Ein trauriges Schloss. Catherine St.John
geben.
Später.
Da gerade weiter nichts zu tun war, schlenderte sie durch die Küche und die Spülküche hinaus und besah sich den Küchengarten, der dringend einmal gründlich bearbeitet werden musste, um Würzkräuter und Wurzelgemüse zu ziehen und so den sparsam gestalteten Mahlzeiten etwas mehr Charakter zu verleihen. Wenn sie den Obergärtner sah, würde sie ihm entsprechende Anweisungen geben; Jessop zufolge konnte sie so etwas schließlich selbst entscheiden - und da dem Earl offenbar die kräftiger gewürzten Speisen zumeist besser schmeckten, hatte sie bei Jessop wie Mrs. Kingsley einen großen Stein im Brett.
Von den Gärtnern war freilich nichts zu sehen; Eleanor schlenderte weiter hinaus in die Parkanlagen, sanft gewellte Hügel, in der Ferne flach abfallendes Gelände bis zum Rand des Swale, auf einem der Hügel ein griechisches Tempelchen, an einem Teich Weiden, die ins Wasser hingen und im Gegenlicht nahezu golden wirkten… so schön war es hier! Nur schade, dass der Besitzer dafür offenbar gar keinen Sinn hatte. Oder haben konnte, weil er eben krank war.
Vielleicht aber genoss er seinen Besitz auch heimlich, nachts? Wenn ihn niemand sehen konnte und er selbst wiederum niemanden sehen musste?
Aber was war das für ein Leben! Tiefes Mitleid mit dem Earl packte sie so unvermittelt, dass ihr tatsächlich die Tränen in die Augen stiegen. Den Rest des Lebens aus der Gesellschaft verbannt sein – warum nur? Wegen dieses fiebrigen Leidens? Aber darunter litt er doch nur anfallsweise? Hatte sie darüber nicht einmal etwas darüber gelesen? Vielleicht fiel es ihr ja wieder ein…
Sie schlenderte in einem weiteren Bogen zum Schloss zurück – natürlich ohne auch nur einen Gärtner zu sichten – und überlegte, ob diese Erkrankung wirklich Grund genug sein konnte, sich völlig aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, ja, sich kaum vor dem Personal sehen zu lassen. War das nicht vollkommen übertrieben?
Als sie einen weiten Bogen um das Schloss geschlagen hatte und auf den Vorplatz trat, sprang sie erschrocken zurück, weil sie beinahe unter die Hufe der Kutschpferde geraten wäre, die einen leichten Reisewagen schwungvoll vor das Portal zogen.
Verdutzt starrte sie auf die Wagenspuren und eilte dann ebenfalls zum Portal, in dem schon Jessop aufgetaucht war, der sich gemessen verbeugte. „Herzlich willkommen, Mr. Randal!“
Aha, der Schwager war also angekommen. Noch konnte sie nicht viel erkennen, nur eine recht große, breitschultrige Gestalt und blonde Locken unter einem schimmernden schwarzen Kastorhut. Außerdem hörte sie eine freundliche Stimme, konnte aber keine Worte unterscheiden.
Die Türflügel fielen wieder zu und Eleanor eilte um die Ecke zum Kücheneingang. Im Vorübergehen stellte sie fest, dass die Spülküche tadellos sauber und aufgeräumt wirkte, und traf in der Küche auf Mrs. Kingsley, die am Esstisch saß und einen nachmittäglichen Tee genoss.
„Oh, Mrs. Warren – Sie möchten sicher auch Tee?“
Eleanor wartete, bis sie sich gemessen erhoben hatte, dann winkte sie ab. „Ich nicht, vielen Dank. Aber soeben ist Mr. Randal angekommen, vermutlich möchte er Tee?“
„Mr. Randal? Oh ja, bestimmt!“ Sie eilte, den Kessel aufzusetzen, und rief nach Nancy, die Kuchen aufschneiden sollte. Sie selbst begann, sobald der Kessel auf dem Herd stand, mit der Zubereitung von Sandwiches. „Einfaches, hauchdünn geschnittenes Butterbrot schätzt Mr. Randal ganz besonders“, erzählte sie währenddessen. „Ein wirklich netter Mann – und der Erbe Seiner Lordschaft.“
„Ach ja!“ Eleanor holte das Glas mit der Kräutermischung aus dem Gewürzschrank und stellte es Mrs. Kingsley hin. „Er ist ja sein letzter Cousin, nicht wahr?“
„Ich glaube, es gibt dann noch einen Verwandten, der aber in die Kolonien ausgewandert sein soll. Wohl ein rechter Tunichtgut, dem Vernehmen nach.“
„In die Kolonien? Also nach Amerika?“
„Ja, so heißt das jetzt wohl. Sehr, sehr seltsam. Aber das ist wohl der Lauf der Geschichte. Meinen Sie, ich sollte auf einige der Sandwiches diese Kräuter geben?“
„Es gäbe dem Sandwich einen pikanten Geschmack“, riet Eleanor vorsichtig. „Ein bisschen Salz wäre auch sicher hilfreich.“
Mrs. Kingsley warf ihr einen zweifelnden Blick zu, salzte und würzte aber gehorsam zwei der Sandwiches.
„Isst Seine Lordschaft denn wenigstens mit seinem Cousin?“
„Wollen wir es hoffen“, war die eher düstere Antwort. „Manchmal will er ihn aber auch gar nicht sehen.“
Seinen einzigen Verwandten? Das kam Eleanor wieder seltsam vor. Aber auf Kesham Court war so vieles seltsam…
Cyrus holte schließlich das große Teetablett, um es in den Salon zu tragen, und Eleanor ging, die Eingangshalle zu inspizieren. Dort stand noch eine große, ehemals noble, aber doch etwas abgetragene Reisetasche, nicht unähnlich ihrer eigenen. Offenbar war Mr. Randal nicht übermäßig mit Reichtümern gesegnet.
Aber diese Tasche sollte doch längst auf dem Zimmer ihres Gastes sein und ausgepackt werden!
Sie winkte Martin heran, der vor der Salontür stand und ein unbewegliches Gesicht zog.
„Hat Mr. Jessop dir aufgetragen, die Tür zu bewachen?“
„Nein, Mrs. Warren. Ich halte mich nur zur Verfügung.“
Eleanor nickte. „Dann könntest du doch eigentlich Mr. Randals Gepäck nach oben tragen? Hat er seinen Diener dabei?“
„Ich glaube, er hat gar keinen Diener. Beatty pflegt sich bei Bedarf auch um ihn zu kümmern. So war es jedenfalls bei den bisherigen Besuchen von Mr. Randal.“
Eleanor hätte gerne gefragt, wie der Cousin Seiner Lordschaft denn so war, aber sie wollte sich den Dienern gegenüber natürlich auch nichts vergeben. Deshalb sagte sie nur: „Es ist ja sehr nett, von Mr. Randal, dass er Seine Lordschaft immer wieder besucht, nicht wahr?“
Martin nickte gemessen. „Gewiss, Mrs. Warren. Mr. Jessop hat Cyrus schon informiert, dass das blaue Gästezimmer wie immer für Mr. Randal vorgesehen ist.“
„Nun, Cyrus kümmert sich offensichtlich um den Tee. Dann sei doch so gut, trag die Tasche hinauf und informiere Beatty, dass er alles Nötige veranlassen möge, sofern er nicht gerade von Seiner Lordschaft benötigt wird. Oder leistet Seine Lordschaft seinem Gast beim Tee Gesellschaft?“
„Nein, Mrs. Warren. Mr. Randal hat angekündigt, Seine Lordschaft nach dem Tee in dessen Räumlichkeiten aufsuchen zu wollen.“
„Nun gut, dann kümmere du dich bitte um alles Notwendige, ja?“
Martin verbeugte sich, nahm die Tasche auf und schlug den Weg zur Hintertreppe ein. Eleanor sah ihm gedankenverloren nach: Gab es da eine gewisse Feindseligkeit zwischen Martin und Cyrus? Oder wollte Martin sich etwa nicht um Mr. Randals Bedürfnisse kümmern? Etwa weil er keinen Titel trug? Das konnte sich eines Tages ja durchaus ändern, denn nach dem, was sie bisher über den siebten Earl gehört hatte, schien er keine Anstalten zu machen, zu heiraten und die üblichen zwei Erben in die Welt zu setzen.
Wer sagte denn, dass der achte Earl nicht als erstes Martin entließ, weil er sich so unehrerbietig gezeigt hatte?
Während dieser Gedanken hatte sie den Blumenstrauß, den sie selbst vorgestern auf das Tischchen unter dem großen Spiegel gestellt hatte, kontrolliert und eine leicht verwelkte Margerite herausgezogen. Sie wandte sich gerade wieder dem Küchentrakt zu, um die Blume in den Kehricht zu werfen und etwas Wasser für die Vase zu holen (in Zukunft sollten die Stubenmädchen sich darum kümmern, aber das musste sie ihnen wohl in klaren Worten auftragen), als jemand hinter ihr fragte: „Wer sind Sie denn?“
Kapitel 4
Sie fuhr erschrocken herum und knickste dann so flüchtig, wie es ihrer doch immerhin gehobenen Stellung zukam. „Mr. Randal? Ich bin die