Ein trauriges Schloss. Catherine St.John

Ein trauriges Schloss - Catherine St.John


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falsch gemacht hatte, schließlich hatten ihre Eltern Lanford ausgesucht – aber sie wusste, was hätte geschehen sollen: Sie hätte Lanford die beiden üblichen Söhne, also den Erben und den Ersatzerben, präsentieren sollen. Nur hatte Lanford daran offenbar kein Interesse gehabt, warum, hatte sie lange auch nicht verstanden. Etwaige Mutmaßungen hatten ihre Eltern allerdings auch nicht interessiert: Versagen war Versagen, basta.

      Nun gut, das war mittlerweile auch nicht mehr wichtig. Der Pfarrer kam aus dem Gasthof zurück, gefolgt von ihren beiden anderen Mitreisenden. Und vor der Kutsche tänzelten jetzt vier frische Pferde, also stieg sie wieder ein und arrangierte ihr Gepäck.

      Bald breitete sich wieder schläfriges Schweigen im Kutscheninneren aus – kein Wunder, offenbar hatten die anderen im Gasthof auch etwas gegessen. Etwas mit vielen Zwiebeln darin.

      Die warme, scharf riechende Luft machte Eleanor müde und sie kuschelte sich wieder in ihre Ecke. Als sie das nächste Mal aufwachte, hatte sich die Dunkelheit in der Richtung, in der sie Osten vermutete, sanft aufgehellt. Wo sie jetzt wohl waren? Sie ließ eins der Fenster einen Spalt herunter und schnupperte die Luft, die einen Hauch Meerwasser in sich zu haben schien. Ihr Gegenüber regte sich, blinzelte in ihre Richtung und verlangte, die kalte Nachtluft sofort wieder auszusperren. Eleanor gehorchte, um sich schon einmal in ihre Rolle als Dienstbotin einzufühlen, und die frischgebackene Großtante schloss ihre Augen zufrieden wieder.

      Nach endlosen Stunden Langeweile erreichten sie schließlich Milton Regis und rasselten in den Hof der Poststation. Erleichtert verabschiedete Eleanor sich von ihren schläfrigen Mitreisenden und stieg aus.

      Neun Uhr morgens… es war ausgesprochen kalt, und Eleanors Mantel war zu dünn für die Jahreszeit. Sie sah sich fröstelnd um… musste nicht irgendwo ein Gig stehen, um sie nach Kesham Court zu bringen?

      Nein, nichts. Nur eine kleine mahagonifarbene Kutsche, die neben den Stallungen wartete. Dorthin brachten Stallknechte gerade die erschöpften Postpferde, während zwei andere Knechte frische Zugtiere heranführten.

      Vielleicht waren sie zu früh angekommen? Nun, das war gleichgültig, sie genoss jedenfalls die Gelegenheit, zu stehen und tief durchzuatmen. Auch hier roch die Luft nach Meer, nach Salz und Fisch. Sehr angenehm. Stärkend – so kam es Eleanor wenigstens vor. Ganz anders als die muffige Luft in London. Und das muffige Denken der besseren Gesellschaft, unter dem sie bis zur ihrer Heirat gelitten hatte – was man alles nicht durfte! Was sich nicht schickte! Die Belanglosigkeiten, für die man sich zu interessieren hatte, wenigstens als junge, unverheiratete Lady.

      Nun, das war jetzt vorbei – sie war frei.

      Frei ja – aber sie fror. Das Schloss hatte doch jemanden schicken wollen?

      Mittlerweile kamen ihre Mitreisenden geringfügig gestärkt aus dem Gasthof zurück und bestiegen die frisch bespannte Kutsche, die dann auch alsbald wieder davonrollte.

      Eleanor sah sich erneut suchend um, und jetzt näherte sich ein Lakai, der bis jetzt an der kleinen braunen Kutsche gelehnt hatte. Als er in Hörweite herangekommen war, verbeugte er sich geschmeidig. „Mrs. Warren?“

      „Ja. Guten Morgen. Sie kommen von Kesham Court?“

      „Gewiss. Wenn Sie mir Ihr Gepäck anvertrauen möchten…“

      Eleanor überreichte ihm die Reisetasche. „Das ist alles.“

      „Ah, ich verstehe. Das große Gepäck kommt später, als Fracht?“

      Eleanor lächelte verlegen und zog es vor, ihre praktische Mittellosigkeit nicht sofort zu offenbaren.

      Er hielt ihr den Wagenschlag auf, sie sank in weiche Polster und eine warme Decke wurde ihr angeboten. Kein Vergleich mit der Postkutsche!

      Der Wagen fuhr geschmeidig an und erreichte schnell ein beträchtliches Tempo. Nach etwa zehn Minuten wurden die Pferde gezügelt, der Wagen vollführte eine scharfe Rechtskurve und die Räder klangen anders, als führen sie über Holzbohlen – hatte Kesham Court etwa wirklich noch eine Zugbrücke? Eleanor reckte sich, um aus dem Fenster zu sehen, aber da rasselten sie schon auf einen weiten Vorplatz und der Wagen hielt.

      Als sich eine behandschuhte Hand durch den geöffneten Schlag streckte, fuhr sie regelrecht zusammen, erhob sich aber dann und ließ sich das Treppchen herabhelfen. Der Lakai nahm auch ihre Reisetasche in seine Obhut, verbeugte sich höflich und folgte Eleanor zu einem pompösen Portal, das von einer etwas schwächlichen Sonne beschienen wurde.

      Sie erkannte einen Butler im Eingang und wappnete sich mit aller Autorität, die sie in den wenigen Jahren als Countess an den Tag gelegt hatte – niemand sollte merken, wie unsicher sie sich fühlte!

      Der Butler verbeugte sich, als sie nahe genug herangekommen war. „Mrs. Warren? Ich bin Jessop, der Butler. Willkommen auf Kesham Court.“

      Eleanor reichte ihm die Hand. „Vielen Dank, Jessop. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit. Gewiss sind Sie hier auf Kesham Court mit allem vertraut, nicht wahr? Ich werde zunächst sicher häufig Ihren Rat und Ihre Hilfe benötigen.“

      Erneute Verbeugung. „Daran soll es nicht fehlen, Mrs. Warren. Wenn Sie bitte hereinkommen möchten? Lizzie, unser Erstes Mädchen, zeigt Ihnen gleich Ihr Zimmer.“

      Eleanor dankte ihm und ließ sich, von dem Lakaien gefolgt, von Lizzie zwei Stockwerke nach oben geleiten und dort am Ende eines langen, etwas düsteren Ganges in ein recht großes Zimmer führen.

      Der Lakai setzte seine Last ab, verbeugte sich und verließ den Raum.

      „Darf ich Ihnen alles zeigen, Ma´am?“

      „Gerne, Lizzie.“

      Lizzie präsentierte einen unübersehbaren Schrank, ein ebenfalls gut erkennbares Bett, ein Tischchen und einen Sessel – und eine diskrete Tür, die in eine Badekammer mit Kupferwanne führte.

      „Sehr schön“, lobte Eleanor ehrlich, denn in Lanford Hall hatte ihr Schlafzimmer, immerhin das der Herrin, auch nicht anders ausgesehen.

      „Ich werde schnell auspacken und mich ein wenig frisch machen. Richtest du Jessop bitte aus, ich würde ihn in einer Viertelstunde gerne in der Halle sehen, um einen Rundgang durch das Schloss zu machen – das heißt, ich sollte mich zuvor wohl dem Earl und vor allem der Countess vorstellen, denke ich.“

      Lizzie knickste erschrocken. „Oh nein, Ma´am! Eine Countess haben wir hier gar nicht, und der Herr lässt sich schon wieder seit Tagen nicht sehen. Es geht ihm wohl nicht gut.“

      Was fehlt ihm denn? Leider konnte sie darüber nicht mit dem Dienstmädchen tratschen, ohne sich unmöglich zu machen.

      „Das tut mir Leid“, sagte sie also nur und hoffte, dass der Butler sie unaufgefordert näher informieren würde. „Dann wird mir Jessop sicher alles Weitere mitteilen.“

      „Oh, gewiss, Ma´am!“ Lizzie knickste noch einmal und verschwand; Eleanor packte rasch ihre Tasche aus und schichtete ihren gesamten Besitz – inklusive dreier Bücher, die sie sehr liebte – in den Schrank, auch die leere Tasche passte noch hinein. Etwas zweifelnd betrachtete sie dann, wie armselig ihre übrigen schwarzen Kleider auf den Bügeln schwankten, und wie leer die Wäschefächer auf der Seite wirkten.

      Nun, es fehlte ihr aber doch an nichts? Und eine Gräfin war sie nun eben nicht mehr – besonders erstrebenswert hatte sie diesen Titel ohnehin nie gefunden.

      Sie schritt den Gang entlang zum Haupttreppenhaus – durfte sie das überhaupt benutzen? Jessop sollte ihr nachher die Dienstbotentreppe zeigen.

      Immerhin hatte sie sich bis jetzt nicht verlaufen; offenbar führte der Herrschaftsgang rund um die Halle mit dem imposanten geschnitzten Treppenhaus, und von diesem im Quadrat geführten Gang gingen in zwei Richtungen weitere Gänge ab. Am Ende des linken lag ihr Zimmer, den rechten musste sie bei Gelegenheit noch erforschen.

      Am Fuß der Treppe wartete Jessop, ohne Missbilligung zu zeigen. Dem entnahm Eleanor, dass sie heute noch nicht auf die Hintertreppe angewiesen war, und sie beschloss,


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