Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA. Michael Miller
Wähler, die Barack Obama mit großer Mehrheit 2008 gewählt hatten, steckten auch die große Erwartung an ihm, den alltäglichen Rassismus in den USA zu beenden. Zumindest aber die Polizeigewalt gegenüber der schwarzen Minderheit zu stoppen. Angetreten war Obama auch mit dem Versprechen, die USA in einem „grand bargain“ zu einen, doch vielmehr stellen die US-Bürger jetzt fest, dass die USA mehr denn je in unterschiedliche Ethnien gespalten sind. Viel hat sich seit den sechs Jahren seiner Präsidentschaft für die Afroamerikaner nicht verbessert. Im Alltag erzielt die afroamerikanische Minderheit in den USA keinen Vorteil daraus, dass es einen schwarzen Präsidenten gibt. Die Rassentrennung verläuft jetzt unsichtbarer aber nicht weniger schmerzhaft. Die weißen US-Bürger stellen noch immer die Führungsschicht des Landes, während die Afroamerikaner noch immer die schlechtere Bildung, ein geringeres Einkommen und weniger Chancen auf Wohlstand haben. In der sozialen Mobilität hat die stark wachsende Gruppe der Lateinamerikaner die Afroamerikaner schon längst überholt.
Gleich nach dem Einzug ins Weiße Haus hatte Obama das Thema der Hautfarbe keine allzu große Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Er möchte nicht seine Präsidentschaft mit dem Thema der Rassengleichheit in die US-Geschichte eingehen. Eine Einwanderungs- sowie eine Waffenrechtsreform scheinen neben seiner Gesundheitsreform die Meilensteine zu sein, mit denen er als Präsident in Erinnerung bleiben möchte. Außer seiner stark umstrittenen und boykottierten Gesundheitsreform, sind alle weiteren Projekte Obamas nicht vollständig umgesetzt worden. Dafür haben ihn die Republikaner mit ihren Blockaden mürbe gemacht.
Die Machtbefugnisse des US-Präsidenten sind allerdings auch stark begrenzt, um Änderungen von oben durchzusetzen. Durch den Föderalismus in den USA fehlt dem US-Präsidenten der Einfluss auf die Justiz und auf die Polizeibehörden in den Bundesstaaten. Obama kann nur mit der Macht des Wortes Änderungen predigen, doch auch hier spricht der Präsident nach Ansicht seiner Wähler zu wenig über Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Doch Obama agiert nicht ohne Grund vorsichtig bis zaghaft. Als erster afroamerikanischer Präsident will er sich nicht einseitig einer Ethnie im Land zuordnen lassen und tritt daher für die meisten Schwarzen zu verhalten auf. Wiederholt hatte Obama darauf hingewiesen, dass ein Präsident das gesamte Land repräsentiert. Doch eine schärfere Verurteilung von Ungerechtigkeiten würde seiner Präsidentschaft letztendlich eher stärken, auch wenn eine klare Positionierung von ihm in den letzten Amtsjahren nicht mehr zu erwarten ist. Der soziale Frieden in den USA wird trotz Wahlversprechens von 2008 nicht durch Barack Obama wieder hergestellt werden können.
Mit Stolz kann die Obama-Regierung allerdings verkünden, dass sie seit 2010 rund 11 Millionen Arbeitsplätze geschaffen hat. Seit der Immobilien- und Bankenkrise steht das Land wieder im Aufschwung dar. Doch die wirtschaftliche Erholung geht an der afroamerikanischen Community fast vollständig vorbei. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote von Schwarzen liegt rund doppelt so hoch wie die von weißen US-Bürgern und selbst die stark anwachsende Bevölkerungsgruppe der Lateinamerikaner steht deutlich besser auf dem US-Arbeitsmarkt dar. In den finanzschwachen und von Sozialtransfer abhängigen Familien bewohnten Gebieten der USA zementiert die schlechte und unterfinanzierte Schulbildung die Chancenungleichheit auf dem Arbeitsmarkt für Generationen fest. Die USA weisen damit drei große Bevölkerungsgruppen auf, die sich unterschiedlich entwickeln und deren Aussichten auf erwirtschafteten Wohlstand sich stark unterscheiden.
Am Dienstag tritt auch der Bürgerrechtler Al Sharpton in einer Kirche in Ferguson auf und sagt, dass sich der unbewaffnete Michael Brown mit erhobenen Händen ergeben wollte und dennoch von einem weißen Polizisten erschossen wurde. Mehrere Zeugen sagen nun aus, dass Brown die Arme nach oben gerissen habe und er von vorn erschossen worden sei. Sharpton will Antworten für die Familie Brown und für alle Afroamerikaner auf die Frage, warum das Zeichen der Kapitulation vom Polizeischützen ignoriert wurde. Der Reverent macht in der Rede auch klar, dass er nicht nach Ferguson gekommen ist, um neue Gewalt zu schüren, sondern der Familie Brown zu helfen Gerechtigkeit in dieser traurigen Angelegenheit zu finden. Er fordert die Ermittlungsbehörden auf, die Untersuchungen transparent und gründlich vorzunehmen. Während der Rede in der Kirche, die nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt steht, sitzen auch hohe Beamten der Stadt bei, wie der Polizeichef von Ferguson, Thomas Jackson.
Unterdessen wird am Dienstag, dem 12. August 2014 von der Federal Aviation Administration (FAA), der Bundesluftfahrtbehörde, bekannt gegeben, dass sie eine temporäre Flugbeschränkung über den Luftraum von Ferguson und Teilen von Nord St. Louis verhängt hat. Als Begründung wird lapidar angegeben, dass eine „sichere Umgebung für die Strafverfolgung“ hergestellt werden soll. Zudem soll auf einen Polizeihubschrauber geschossen worden sein. Kritiker sehen darin jedoch eine Einschränkung der Pressefreiheit, weil TV-Hubschrauber nun ab sofort nicht mehr über die Unruhen in Nord St. Louis berichten können. Die Untersuchungen würden auch grundsätzlich am Boden stattfinden, sodass nach Ansicht der Kritiker auch keine Beeinträchtigung von TV-Hubschraubern vorkommen sollte.
Als Ergänzung zu den lokalen Ermittlungen wird der Justizminister Eric Holder den Fall dem FBI übergeben. Mehrere Bundesbeamte sind schon in Ferguson eingetroffen. Mitglieder des US-Kongresses begrüßen die bundesstaatlichen Ermittlungen. Der Fall betrifft nun die fundamentalen Bürgerrechte der USA und soll nicht allein von einem lokalen Staatsanwalt untersucht werden. Der Justizminister will seinen Kampf für gleiche Bürgerrechte für jeden US-Amerikaner in Ferguson fortsetzen. Zu Beginn seiner Amtszeit vor fünf Jahren machte Holder mit einer Aussage Schlagzeilen, als er die USA in ihrem unrühmlichen Umgang mit den Rassenkonflikten als eine „Nation von Feiglingen“ bezeichnete. Die Bundesüberprüfung auf mögliche Bürgerrechtsverletzungen hat Holder schon 20-mal geführt. Ferguson wird aufgrund der wütenden und gewaltsamen Proteste ein besonderes Ereignis sein, welches er sich genau widmen möchte.
Holder, selbst Afroamerikaner, unterstreicht sogar, dass es möglicherweise rassistische Profilerstellungen, dem sogenannten „racial profiling“, in der Polizei von Ferguson und St. Louis gäbe. Und das, obwohl der US-Bundesstaat Missouri eine Gesetzesänderung im August 2000 vorgenommen hatte, um dem „racial profiling“ entgegenzuwirken und den Behörden die Gelder zu entziehen, die durch diskriminierendes Verhalten auffällig wurden. Auch die Polizei in Ferguson und St. Louis müssen Daten über kontrollierte Personen erheben, wie das Alter, das Geschlecht und die Hautfarbe. Die Behörden leiten die Daten jährlich an den Staatsanwalt weiter, der wiederum den Gouverneur von Missouri unterrichtet. Nach der jetzt bekannt gewordenen Statistik aus Ferguson wurden Afroamerikaner häufiger als Weiße auch im Bezug zur Bevölkerungsmehrheit der Stadt zu Verkehrskontrollen herausgezogen. Doch fanden laut Statistik die Polizeibeamten proportional mehr illegale Drogen bei Weißen als bei Afroamerikanern, sodass die alltägliche Polizeiarbeit durchaus rassistische und diskriminierende Züge trägt. Denn kleinste Verkehrsdelikte endeten für die schwarzen Bewohner zumeist mit Bußgeldbescheiden, während weiße Verkehrsteilnehmer häufig nur mündlich ermahnt wurden.
Der Justizminister gibt sogleich bekannt, dass „nur die Bundesregierung die Ressourcen hat, die Erfahrung und die uneingeschränkte Unabhängigkeit“, um zu einem objektiven Ergebnis im Fall Michael Brown zu kommen. Die große und heftige Kritik Holders an der Polizei in St. Louis wird auch durch eine Rüge knapp ein Jahr zuvor von der Missouri State Conference bestätigt. Im November 2013 stellte die Konferenz fest, dass es zu rassistischen Profilen innerhalb der Polizeibehörden gekommen war, die die Bürgerrechte verletzten. Auch damals sollen Polizeibeamte Afroamerikaner proportional häufiger als Weiße kontrolliert und verhaftet haben. Daneben sollen in der Einstellung von afroamerikanischen Polizisten diskriminierende Ablehnungskriterien vorherrschen. Dabei sehen Bürgerrechtler den Fall in Ferguson nicht als eine Ausnahme, sondern eher als die Regel für die gesamten USA an. Schon seit jeher gibt es Spannungen seit der Abschaffung der Sklaverei in den USA zwischen den Minderheiten und den Weißen. Nur würden heutzutage Polizeigewalt und Todesfälle in Polizeigewahrsam den Rassismus in den Vereinigten Staaten fortleben lassen.
Für eine große Demokratie wie die USA sind solche Verhältnisse auf Dauer nicht zu dulden. Die USA haben seit den Rassenunruhen der 1960er Jahre einen fundamentalen Wandel durchgemacht, der es afroamerikanischen Bürgern erlaubt, Anwälte, Richter, Abgeordnete und Senatoren und schließlich sogar Präsident und Oberbefehlshaber der USA zu werden. Es ist seit den vergangenen Jahrzehnten nach Martin Luther Kings Tod gelungen, eine afroamerikanische Mittelschicht aufzubauen, die den Weißen in fast