeug, berichtet vom Geschehen des Tages und genießt die allgemeine Bewunderung, die ihm zuteil wird. Margit von Beruf Gärtnerin, verschönert nebenbei so manche Umlage in der Nachbarschaft.

      In der Zeit ihrer Abwesenheit kümmere ich mich um die Kinder, überwache die Hausaufgaben und mache mich nützlich. Unserer Vermieterin haben wir es zu verdanken, dass wir eines Tages unser „Refugium“ finden. Unter diesem Namen wird das Haus zum Verkauf angeboten. Wir vereinbaren mit dem Makler einen Besichtigungstermin. Was uns dann erwartet, verschlägt uns die Sprache. Selbst Peter ist für den Moment stumm bei dem was sich unseren Blicken bietet. Die Einzigartigkeit dieser Immobilie lässt sich kaum beschreiben. Auf einem ca. 4.000 2 großen, terrassenförmig angelegten Grundstück steht ein prachtvolles Herrenhaus. In seinem Schatten, das wesentlich kleinere, im bayerischen Stil erbaute Stammhaus. Teichanlage, bewohnbares Gartenhaus, gepflegte Rasenflächen, Blumenrabatten, atemberaubend schön, DAS ist es. Endlich, endlich sind wir fündig geworden!

      Bei der Innenbesichtigung beider Häuser werden Träume wahr. Allein das Herrenhaus, an dessen Eingansportal das Familienwappen prangt, bietet eine Wohnfläche von 350 m2. Das Parterre besteht aus einer Halle mit offenem Kamin, der so in die Wand eingebaut ist, dass er auf der


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