Reginald. Johs. Georget
dieses Nacheifern wird deine Fertigkeiten auf jeden Fall verbessern. Andere Eichhörnchen suchen sich vielleicht andere Vorbilder und werden damit andere ihrer Eigenschaften verbessern. Und daran kannst du ganz leicht erkennen, dass Vorbilder nicht zu Uniformität führen, sondern zu einer größeren Vielfalt in der Natur. Auf diese Weise wird jedes Wesen wirklich einzigartig.“
„Also gut, das verstehe ich. Ich kann also mehrere Vorbilder gleichzeitig haben. Aber auch nacheinander?“
„Ja, natürlich auch das. Wenn du eine erstrebte Eigenschaft erreicht hast, wenn andere, neue erstrebenswerte Eigenschaften dir wichtig werden, kannst du auch deine Vorbilder austauschen oder neue wählen. So ist es mir im letzten Jahr geschehen, als du hier eingezogen bist. Seitdem bist nämlich auch du mein Vorbild!“
„Ich? Ke-ke-kek, ich, dein Vorbild? Enno, jetzt machst du dich wohl über mich lustig. Wie ke-ke-kann denn ich dein Vorbild sein?“
„Durch deine unbesorgte Lebensfreude.“
„Och, da habe ich dich wohl in der letzten Zeit enttäuscht! Will ich auch nicht wieder tun! Versprochen! Aber kann es auch sein, dass jemand irgendwann gar ke-ke-kein Vorbild mehr hat?“
„Das kann schon sein, Regi. Erinnere dich, hast du nicht auch ziellos vor dich hinvegetiert? Wer sich treiben lässt, hat meist keine Vorbilder. Oder, wer alles erreicht hat. Wenn du alles erreicht hast. Dann, Reginald, dann bist du angekommen.“ Enno war bewusst, dass Reginald auch dies nicht verarbeiten konnte. Aber: Musste er wirklich alles wissen und alles verstehen? War er nicht um vieles besser dran, wenn auch für ihn einiges im Verborgenen blieb...
„Und, Enno, wenn man sich wünscht, was nicht erfüllbar ist? Wie hast du das ke-ke-genannt? Idol? War denn vielleicht meine Vorstellung von der Welt so ein Idol? Wo alle immer nur glücklich sind?“
Lange Zeit sagte Enno nichts. Nach Regis Vorstellung war das Leben ein einziges Schenken und Beschenkt-Werden gewesen, wo alles und jedes mit einem einfachen Bitteschön oder Dankeschön abgegolten war. Er hatte auf diese einfache Frage keine Antwort parat – weil er sie sich nie gestellt hatte.
Was ist das eigentlich, Dankbarkeit? Wo hat sie ihren Ursprung, und welchen Sinn hat sie?
Enno, mit seinem sicheren Platz am oberen Ende der Nahrungskette, hatte sich immer selbst bedient, wenn er es für richtig hielt und dafür keiner Hilfe bedurft. Nie hatte er freiwillig etwas abgegeben, und wenn Füchse, Dachse, Fischadler oder andere Beuteräuber sich an seinem Fang bedient hatten, nie hatte er ein „Dankesehr“ von denen erwartet. Eher noch hatten sie um sich geschlagen, gekratzt, gebissen, am liebsten ihren Wirt gewürgt. Und anders, wenn er die Reste seiner Beute freiwillig den Möwen und Krähen hinterlassen hatte, dann keineswegs mit einem „Bitteschön“ und auch nicht, weil er eines Dankes bedurft hätte, sondern einfach nur, weil er bereits genug für sich selbst hatte und gesättigt war. War er deswegen undankbar? Alles hatte er seiner eigenen Kraft und Geschicklichkeit zu verdanken. Was also hatte Dankbarkeit für einen Wert?
Doch halt. Ja, es hatte da einmal eine Zeit gegeben, in der er völlig hilflos gewesen war. Seine Eltern hatten ihn versorgt und dunkel konnte er sich erinnern, dass es immer die besten Bissen gewesen waren, mit denen sie ihn verwöhnt hatten. Und er hatte Unmengen davon verschlungen. Aus der Rückschau war ihm bewusst, dass sie manches Mal seinetwegen gedarbt, trotzdem aber glücklich gelächelt hatten, während er Filet um Filet in sich hineinstopfte. Der heiße Sommer, in dem er aufgewachsen war, war nicht gerade fruchtbar gewesen. Ein großes Fischsterben hatte die Seeadler ihrer Beute beraubt, und nicht wenige Familien ihrer Bekanntschaft hatten ihre Nachkommenschaft aufgeben müssen. Da hätte er eigentlich Dankbarkeit empfinden müssen. Hatte er aber nicht.
Was ließ Wesen solches Verhalten annehmen, dass sie ihr eigenes Wohlergehen in den Hintergrund rückten? In der Natur stand stets das eigene Überleben im Vordergrund. Wer sich nicht um sich selbst kümmerte, musste zwangsläufig vergehen.
Nun, in diesem Fall hatten sich seine Eltern um ihr Junges gesorgt. Ja, das konnte er sehr gut verstehen, dass die Liebe zwischen seinen Eltern auf die daraus entstandene Frucht übergesprungen war. Insofern war die Zuneigung, die er erfahren hatte, so ganz selbstlos doch nicht gewesen. Bei einem fremden Adlerjungen hätten seine Ernährer wohl anders gehandelt und ihr eigenes Überleben vorgezogen. Erwuchs also diese Selbstlosigkeit aus Zuneigung, aus Liebe? Mochte sein. Aber: Die forderte keine Dankbarkeit.
Wenn er an den so lebensfrohen Reginald mit seinen Bitteschön-Dankeschön-Spielchen dachte, musste noch etwas anderes dahinter stecken. Irgendwie erfreute es ihn einfach, diesem kleinen Fellbündel zuzusehen, wie er so hooophoophophophop hoppelte, an einem Kienapfel knusperte, mit den anderen Tieren schwatzte oder sich zu verstecken suchte.
Und das war es wohl:
Dass er einfach etwas Schönes erleben durfte, ohne dass es für seine Existenz unbedingt erforderlich war. Dass ihn irgendetwas Freude empfinden ließ, was über seine gewöhnlichen Bedürfnisse und Instinkte hinausging. Dass jemand da war, der ihm diese Freude von sich aus und ohne Gegenleistung bereiten wollte.
„Äh, ja, also, hämtäm, Regi. Deine Vorstellungen von der Welt sind sehr schön, und ich glaube, wenn das ES oder Was-Auch-Immer nur eine, eine einzige, eine winzig kleine Möglichkeit gesehen hätte, die Welt so zu gestalten, dann hätte es das auch genau so getan. Aber die gab es anscheinend nicht. Insofern war es ein Idol, ja. Dafür, für diese von dir ausgedachte Welt, gibt es übrigens auch ein Wort: Das Paradies.
Stattdessen ist das Leben ein ständiges Geben und Nehmen, und das zumeist gegen den Willen des Gebenden. Wenn du eine Nuss aufknabberst, verwehrst du ihr damit, zu einer Pflanze zu werden. Sie wird dafür wohl kaum dankbar sein. Meinem Futter, den Fischen, geht es da nicht anders. Das ES hat in seinem Lebensgeflecht aber allem seinen Platz gegeben. Und dadurch, dass die Nuss aufhört zu existieren, lebst du weiter und kannst im Geflecht des Lebens weiter wirksam werden. Und so hat alles seinen Sinn. Auch, wenn der sich uns mitunter nicht einfach erschließt.“ Und weiter dachte Enno, wie schade, dass diese Frage so oft in uns bohrt und sich der Sinn uns genau so oft in nichts erschließt.
Reginald dachte dagegen, wozu soll sich so etwas Unsicht-, Ungreif-, Unbegreif-, Unfassbares wie dieser Sinn erschließen? Und sagte „Das Leben ist doch so schon schön genug! Nur umsehen musst du dich, die Augen aufmachen und das Herz und die Seele! Enno, und wenn du dann die drei Fff’s noch hast?
Kann es was Schöneres geben?“
Und sooft der Wind rauschte und
– Fff, Fff, Fff –
ihre Köpfe umbrauste,
glaubten sie, dass sie wüssten,
worin der Sinn von Allem lag.
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