PISHTACO. Peter Splitt
anschnallen, wir überfliegen jetzt den atlantischen Ozean und es könnte zu Turbulenzen kommen“, ertönte die verzerrte Stimme des Co-Piloten durch die Bordlautsprecher. Das Geräusch ließ Claudio zunächst zusammenzucken, er fing sich jedoch schnell wieder und versuchte nicht darüber nachzudenken. Der silberfarbene Airbus befand sich bereits unmittelbar über dem riesigen Ozean, als er zum ersten Mal das Plastikrollo wieder nach oben schob. Das dunkelblaue Meer versank unter ihm im bleichen Dunst der Ferne, dann zog die Maschine eine Schleife und drehte in westliche Richtung ab. In etwas weniger als zehn Stunden würde sie auf dem internationalen Flughafen Jorge Chavez in Lima landen. Vielleicht sollte er doch versuchen ein wenig zu schlafen.
Kapitel 5
Der große Airbus A 320 der peruanischen Fluggesellschaft LAN verlor langsam an Höhe und war im Begriff sich dem Flughafen Jorge Chavez zu nähern. Claudio drückte seine Nase an dem ovalen Fenster platt und beobachtete die Umgebung Limas in der prallen Sommersonne. Es kam ihm alles irgendwie fantastisch vor und er freute sich sehr auf die Rückkehr in ein Land, dass er ganz besonders mochte. Die Räder des enormen Jets berührten den Boden und verursachten eine leichte Erschütterung in der Kabine. Einige der Passagiere applaudierten, froh wieder festen Boden unter ihren Füßen zu wissen. Das Flugzeug blieb nach einem letzten Rütteln endlich stehen und der Lärm der Motoren verstummte. Sofort machte sich eine allgemeine Mobilität unter den Passagieren breit, während das Bordpersonal versuchte, sie für das Verlassen der Maschine vorzubereiten. Claudio blieb noch sitzen und beobachtete die leichten Wolken über dem Himmel der peruanischen Hauptstadt. Später stand er auf und folgte einfach der Menge auf dem schmalen Gang bis zur Gepäckausgabe, wo er seinen Koffer einsammelte und sich danach brav in die Schlange vor der Migrationskontrolle stellte. Weitere Menschen sammelten sich um ihn herum, aber keiner schien etwas anderes zu sein als einfach ein Reisender ohne Eile. „Willkommen in Südamerika!“
Und dann geschah doch noch etwas Unvorhergesehenes. Ein Unbekannter mit einem schwarzen Aktenkoffer wurde vor seinen Augen festgenommen und abgeführt. „Sachen gibt`s…“ Und trotzdem zeigte er keine Gefühlsregung, als er vor der Passkontrolle stand.
„Auf Urlaubsreise?“, fragte ein neugieriger Beamte. Claudio nickte zustimmend und murmelte das Wort Cuzco. Das erklärte alles. Im gleichen Augenblick bekam er den ersehnten Einreisestempel in sein Dokument gedrückt. „Buen venidos a Peru!“ Er war angekommen.
Draußen vor dem Flughafengelände wartete das wahre Leben auf ihn. Unzählige Taxifahrer priesen ihren Service an. Dazu traf ihn die Hitzewand wie ein Schlag. Rasch setzte er seine Sonnenbrille auf, jetzt fühlte er sich besser. Ohne zu zögern stieg er in das Taxi, welches in der ersten Reihe stand.
„Miraflores“, sagte er. Der Fahrer nickte mit dem Kopf, fingerte ein wenig an seinem Taxameter herum und verlangte 50 soles.
„El taxametro no funciona“, sagte er grinsend. Claudio grinste zurück und sagte 10 soles. Das ging dann so eine Weile hin und her, bis sie sich auf 20 soles geeignet hatten. Auch das war noch recht großzügig bezahlt, doch Claudio fühlte sich erschlagen von dem langen Flug und hatte keine Lust mehr noch weiter zu handeln. Außerdem wollte er so schnell wie möglich in sein Hotel und raus aus seinen Klamotten. Der Toyota Corolla nahm Fahrt auf und ließ schnell das Flughafengelände hinter sich. Zum Glück führte die Schnellstraße schnurgerade am Meer entlang. Bei einer kurvenreichen Strecke hätte Peters wahrscheinlich das Menü der LAN Peru auf die Rückbank gespuckt. Er lehnte sich zurück und beobachtete die vielen kleinen schwarzen Punkte im Meer. Wellenreiter mit ihren schwarzen Brettern
Irgendwann muss er dann kurz eingenickt sein, denn das nächste, was er registrierte war, dass sie standen. Der Fahrer hatte die Seitenscheibe heruntergelassen und aus dem Radio plärrte ein Hayno. Claudio fühlte sich wie gerädert. „Stau?“ fragte er. Der Fahrer schüttelte den Kopf. „No Senor, La Rosa Nautica. Es tiempo para el almuerzo.“
Da fiel es ihm wieder ein. Die Zeitverschiebung. Es war Mittag und er war in Peru. Das Rosa Nautica war ein vornehmes Restaurant, dass clevere Konstrukteure mittels breitem Pavillon und riesigen Holzpfeilern direkt ins Meer gebaut hatten. Den Stillstand verursachten Kellner, die den wartenden Autos einen Parkplatz zu weisen wollten. Auf einmal kam wieder Bewegung in den Verkehr. Hupende Autos rasten an ihnen vorbei und missachteten jede Verkehrsregel.
„Dios mio“, dachte Claudio. Dann ging es endlich hinauf in den Stadtteil Miraflores und hinein in die Avenida 28 de Julio, wo sich unter anderem auch sein Hotel befand. Nach dem Einchecken waren Duschen und Schlafen das einzige, an was er noch denken konnte. Capitan Garcia würde sich noch eine Weile gedulden müssen.
Am nächsten Vormittag war es jedoch so weit.
„Buenvenidos a Lima Senor Guerrero“, begrüßte ihn ein freundlicher Beamter in einer schneeweißen Uniform. Claudio grüßte freundlich zurück. Zwar spürte er den Jetlag, hatte aber ein paar Stunden geschlafen und fühlte sich weitaus besser als am Tag zuvor. Das Hotel Schell, wo ihn Staatssekretär Von Sanden einquartiert hatte, war ein gutes Mittelklasse Hotel und lag zentral-günstig an einer der Hauptverkehrsstraßen in Miraflores. Zunächst hatte er ausgiebig gefrühstückt, mit Eiern, Toast, Käse, Marmelade, frischgepresstem Fruchtsaft und so weiter. Danach war er mit einem Taxi in das Hauptquartier der Policia Investigaciones de Peru gefahren. Jetzt klopfte der Beamte, der ihn vorhin so freundlich begrüßt hatte, an die Tür, die zum Büro des Polizeichefs Garcia führte. Sie wurde von innen geöffnet.
„Entran Senores!“
Claudio blieb die Spucke weg. Die Stimme war weiblich und Capitan Garcia war eine Frau. Und was für eine! Schlank, mittelgroß, gut proportioniert, große, dunkle ausdrucksvolle Augen und langes, schwarzes Haar, dass sie zu einem strengen Zopf zusammengekotet hatte. Dem ersten Eindruck nach, schien sie genau zu wissen, was sie wollte. Zielstrebig kam sie auf ihn zu und streckte ihm eine Hand entgegen. Ihr Händedruck war alles andere als weiblich.
„Freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten, Senor Guerrero. Wir können Hilfe gebrauchen. Willkommen in Lima.“
Der Satz kam ihm durchaus bekannt vor.
„Staatssekretär Von Sanden hat sie mir wärmstens empfohlen. Anscheinend hält er große Stücke auf Sie.“
„So, tu er das?“ Claudio hatte sich immer noch nicht von der Überraschung erholt, dass er es hier mit einer Frau zu tun hatte.
„Also dann, auf gute Zusammenarbeit“, sagte Capitana Garcia.
„Und immer schön daran denken, hier bei der Mordkommission habe ich das Sagen. Also, wenn Sie damit einverstanden sind, dann fahren wir gleich hinaus zum Tatort. Gibt es irgendwelche Einwände?“
Claudio verneinte. Hyperaktive Frauen lagen ihm nicht besonders.
„Die Leiche befindet sich noch genau dort, wo sie gefunden wurde. Befehl von ganz oben! Aber wenigstens haben wir den armen Kerl bereits von der Decke genommen.“
Claudio schloss für einen Moment die Augen. Er hasste Leichen.
Das Penthouse, in dem man Robert Werner ermordet aufgefunden hatte, lag in vierten Stock eines modernen Gebäudekomplexes, unweit des Malecons. Es war ziemlich nobel eingerichtet und gehörte mit Sicherheit keiner armen Person. Am meisten gefielen ihm die Panoramafenster im Salon. Sie boten eine atemberaubende Aussicht auf den pazifischen Ozean. Doch bereits kurz nachdem er die Räumlichkeiten betreten hatte, fröstelte ihn. Der Grund dafür war nicht der Anblick der Leiche, sondern eine Eiseskälte. Jemand hatte die Klimaanlage auf unterste Temperatur und maximale Ventilation eingestellt. Und trotzdem stank es in der Wohnung wie die Pest. Robert Werner lag auf dem Bett im Schlafzimmer und sah alles andere als gesund aus. Sein Gesicht war blutleer, seine Augen glasig, seine Bekleidung überall mit Blut besudelt. Claudio konnte die vielen kleinen Schnitte sehen, die man ihm zugefügt hatte. Vorsichtig drehten sie ihn um. Auch seine Rückenpartie wies zahlreiche Schnitte und Verletzungen auf. Dazu steckte die vermeintliche Tatwaffe