Die Flüchtlinge und wir. Neue Osnabrücker Zeitung
nehmen spürbar zu. Im ersten Halbjahr 2015 kam es zu 202 Übergriffen auf Flüchtlingsheime.
1. Migration in der Region: Geschichte in Geschichten
Vom Hollandgänger zum Fabrikanten: Der lange Weg der Familie Meyer aus Berge
Von Jürgen Ackmann und Christoph Otten
„Lappiespop.“ Johann Gerhard Meyer wird dieses verächtliche Wort gekannt haben. Als „stinkende Lappen“ bezeichneten viele Niederländer anfänglich im 19. Jahrhundert die deutschen Tuchhändler, die durch ihr Land zogen. Von der langen Reise gezeichnet und arm wie Kirchenmäuse machten sie wohl tatsächlich keinen guten Eindruck. Johann Gerhard Meyer, der Heuermann aus der Berger Bauerschaft Dalvers, war einer von ihnen.
Das Leben als Heuermann war perspektivlos und wirtschaftlich kaum auskömmlich. Kein Wunder, dass im 19. Jahrhundert der Spruch „Besser ein Kind stirbt als die Kuh“ die Runde machte. Auch in Berge. Johann Gerhard Meyer, geboren am 18. August 1788, wollte jedoch diesen Kreislauf aus Armut und Resignation durchbrechen – wie viele andere auch. Ausgerechnet den feuchten und eher kargen Böden des Berger Landes gewann Johann Gerhard Meyer eine Zukunftsperspektive ab. Dort wuchs nicht viel, wohl aber der Flachs. Aus dem machten er und die Berger zunächst feines Leinen. Das verwebten sie später mit der Wolle der in den Mooren weidenden Schafe. Das Ergebnis: ein die Feuchtigkeit abweisender Stoff – Wolllaken genannt. Im armen Osnabrücker Nordland kaum verkäuflich, entwickelte sich das Produkt in den reichen Niederlanden zum Verkaufsschlager und machte viele Berger wohlhabend.
Die Wolllaken produzierte Johann Gerhard Meyer zusammen mit seinen Halbbrüdern. Der Verkauf in den Niederlanden erfolgte zunächst zu Fuß mit Kiepe, später – als die Gulden flossen – auch mit Fuhrwerken. Im Laufe der Jahre gewann Johann Gerhard Meyer als Tuchhändler Ansehen. Die holländischen Bäuerinnen freuten sich über die gute Qualität der Ware, zudem erfuhren sie vom weit gereisten Wolllakenhändler interessante Neuigkeiten.
Dann kam der Tag, an dem Johann Gerhard Meyer beschloss, seinen Halbbrüdern ganz die Produktion zu überlassen. Er selbst zog 1822 im Alter von 34 Jahren zu Handelszwecken mit seiner Frau Anna Margaretha nach Burgerbrug, einem kleinen Dorf zwischen Alkmaar und Den Helder. Dort eröffnete er in einem kleinen Haus am Schifffahrtskanal ein Textilgeschäft. Die Verhältnisse waren beengt, zumal das Ehepaar vier Kinder hatte. Auch sonst war Burgerbrug offenbar nicht das Paradies, wie später Gerhard Lucas Meyer, einer der drei Söhne von Johann Gerhard Meyer, schrieb: „Im Übrigen ist die Landschaft hier schrecklich einförmig. Der scharfe raue Seewind lässt den Baumwuchs nur im Schutz der Häuser zu.“ Und doch lebte Gerhard Lucas Meyer in einem der wirtschaftlich mächtigsten Länder jener Zeit, wie er in der Schule täglich aufs Neue von seinen strengen Lehrern erfahren sollte.
Geld hin, Geld her. Margaretha Meyer fühlte sich in Burgerbrug zunehmend unwohl. Sie sehnte sich nach ihrer Heimat. 1841 war es so weit. Der Umzug war vorbereitet. Es ging zurück nach Berge. Die Brüder von Johann Gerhard Meyer waren inzwischen gestorben. Gleichwohl machte er erneut eine Weberei auf, beschaffte Handwebstühle und führte das Unternehmen mit seinem Sohn Rembert. Gerhard Lucas Meyer, dem das einförmige Land nicht gefallen hatte – besuchte unterdessen in Berge die erste Privatschule in der Osnabrücker Region. Händler, die in den Niederlanden zu Wohlstand gekommen waren, hatten sie gegründet, um kommende Generationen auf das Kaufmannsleben vorzubereiten.
Das Leben der Familie nahm zunächst seinen erfolgreichen Gang. Dann folgte ein Schicksalsschlag. Rembert Meyer erschoss sich. Gerhard Lucas Meyer sprang 1849 ein und kümmerte sich um Buchhaltung und Verkauf. Mit seinem Vater vergrößerte er den Betrieb. 60 Weber arbeiteten in der Blütezeit für die Familie. Die Meyers waren nun nicht mehr Hollandgänger. Sie waren Fabrikanten.
1852 änderten sich die Rahmenbedingungen. Das Königreich Hannover, zu dem Berge gehörte, trat dem deutschen Zollverein bei und bildete mit Preußen ein Wirtschaftsgebiet. Dort gab es bereits Maschinenwebereien. Sie waren der Handweberei von Johann Gerhard Meyer überlegen.
Aber Gerhard Lucas Meyer – der Sohn – war inzwischen ein mit allen Wassern gewaschener Kaufmann. Er überzeugte seinen Vater 1853, den Betrieb schnell zu verkaufen. Ein Kapitel bewegter Familiengeschichte fand so sein Ende – aber nur, um ein noch erfolgreicheres zu schreiben. Gerhard Lucas Meyer übernahm Anteile an einer chemischen Fabrik in Osnabrück, war Mitbegründer der Ilseder Hütte und des Peiner Walzwerkes, aus denen die Salzgitter AG hervorgehen sollte. Am 30. Dezember 1916 starb der Nachfahre einer Hollandgängerfamilie als ein in Deutschland hoch angesehener Industrieller und kaiserlicher Kommerzialrat. All das ist dokumentiert im Haus seiner Eltern in Berge, das sich als Museum der Hollandgängerei widmet. Das Meyer-Haus zeigt, dass Menschen immer Grenzgänger waren.
Gerhard Lucas Meyer: Der Sohn von Hollandgängern war einer der erfolgreichsten Industriellen seiner Zeit. (Jan Ackmann)
Hollandgänger, die es zu etwas Wohlstand gebracht hatten, leisteten sich eine Hundekutsche für ihre Fahrten. Christoph Otten vom Meyer-Haus zeigt ein Bild von Bernhard Tepe. Er kam aus der Berger Bauerschaft Anten. (Jan Ackmann)
Das Haus der Familie Meyer in Berge ist inzwischen ein Museum. Schwerpunkt: die Hollandgängerei. (Jan Ackmann)
Weit im Westen – Auswanderer und ihre Spuren in den USA
Von Dirk Fisser
Der Nordwesten Deutschlands zieht heute Tausende Arbeitsmigranten aus Osteuropa an. Die Hoffnung auf besseren Verdienst bringt die Menschen an die Schlachtbänke und in die Werkshallen der Region. Dabei reichten hier in den vergangenen beiden Jahrhunderten lange Zeit Land und Arbeit nicht, um die Menschen zu ernähren. Zu Zehntausenden kehrten sie ihrer Heimat den Rücken. Das Ziel: die USA. Bis heute finden sich auf der Landkarte Spuren der norddeutschen Auswanderer.
46 Millionen US-Amerikaner haben ihre Wurzeln nach Angaben der US-Statistikbehörde in Deutschland. Es handele sich hinter den Hispanics um Amerikas größte ethnische Gruppe, stellte kürzlich der „Economist“ fest. Weil sich die Menschen aber so gut assimiliert hätten, fielen sie kaum noch auf. Die deutschen Einwanderer seien für die amerikanische Kultur so etwas wie die Prise Zimt für den Apfelkuchen.
Es folgt eine Aufzählung mit den unweigerlichen Exportschlagern wie Bratwurst, Bier und dem Kindergarten. Unübersehbare Abdrücke der Teutonen im amerikanischen Alltag, befand der „Economist“. Um Spuren der Einwanderer aus Nordwest-Deutschland zu finden, muss man schon etwas genauer hinschauen. Oder im Fall von Bunde etwas langsamer fahren.
Denn tatsächlich hat die Gemeinde im Landkreis Leer einen kleineren Zwilling im weit entfernten US-Bundesstaat Minnesota. Genauso geschrieben, nur anders ausgesprochen, nämlich „Bandie“. An der Verbindungsstraße zwischen den Kleinstädten Montevideo und Hutchinson gelegen, deutet nicht viel mehr als ein kleines Ortseingangsschild darauf hin. Und das überdimensionierte Schild der örtlichen Kirche. „Heute schon gebetet?“, werden die Vorbeifahrenden gefragt. Bunde ist nicht viel mehr als das Schild, die Kirche und fünf Wohnhäuser.
In einem davon befindet sich eine Art Museum, das an die Anfänge der Ortschaft erinnert. Es klingt ein bisschen nach der Weihnachtsgeschichte: Demnach kam in den 1880ern der gebürtige Rheiderländer Wübbe Dirk Ammermann nach Minnesota, um hier im Auftrag einer Landgesellschaft eine Siedlung mit ostfriesischen Einwanderern aufzubauen. Ammermann, so heißt es im Museum, habe sich zunächst in einem Kuhstall niedergelassen und von hier aus Kundschaft akquiriert.
Den Aufzeichnungen zufolge war der Rheiderländer 1864 mit seiner Frau Trientje und Sohn Dirk ausgewandert. 37 Jahre war Wübbe damals wohl alt. Von Bremerhaven ging es auf dem Dampfschiff „Bremen“ nach New York und von dort aus weiter nach Illinios. Einige Monate zuvor hatte sich hier die Familie