Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie

Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie


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frische Luft.

      Zwei Treppen führten links und rechts zu dem Grabmal hinauf.

      Ich nahm die steinernen Stufen zu meiner Linken, immer zwei auf einmal. Schnell gelangte ich nach oben.

      Hinter dem Grabmal befand sich ein Raum. Einst eine Krypta, doch nun fand ich dort ein Bett und einen provisorisch zusammengeschusterten Tisch mit einem mickrigen Stuhl, die beide von der Armut eines einfachen Mönchs zeugten.

      Auf dem Tisch fand ich Schriften mit Forschungsdaten, leere Schriftrollen und Schreibfedern. Das Feuer, das in einer Ecke entfacht worden war, war schon lange erloschen. Ein Kessel mit kaltem Eintopf hing über der kalten Kohle.

      Ich ging weiter und steuerte auf das Grabmal zu. Vor der steinernen Tafel war die Erde ausgehoben, ein gefrorener Haufen braunen Grunds lag daneben. Auf der anderen Seite stand ein Sarg aus schwarzem Stein.

      Mit großen Schritten stampfte ich auf den Sarg zu. Auf dem Deckel stand tief in den Stein gemeißelt: »Störe die Ruhe des ehrenwerten Priesters Odilo, und die Verdammnis wird über dich hereinbrechen.«

      Ich stemmte die Hände gegen den Sargdeckel und schob ihn auf. Mit vor Anstrengung verzerrter Stimme knurrte ich: »Ich bin die Verdammnis!«

      Nur schwer ließ sich der Stein bewegen, aber ich gab nicht auf. Als er sich ein Stück öffnete, schlug mir der modrige Geruch des Sarginneren entgegen. Aber ich hatte weiß Gott schon Schlimmeres gerochen.

      Je weiter ich den Sarg öffnete, je kälter schien es um mich herum zu werden. Ich glaubte den Boden vibrieren zu spüren, und die Wände des Gewölbes wackeln zu sehen, aber es konnte auch an dem Kraftaufwand liegen, den ich anwandte um Erfolg zu erzielen, und musste nichts mit Magie zutun haben.

      Magie fürchtete ich nicht. Sie war ebenso leicht zu bekämpfen und zu besiegen wie ein Mann mit einem Schwert. Man musste nur wissen, wie.

      Trotzdem presste ich noch einmal entschlossen hervor: »Ich bin die Verdammnis!«

      Und mit einem Ruck fiel endlich der schwere Deckel vom Sarg. Staub flog mir ins Gesicht, als Luft in das Innere des Steinkastens drang.

      Ich wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht, bis ich wieder eine klare Sicht hatte. Durch den Flur drangen die Geräusche der Wachen zu mir, die dabei waren, die Tür einzutreten.

      Ich hatte nicht mehr viel Zeit.

      Als der Staub sich verzogen hatte, und ich den Toten im Sarg betrachten konnte, breitete sich ein Lächeln auf meinen vollen Lippen aus.

      »So besonders seht Ihr gar nicht aus, oh hoher Priester Odilo«, sagte ich spöttisch zu der Mumie, deren eingefallener Körper in einem prunkvollen Priestergewand aus blauem Samt steckte. – Ich hatte keinen Respekt vor den Toten. Magie schien den Körper weitestgehend erhalten zu haben. Ketten aus massivem Gold und verzierte Edelstahlringe zierten den Leichnam.

      »Das benötigt Ihr wohl nicht mehr.« In aller Seelenruhe nahm ich dem Priester die Wertgegenstände ab und ließ sie in meinen Taschen verschwinden, während die Wachen die Holztür einschlugen.

      Es ärgerte mich, dass sie mich zu hetzen versuchten. Ich hätte mich ihnen nur zu gerne entgegengestellt und sie rücksichtslos kalt gemacht. Abgeschlachtet. Aufgeschlitzt wie Tiere. Nur weil ich der Auffassung war, dass es niemand zu wagen hatte, mich drängen zu wollen. Schon gar nicht, wenn ich einen wichtigen Auftrag zu erledigen hatte.

      Sie hätten vor mir knien sollen. Alle. Die ganze Stadt. Sie hätten bei meinem Anblick erzittern sollen! Doch ich bezweifelte, dass sie auch nur ahnten, wer ich bin.

      Nachdem ich auch das teure Samtgewand an mich genommen hatte, zog ich einen Dolch hervor und beugte mich ein letztes Mal über die Mumie. Mit einem zufriedenen Grinsen ritzte ich eine Botschaft in den Toten, als plötzlich die Tür aufbrach.

      Ich konnte das Krachen des zerbrechenden Holzes durch den Flur hallen hören. Sofort richtete ich mich auf.

      Während die in schwerer Rüstung steckenden Füße der Wachen durch den Flur rannten, wandte ich meine Aufmerksamkeit auf die steinerne Tafel des Grabmals.

      Doch ich konnte den Sinn hinter den Worten nicht verstehen, also wirbelte ich herum und rannte zurück in den verlassen Schlafraum.

      Eilig schnappte ich mir eine unbeschriebene Papierrolle vom Tisch und ein Stück Kohle aus der Feuerstelle. Zurück an der Steintafel drückte ich das Papier auf die eingemeißelten Worte und fuhr mit der Kohle darüber, um eine einigermaßen leserliche Kopie anzufertigen, da mir die Zeit fehlte, es säuberlich mit Tinte und Schreibfeder abzuschreiben.

      Ich war noch dabei, das Papier schwarz zu färben, als die ersten Wachen die Steinstufen empor rannten.

      »Da ist der Eindringling!«, rief eine jungenhafte Stimme.

      Eine älter klingende Wache fügte hinzu: »Schnappt ihn euch!«

      Sie kamen von Links und Rechts und kesselten mich ein.

      Dachten sie jedenfalls.

      Ich hechtete einfach über die Steintafel und sprang ungeachtet der Höhe den Vorsprung hinunter in die Halle.

      Der Aufprall tat mir in den Knien weh, aber ich war höhere Sprünge gewöhnt und meine Gelenke waren noch jung. Außerdem belebte Schmerz meinen Körper.

      Ich drehte mich noch einmal um, weil ich es mir nicht nehmen wollte, in die verblödeten Gesichter der verdutzten Wachen zu blicken.

      Sie konnten mich leider nicht selbstgerecht grinsen sehen, da mein Gesicht vermummt war. Auch über meinem goldenen Haar hing eine Kapuze, die verhinderte, dass sie mich irgendwann auf der Straße wiedererkannten. Aber ich hoffte, sie würden aus meinen blassblauen Augen herauslesen, dass ich mich über sie amüsierte. Und sollte sich mein Weg je wieder mit einem dieser Männer kreuzen, hoffte ich, sie würden diese Augen wiedererkennen, wenn ich mit einer Klinge in der Hand über ihnen ragte und triumphierte.

      Ich vollführte eine possierliche Verbeugung, ehe ich mich abwandte und davoneilte.

      Hinter mir brüllte der Kommandant der Stadtwache zu seinen Männern: »Was steht ihr hier so rum? Na los, schnappt ihn! Schnappt ihn! Hinter her!«

      Mein schwarzer Umhang flatterte hinter mir wie eine Fahne im Wind, während ich durch die Räume des Tempels wieder nach draußen eilte. Ich rollte die Schriftrolle mit der Kopie der Grabmalinschrift zusammen und steckte sie mir unter meinen Brustharnisch aus dunklem Bärenleder.

      Doch wieder nach draußen zu gelangen war weniger einfach als erhofft.

      Mir wurde von weiteren Wachen der Weg abgeschnitten, die mit Fackeln und gezogenen Schwertern eine enge Treppe empor rannten. Ich sah ihre Schatten und hörte ihre Schritte, einschließlich des Klapperns ihrer schweren Rüstungen, noch bevor sie mich wahrnahmen.

      Ich hatte keine Wahl, ich musste zurückweichen, ehe sie mich entdeckten.

      In einem Raum, der als Schlafkammer für Mönche diente, fiel mir ein Fenster ins Auge. Ich zögerte nicht, mir einen Fluchtweg zu schaffen.

      Ich nahm einen Stuhl und warf ihn durch das Buntglas, das sofort zersprang. Der eisige Wind Carapuhrs wehte mir ins Gesicht. Ich liebte diese Kälte.

      Der von mir verursachte Lärm lockte die Wachen zu mir.

      Von der Straße darunter hörte ich erschrockene Ausrufe, und als ich aus dem Fenster kletterte, konnte ich sehen, dass ich eine junge Frau mit dem Stuhl getroffen hatte. Sie lag umringt von Menschen auf dem gepflasterten Weg der steinernen Stadt, unter ihrem Kopf breitete sich langsam eine dunkelrote Blutlache aus und ein kleines Mädchen mit blonden Locken – offenbar ihre Tochter – stand schockiert daneben.

      Ich könnte jetzt behaupten, es täte mir leid. Aber ich will nicht lügen, es war mir einfach egal. Wenn es mir einen Vorteil verschafft hätte, dann hätte ich die ganze Stadt niedergebrannt. Lächelnd. Denn in meinem Leben stand ich mir selbst am nächsten, größtenteils weil mir beigebracht wurde, dass ich nur mir selbst vertrauen kann. Na ja, abgesehen davon wollten mich ohnehin alle anderen


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