Andrea – Liebe ist nicht heilbar.. V. A. Swamp

Andrea – Liebe ist nicht heilbar. - V. A. Swamp


Скачать книгу
an den Rändern dunkelbraun, aber niemals schwarz! Das W 48 klingelt. So früh, das ist ungewöhnlich. Es ist noch nicht einmal 10 Uhr morgens, das ist für einen Rentner mitten in der Nacht. Leider kann man auf dem Telefon nicht sehen, wer anruft. Da sind diese digitalen Dinger im Vorteil. Ich melde mich mit »Hallo«. Es ist Andrea. Mir fällt vor Überraschung fast der Hörer aus der Hand.

       »Andrea? Das ist aber eine Überraschung.«

      Andrea lacht.

      »Hoffentlich eine Angenehme?« Was soll ich darauf antworten?

       »Eine sehr Angenehme. War die Party ein Erfolg? Wie lange habt Ihr noch gemacht?«

       »Nicht mehr sehr lange, das waren ja überwiegend ältere Semester, die halten im Allgemeinen nicht mehr so lange durch.«

      »Ich fand, dass einige einen ganz schön fitten Eindruck machten.« lüge ich. Was will Andrea? Mir ist dieser Anruf irgendwie unangenehm.

       »Ich würde Dich gerne wiedersehen.«

      Warum zum Teufel ein Wiedersehen? Das gestern war ja nicht ohne Peinlichkeit und solche Geschichten will ich mir unbedingt ersparen. Ist das nun Feigheit oder mein linkischer Versuch, charmant rüberzukommen? Jedenfalls will ich Andrea keinesfalls brutal eine Abfuhr erteilen.

      »Wie stellst Du Dir das vor?« frage ich vorsichtig.

       »Ganz einfach, wir gehen heute zusammen essen. So gegen14 Uhr im Löwenhardt? Du weißt doch, wo das ist?«

      Ich antworte viel zu schnell, ohne mir über die Konsequenzen Gedanken zu machen.

       »Natürlich kenne ich das Löwenhardt.«

      »Wunderbar« jubelt Andrea, »dann sind wir dort um 14 Uhr verabredet.«

      Andrea legt auf, ohne dass ich Gelegenheit bekomme, noch etwas zu sagen. Erst jetzt wird mir klar, dass Andrea mich überrumpelt hat. Was soll das alles? Ich gehe zu meiner CD-Sammlung und lege „Norah Jones – Lonestar“ auf. Ich meine die Duett-Version mit Willie Nelson, die finde ich, ist die beste. Das Stück passt jetzt irgendwie gut zu meiner Stimmungslage. Will ich mich wirklich noch einmal mit Andrea treffen? Ich sehe eigentlich überhaupt keinen Sinn darin. Ich sollte sie anrufen und ihr irgendetwas von einem anderen Termin vorschwindeln, den ich soeben übersehen habe. Da fällt mir ein, dass ich nur Andreas Festnetznummer habe. Die werde ich auf keinen Fall anrufen. Am Ende treffe ich dann auf ihren Mann und der hält mich seit gestern Abend ohnehin für total durchgeknallt. Und was kann ich ihm sagen, falls er nach dem Grund meines Anrufs fragt?

      Mir wird plötzlich bewusst, dass ich fast nichts über Andrea weiß. Ja, ich kenne ihr Alter und ich habe auch ihren Mann kennengelernt. Kennengelernt ist auch übertrieben. Wir haben nur ein paar Worte miteinander gewechselt. O. K., ich werde die Verabredung im Löwenhardt wahrnehmen, und ihr dann irgendwie schonend beibringen, dass dies unsere letzte Verabredung war. Ich hasse Dinge mit ungewissem Ausgang und das mit Andrea ist so eine hassenswerte Sache. War sie eigentlich damals auch so? Ich meine, so spontan, so unberechenbar? Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern. Ich weiß nur, dass sie sehr hübsch war oder, dass ich sie zumindest als sehr hübsch empfunden habe. Jetzt, als reifes Mädchen kann man das bei ihr immer noch irgendwie nachempfinden. Sie ist gepflegt, hat ihre Figur im Griff, riecht gut und schmeckt extrem... Verflucht, was reime ich mir da zusammen? Was erwarte ich von einem 60-jährigen Mädchen? Nichts, aber auch rein gar nichts habe ich zu erwarten!

      Das Löwenhardt ist um diese Zeit schon gut gefüllt. Überwiegend Geschäftsleute, die ihr Mittagessen hier einnehmen. Nach einem großen Essen ist mir nicht zumute. Falls ich mittags esse, werde ich schnell schläfrig. Deshalb habe ich während meiner Berufszeit meistens auf das Mittagessen verzichtet. Andrea ist noch nicht da. Ich frage nach einem Tisch für zwei Personen und erhalte einen dieser kleinen Tische am Fenster. Gut so, denke ich. Von hier aus kann ich auf die Straße schauen und gegebenenfalls auch sehen, wenn sie draußen am Fenster vorbeigeht, vorausgesetzt, sie kommt aus dieser Richtung. Ich bestelle mir einen Pinot Grigio und eine kleine Flasche Wasser. Das sollte für das kommende Gespräch reichen. Ich beobachte die Straße. Dort ist eine Menge Betrieb, das Löwenhardt liegt mitten im Geschäftsviertel, und viele Beschäftigte nutzen ihre Mittagspause zu einem Spaziergang oder für kleinere Besorgungen. Direkt am Straßenrand vor meinem Fenster hält ein riesiges braunes UPS-Fahrzeug. Hier ist doch Halteverbot, oder? Na ja, diese Auslieferungsfahrer scheren sich um nichts. Kann man ihnen allerdings ihnen auch nachsehen, bei dem Zeitdruck, den die haben. Ich habe gottseidank selten ohne Zeitdruck arbeiten müssen. Ich bin nicht faul gewesen, aber Zeitdruck geht oft auf Kosten der Qualität. Meine ich jedenfalls. Nach einer halben Stunde ist Andrea immer noch nicht da. Um diese Zeit ist dichter Verkehr und in dieser Gegend sind die Parkplätze knapp, da kann man sich schon einmal verspäten. Nach weiteren dreißig Minuten Wartens überlege ich, ob ich die Getränkebestellung noch einmal erneuern soll. Ich entscheide mich dagegen, bezahle und verlasse das Löwenhardt. Eigentlich bin ich froh, dass Andrea nicht gekommen ist. Das erspart mir, die Geschichte persönlich zu beenden. Welche Geschichte? Na ja, wer weiß, was noch alles gekommen wäre.

      In den folgenden Tagen wende ich mich all jenen Dingen zu, die so ein Witwerdasein bestimmen. Ich lasse eine kleine, aber notwendige Reparatur am Auto ausführen, bringe meine Oberhemden zur Wäscherei und meine Hosen und Pullover zur Reinigung. Ich mache ein paar Dinge in meinem Haushalt, zeichne einige Fernsehsendungen auf, die ich mir später einmal anschauen möchte und lese in dem Roman, den ich mir vor Kurzem gekauft habe. Es ist eine ziemliche Schmonzette von einem 18-jährigen Mädchen, die von einem Punk aufgrund einer Wette verführt wird. Normalerweise lese ich nicht so ein Zeug, aber das Buch hatte eine gute Besprechung und da habe ich es halt gekauft. Das nächste Buch wird mit Sicherheit anspruchsvoller.

      Andrea hat sich nicht mehr gemeldet. Ich weiß nicht, ob ich darüber froh sein soll oder ein wenig sauer. Auch in meinem Alter wird man nicht gerne versetzt. Wann bin ich überhaupt einmal versetzt worden? In den letzten Jahrzehnten bestimmt nicht. Ich glaube, es war noch vor meiner Zeit mit Andrea. Aber das Mädchen, was sich das damals geleistet hat, ist dafür böse bestraft worden. Der Typ, dessentwegen sie mich hat sitzen lassen, hat sie diverse Male übel verprügelt. Hat mir damals ein Freund erzählt. Woran man sich manchmal so erinnert. Das muss doch mindestens vierundvierzig Jahre her sein, oder so. Warum meldet sich Andrea nicht? Die Nummer am Tisch war doch nicht schlecht, auch wenn wir die nicht zu Ende bringen konnten, oder? Ich werde es mir heute Abend vor dem Fernseher gemütlich machen. Ich nehme mir vor, ab heute meinen Alkoholkonsum in Grenzen zu halten. Mehr als zwei Flaschen Bier am Abend sollten nicht drin sein. An den letzten Abenden wurde es meistens noch eine dritte Flasche! Nicht zu vergessen das „Obendräufchen“. Ein gut eingeschenkter Himbeergeist oder so etwas Ähnliches. Das ist nicht gut. Nein, das ist alles überhaupt nicht gut.

      Es läuft nicht rund.

      Irgendetwas stimmt mit mir heute Morgen nicht. Ich bin aufgewacht und fühle mich wie gelähmt. Nicht, dass ich normalerweise jubilierend aus dem Bett springe. Das habe ich übrigens noch nie gemacht. Auch nicht, als ich jünger war. Im Gegenteil, ich habe immer gerne lange geschlafen und mir Zeit genommen beim Aufstehen. Die wenigen Male, als ich die Nacht durchgemacht habe, hatten immer zur Folge, dass mindestens der nächste Tag scheußlich war. Ich habe dann immer ziemlich lang gebraucht, bis mein Motor wieder richtig rund lief. Deshalb gehörte ich gewöhnlich immer zu den Ersten, die eine Party verließen. Rita hat das genervt, da sie selten ein Ende fand. Wie war das eigentlich mit Andrea? Schon die Frage ist irgendwie dämlich. Mit Andrea habe ich eine ganz andere Zeit verbracht. Wir haben studiert und konnten in aller Regel ausschlafen, wenn wir über die Stränge geschlagen haben. Habe ich das so richtig in Erinnerung? Ist ja auch egal. Es ist alles schon so lange her. Jedenfalls geht es mir heute Morgen nicht gut. Ich schleppe mich ins Bad und selbst das Rasieren bereitet mir Mühe. Dabei kann ich mein Unwohlsein gar nicht einordnen. Schmerzen habe ich keine. Aber eine seltsame Antriebslosigkeit hat meinen ganzen Körper befallen. Ich habe schon seit Langem keinen Arzt mehr aufgesucht. Brauche ich auch nicht. Ich bin stark und mein Körper verfügt über fantastische Selbstheilungskräfte.


Скачать книгу