Annisas Flügel. Martin E. Greil
frag ich nicht lang, ich nehme.“
Der Vater des Bauern, Hermann Boeremann, wird sicher auch bald aus dem Betrieb ausscheiden. Noch lässt Martin Boeremann ihn in der Fabrik mitarbeiten. Er muss ja auch mal raus aus dem Dorf. Und trauen tut er niemandem. Er ist das einzige Kind.
Erfolg ist wichtig, wenn man Sohn des alten Bauern ist. Alles hat er richtig gemacht. Er war sogar auf der Schule einer der Besten, der junge Bauer Boeremann. Wirtschaftsabschluss mit Auszeichnung. Und seit Jahren ein Plus im Betrieb.
„Es geht aufwärts“, lobte die Mutter von Martin Boeremann ihn immer. Monika, die Frau des jungen Bauern, unterstützt ihn, wo sie nur kann.
„Eine ganz liebe Person“, meint der alte Bauer immer.
„Halt keine Bäuerin, es ist eine aus der Stadt. Aber hübsch, groß, blondes langes Haar und blaue Augen. Halt keine Kinder haben sie!“ Der alte Bauer würde sich schon sehr über Kinder freuen. Alt genug ist er geworden und immer noch ohne Enkel.
„Alles haben sie gemacht, aber Kinder haben sie keine!“, verbreitet der alte Bauer Boeremann immer wieder im ganzen Dorf. Das ganz zum Leidwesen von Monika Boeremann, die sehr darunter leidet. Ihr Schwiegervater war auf dem Hof nicht immer leicht zu ertragen. Sie war es gewohnt, ihre eigene Meinung zu haben. Trotz Ehe selbstständig zu denken und die Gleichberechtigung einzufordern, sollte diese fehlen. Das wiederum war ein ständiges Konfliktpotenzial zwischen dem alten Bauern und der jungen Frau. Der altenBauer wusste das Gespräch jedes Mal abrupt zu beenden, in dem er die Kinderlosigkeit von Monika kritisierte.
Der Exporteur der Büchsen hat sie eingeladen nach Afrika. Monika Boeremann lässt sich die Gelegenheit nicht nehmen, die Reise zwei Wochen früher anzutreten. Sie hat Freunde in Afrika und einen Plan, den sie vorbereiten will. Martin Boeremann fliegt heute nach. Die Arbeit bleibt dem alten Bauern übrig. Er mag es gern, wieder allein zu herrschen über den Bauernhof und das Büchsenreich.
Afrika
Der junge Bauer, Martin Boeremann, freut sich, in die Exportregion zu kommen. Dass die Frau auch dort ist, gefällt ihm natürlich noch mehr. Geschäftig wie er ist, will er den Urlaub mit seinem Beruf verbinden. Das ist sein Vorhaben.
Dort unten vermutet er unendliche Absatzgebiete für seine Büchsen. Monika Boeremann wartet schon am Flughafen mit dem Auto. Als sie ihn sieht, freut sie sich sehr. Gemeinsam fahren sie in die große Stadt. Es stört ihn nicht, an den ganzen Pappvororten vorbei zu fahren. Alles hat für ihn seine Bedeutung. Die Armen und die Reichen können gut neben einander leben. Nur, dass natürlich die Reichen nicht seine Büchsen kaufen. Die Reichen sind reich genug, die Büchsen von hier, aus Afrika, zu kaufen. Über die Büchsen aus Europa wissen sie Bescheid. Die wollen sie nicht. Da, und genau da schließt sich der Kreis wieder.
Die Reichen kaufen die Büchsen der Armen, die das Fleisch für die Büchsen liefern, um die Büchsen der Reichen zu kaufen, die billiger sind. Das zu einem Preis, der sich zeigen lassen kann. Natürlich gibt es zwischen dem Lieferanten der Europäischen Büchsen und dem Konsumenten noch eine ganze Kette von Leuten, die mitverdienen. Paradoxerweise funktioniert das Ganze dank der Union einwandfrei.
„Jeder muss leben.“ So auch er. Er lebt nicht schlecht von seinem Geschäft mit den Armen. Jeder verdient. Was brauchen die noch mehr Geld? Hier leben sie in Papphütten, das ist gut so. Sie müssen ja nicht heizen wie wir. Hier zu leben muss ein Traum sein. Ohne Stress und große Verantwortung. Einfach den Tag genießen und faul in der Sonne rumhängen“. Er kennt das alles. Seine Mutter gibt jeden Monat Geld für die Armen in Afrika. Sie hat viele Patenkinder in Afrika. So schließt sich für ihn der Kreis wieder. Sein Mutter gibt und er nimmt. Punkt. Gerechtigkeit nennt er es.
„Mit meiner Arbeit kann ich viele Leute ernähren. Das sollte man nicht vergessen“, sagt er sich selbst, immer noch entlang der Papphütten fahrend.
Das Auto verlässt die Vorstadt. Alles scheint sich für ihn zu normalisieren. Der Asphalt, die gepflegten Gärten, die Einfamilienhäuser alles kurz nach der Pappstadt. Er fühlt sich wieder wie in Europa.
„Na also, geht doch. Hier gibts auch normale Sachen“, denkt er sich, als er in die Hauptstadt einfährt. Monika fragt ihn noch, wie es zuhause laufen würde. Er aber scheint mit den Gedanken schon ganz woanders zu sein.
„Du weisst wir müssen uns nicht beeilen. Wir haben doch alle Zeit der Welt“, meint er zu ihr. Sie sieht ihn verwundert an. Dann schüttelt sie ihren Kopf mit dem Wissen, dass er es nicht aushält, so langsam durch die Straßen zu fahren. Er will arbeiten und das bevor er überhaupt angekommen ist. Aber dieses Ankommen scheint ihm nicht zu gelingen. Monika lacht und sie fahren vorbei an einer Bayrischen Wursterei und einem Tourismusbüro.
„Ja, eh wie bei uns zuhause. Nur wärmer hier, viel wärmer.“ Er denkt darüber nach, hier noch eine Zweigstelle seiner Firma aufzumachen, als sie zur Einfahrt ihres Hauses kommen. Die Dämmerung setzt ein. Seine Frau scheint aufgeregt. Sie hat für ihn etwas vorbereitet. Eine Überraschung. So denkt sie. Monika Boeremann ist Mitte dreißig. Sie hilft dem Bauern im Vertrieb in der Firma. Einen Beruf zu haben ist ihr wichtig. Vorher war sie Lehrerin an einer Grundschule. Es ging ihr nicht um das Geld. Das Glück definierte sie nicht nach materiellem Erfolg. Das erste Mal hat nicht funktioniert. Fehlgeburt. Leider. Dann die Firma. Ablenkung. Etwas anderes tun. Dann herausfinden, dass es mehr gibt, als ihr Wunsch, eine Familie zu haben. Sich zu haben. Im Jetzt zu leben. Dennoch mit wiederkehrenden Gedanken an eine eigene Familie. Da hat der alte Bauer sicherlich Mitschuld. Immer wieder stößt er die verschlossene Wunde auf. Sie weiss, sie ist stark genug, über seinen Worten zu stehen. Dennoch lässt sie es zu, verletzt zu werden. Vielleicht, weil sie doch noch einen Weg finden will, eine Familie zu gründen.
Monika will an eine glückliche Zukunft glauben, doch hinterfragt sie diese oft. Was für eine Zukunft? Was für ein Glück? Bei allen anderen scheint es ein Leichtes zu sein. Bei ihr nicht. Das Heim steht. Die Sicherheit, gegeben für eine sehr große Familie. Sie liebt ihn. Er liebt sie. Er liebt seinen Erfolg. Der Erfolg liebt ihn. Nur die Neider mögen ihn nicht. Aber da stehen beide darüber.
Er liebt sie, weil sie anders ist als die anderen Bauern und ihre Frauen. Sie liebt ihn. Den knochigen, harten Mann. Den Wortkargen. Sie mag das Leben mit ihm, obwohl es nicht das Leben war, dass sie sich erträumt hatte. Aber ein Leben. Ein gutes Leben.
Die Türe zu ihrem großen Haus, welches im Kolonialstil, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, erbaut wurde, öffnet sich. Eine alte Afrikanische Frau, in weissem Dienstkleid und gleichfarbiger Schürze begrüsst die beiden mit einem warmen
„Sir, Madame, willkommen.“ Sie nimmt ihnen ihre Tasche ab und geht ins Haus hinein.
„Ein gutes Haus“, meint Martin zu Monika. Sie hat sich einige der Häuser in der Gegend angesehen. Dieses ist wirklich eines der schönsten in diesem Bezirk. Vor allem der Garten und der Pool. Den Blick über die Unterstadt soll er sich zuerst ansehen. Wenn in der Nacht die Lichter der Stadt angehen, sieht es aus, als ob man in den Sternenhimmel sehen würde. Er fragt sie nach einem kühlen Bier. Er trinkt gerne Bier. Gerade nach so einer langen und anstrengenden Reise. Monika schickt die Haushälterin in die Küche, um die Getränke zu holen. Selber trinkt sie einen leichten Weisswein, gespritzt mit Mineralwasser.
Aufgereiht stehen sie neben der riesigen offenen Feuerstelle im Wohnrau. Drei kleine, schwarze, Mädchen in weissen Kleidern. Die Haare zu einem Zopf nach hinten gebunden. Jede hat eine Orchidee auf der rechten Seite über das Ohr gesteckt.
„Wer sind die“ fragt er, als er sein Bier bekommt. Die Haushälterin sagt kein Wort. Mit ihren Augen deutet sie in Richtung seiner Frau.
„Sind sie nicht süss?“ fragt Monika ihren Mann mit einem erfreuten Lächeln im Gesicht.
„Gehören sie zur Haushälterin?“
„Nein“, unterbricht sie ihn.
„Es sind Strassenkinder. Sie haben niemanden. Kein Zuhause. Auch keine Eltern mehr, sagten sie. Sie kommen, um den Müll aus unseren Tonnen zu holen