Stirb endlich Alter. Georg Christian Braun

Stirb endlich Alter - Georg Christian Braun


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habe ich Zeit. Wenn du noch Fragen hast, bitte. » Annika legte ihre Jacke ab, ging in die Küche, wo sie etwas getrunken hatte. Dann schlenderte sie vorsichtig in das Wohnzimmer, Roland wartete, bis das Interview endlich starten konnte.

      »Was ich noch wissen will: Wie lernte Opa seine Frau kennen, also die Oma, die ich nie gekannt habe? »

      »Das war auf einem Blasmusikkonzert. Meine Mama spielte Klarinette, richtig gut. Dem Opa fiel sie sofort auf. »

      »Was machte er, um sie kennenzulernen? »

      »Er sprach sie persönlich an, begleitete sie nach Hause. Und bald waren sie ein Paar. »

      »Wann was das? »

      »1955, beide waren achtzehn. Damals noch nicht volljährig. »

      Annika wollte wissen, wann sie geheiratet haben und wo sie nach der Hochzeit gewohnt hatten. Roland antwortete alles wahrheitsgemäß. Dann stellte er plötzlich eine Frage:

      »Interessiert dich nur der oberflächliche Kram?, Willst du wissen, wie Opa als Vater gewesen war? »

      Annika fühlte sich bloßgestellt und drehte das Gesicht zur Seite. Eigentlich sah die Rollenverteilung so aus, dass sie die Fragen stellte und Roland antwortete. Der Wink mit dem Zaunpfahl brachte sie aus dem Konzept, sie antwortete:

      »Doch, mich interessiert, wie Franz als Vater gewesen war. »

      Roland bemerkte die merkwürdige Reaktion Annikas, strich ihr entschuldigend über den rechten Handrücken und meinte:

      »Tut mir leid, ich wollte dich nicht kränken. Ich denke, man lernt einen Menschen am besten über den Charakter kennen. » Annika nickte schweigend, was Roland als Bestärkung empfand und mit den Erinnerungen an Franz fortsetzte.

      »Meine Geschwister sprechen unterschiedlich von ihm. Er verhielt sich oft rücksichtslos, weil er überall geraucht hatte und auf unsere Bedürfnisse keine Rücksicht genommen hatte. Das brachte viel Ärger.«

      »Ärger? Haben deine Eltern gezofft? »

      »Ja. Mama wollte unbedingt eine rauchfreie Wohnung. Franz sagte, dass er viel arbeitete und die Zigaretten ihm einen Ausgleicht geboten hatten. »

      »Wo hat Opa gearbeitet? »

      »Tags über in der Metallfabrik, nachher bei allen Großeltern in der Landwirtschaft. »

      »Was?? Alle deine Großeltern hatten eine Landwirtschaft? »

      »Ja. Und in beiden Bauernbetrieben arbeitete wie ein Tier. Ehrlich gesagt, konnte ich ihn schon verstehen, wenn er dann mal eine Ziggi gedrückt hatte. »

      »Rauchen ist aber gefährlich. Auch für die, die danebenstehen. »

      »Du hast Recht. Zurzeit von Opa wusste man das noch nicht, diese Ergebnisse kamen viel später hervor. »

      »Warum lehnte dann deine Mama das Rauchen ab? »

      »Sie dachte und handelte instinktiv. Außerdem nahmen die Gardinen eine kohlschwarze Farbe an. Da meinte sie, dass die Lunge ähnlich aussehen würde. Sie bekam später Recht. »

      Annika wirkte beeindruckt. Die Großeltern schienen eigenständige Charaktere zu sein. Sie verstand Franz deutlich besser. Und bemitleidete ihn ein wenig. Er wurde als Arbeitskraft missbraucht und durfte nicht mal das, was er am liebsten getan hatte: rauchen.

       Kapitel 4

      Man könnte die Vorgehensweise perfide nennen, emotionale Hilflosigkeit würde das Verhalten Rolands besser beschreiben. Er hatte Renate bei der Polizei in Happbach als vermisst gemeldet, der nächst größeren Stadt von Hebelbach gesehen. Da er ahnte, wohin Renate geflohen war, erwähnte er Mariannes Wohnung als mögliche aufnahmebereite Örtlichkeit. Auf diese Weise umging Roland den persönlichen Kontakt mit der ungeliebten Schwägerin und erreichte doch, was er vorhatte: dass Renate zwangsweise Farbe bekennen musste.

       Die Kinder bleiben zu Hause. Ich brauche sie, wer kümmert sich ansonsten um Franz? Sie haut ab, die Kinder müssen zur Schule, ich in den Wald, und Franz? Wenn dem was zustößt, bin ich der Dumme, nee, nicht mit mir. Wahrscheinlich will sie noch Unterhalt.

      Annika und Lars besuchten die Realschule in Happbach. Sie benutzten den Schulbus, um dorthin zu gelangen. An diesem Tag, dem zwanzigsten Dezember, war alles anders. Sie durften nicht in die Schule.

      »Hört zu, ihr beiden. Ich verlange, dass ihr euch um Franz kümmert. Es geht nicht anders. »Roland meldete sie krank. In Wahrheit mussten die beiden ihren überforderten Vater entlasten und auf Franz aufpassen. Roland sägte Christbäume im Dorfwald und verdiente damit das Einkommen in den Wintermonaten. Er konnte unmöglich gleichzeitig an zwei Orten sein, daher brauchte er jemanden, der ihm half. Da er keine Zeit hatte, sich über professionelle Hilfe zu informieren, entschied er kurzerhand, die Kinder einzuspannen. Die wussten nicht, wie ihnen geschah, zwang ihr Vater sie in der Vergangenheit in die Schule, wenn ihnen schlecht war oder sie unter Fieber gelitten haben. Jetzt, wo es ihm gelegen kam, hielt er sie von der Penne entfernt. Beide hätten wichtige Klassenarbeiten zu schreiben, worauf Roland mit abweisender Hand reagierte.

      »Der Opa ist wichtiger als Klassenarbeiten«, meinte er und erklärte in dürren Worten, was die beiden zu tun hatten. Er zog seine Arbeitsjacke an, stieg in den Geländewagen und tuckerte vom Hof. Die beiden jungen Kinder bekamen es mit der Angst zu tun, weil sie mit ihrem todkranken Opa alleine im Haus und für ihn verantwortlich waren. In ihrer Not schrieben sie an Renate:

      »Papa ist im Wald, wir mit Opa allein. Haben Angst.« Sie las die SMS, als die Polizei in Person Herrn Mühlroths an der Türe von Mariannes Wohnung klingelte und ihre Schwester gerade öffnete:

      »Guten Morgen, Frau Haberer, entschuldigen Sie die Störung. Wir haben eine Vermisstenmeldung erhalten. Ihr Schwager sucht seine Frau, also Ihre Schwester, Renate Kastel.«

      »So, er sucht seine Ehefrau. Hat er Ihnen gesagt, dass meine Schwester sich heute von ihm getrennt hat?«, fragte Marianne.

      »Diese Information ist neu für uns.« Während ihre Schwester sich für sie den Mund fusselig redete, quälte Renate der Hilfeschrei ihrer Kinder. War es richtig, die beiden den Konflikt ihrer Eltern ausbaden zu lassen? Sie zauderte kurze Zeit, denn warum sollten Unschuldige die Suppe auslöffeln? Dann schoss es ihr durch den Kopf: Wenn sie klein beigab, hätte Roland sein Ziel erreicht. Dass alles so weiterlief, wie es bislang in seinen Augen funktioniert hatte. Aber nur in seinen, Renate blieb standhaft und ließ Marianne gewähren.

      »Frau Haberer, jetzt mal konkret: Ist Ihre Schwester bei Ihnen?«

      »Ja, sie ist hier, will aber definitiv weder mit Ihnen reden noch zur Familie zurück. Noch was?«, wurde sie ungeduldig.

      »Das wäre es fürs Erste. Einen schönen Tag.« Und damit rauschten die Polizeibeamten davon.

      Anschließend zeigte Renate ihrer Schwester die SMS von Annika und Lars und fragte nach ihrer Meinung.

      »Renate, bleib hart. Das Problem ist nicht mehr deines. Schreibe den Kids, sie sollen nur das machen, was sie können und ansonsten Roland fragen.«

      Der Vorschlag bestärkte Renate und sie setzte ihn um.

      Annika und Lars missfiel das Vorgehen ihrer Mama. Sie fühlten sich alleine gelassen und ließen es Renate wissen. Die ergriff endlich die Initiative und rief Roland an:

      »Roland, die Kinder sind mit der Pflege des Opas überfordert. Das ist ab sofort dein Job. Wenn du nicht augenblicklich die Kinder in die Schule schickst, schalte ich die Ämter ein.« Sie gab ihrem Noch-Mann keine Antwortmöglichkeit mehr. Der schmiss voller Wut die Motorsäge auf den Boden, stieg in den Geländewagen und machte sich aus dem Staub. Aber nicht nach Hause, sondern zu Marianne. Die Polizei hatte ihm verraten, dass Renate sich dort aufhielt.

      »Ich will Renate sprechen«, fauchte er die Schwägerin an.

      »In dieser Stimmung bleibst du vor der Tür. Renate hat sich von dir getrennt. Alles Weitere dann später.«

      »Bitte,


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