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feine Düsseldorfer Gesellschaft hielten, war für mich nicht ohne Walkman mit Heavy Metal zu ertragen. Ellen fand es ganz amüsant, ein wenig im Mittelpunkt zu stehen, und sie freute sich kindisch, wenn sie ein Bild von sich in den Gesellschaftsrubriken entdeckte. Wie sich das für einen treuen Hund gehört, wich TIMO auch dort seinem Frauchen nicht von der Seite: Hinter Ellens Name tauchte in Klammern und Anführungszeichen immer der von TIMO auf.

       “Bist du bald fertig?“ fragte ich Ellen, die vor dem Garderobenspiegel verschiedene Haarspangen ausprobierte.

       Vanessa kam die Treppe herunter. Als sie hörte, wo wir hinwollten, meinte sie ironisch: “Viel Spaß!“ Dann verriet sie uns, dass sie noch Besuch bekommen würde.

       “Von David?“ fragte Ellen.

       Ein breites Lächeln erschien auf Vanessas Gesicht.

       “Wann lernen wir ihn denn endlich kennen?“ wollte ich wissen. “Oder hat der Junge Angst vor uns?“

       “David kommt mit seinen Ängsten besser zurecht als du“, antwortete sie schnippisch.

       “Hat der Herr Professor noch einen Termin für mich frei? Was verlangt er denn für eine Analyse? Eine Tüte Chips?“

       “Haarspangen finde ich bescheuert“, sagte Vanessa zu Ellen. “Wehe, ihr schenkt mir noch mal eine zu Weihnachten. Was krieg‘ ich eigentlich zu Ostern?“

       “Wie wär‘s mit einem Scheck über 10.000 Mark?“ fragte ich.

       “Warum bist du denn heute so blöd?“ giftete sie mich an.

       “Weil er zu Knut und Hanna muss“, antwortete Ellen fürmich. Sie hatte sich für eine schwarze Spange entschieden. “Wir müssen los. Es ist schon halb acht.“

       Sie gab Vanessa einen Kuss. Ich holte fünf Mark aus meinem Portemonnaie und drückte sie Vanessa in die Hand. Sie sah mich erstaunt an.

       “Für den Kondomautomaten im Schlosspark“, erklärte ich.

       Sie schleuderte mir den Fünfer vor die Füße, stürmte die Treppe hinauf und knallte ihre Tür zu. Ellen warf mir einen empörten Blick zu, als ich den Geldschein aufhob.

       “Muss ich jetzt zur Strafe hierbleiben?“ fragte ich hoffnungsvoll.

       Ellen öffnete die Haustür und ging hinaus. Ich folgte ihr. Unser Nachbar, Herr Freese, machte gerade sein Garagentor zu. Ich grüßte kurz, ging zu unserem Wagen, der am Straßenrand parkte, schloss ihn auf und stieg ein. Ellen wechselte ein paar Sätze mit Herrn Freese. Obwohl sie nur übers Wetter redeten, legte Ellen so viel Wärme und Zärtlichkeit in ihre Stimme, dass ich gerührt war. Wir fanden Herrn Freese außerordentlich sympathisch. Er war höflich und zurückhaltend und verlor kaum jemals ein Wort über sich selbst. Wie schwer er den Tod seiner Frau verwinden konnte, merkten wir lediglich daran, dass seitdem ausschließlich ihre Lieblingsblumen in seinem Garten wuchsen - weiße Rosen.

       Ich ließ den Motor an. Ellen wünschte Freese einen schönen Abend und stieg ein. Er winkte uns lächelnd zu, als wir losfuhren.

       Ellen hatte einen Minirock an, was meine Konzentration auf den Straßenverkehr erheblich beeinträchtigte. Schließlich konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und musste meine rechte Hand auf ihre Oberschenkel legen. Sie schob sie unsanft weg und brummte: “Wie alt bist du eigentlich?“

       “Zu Rentner Freese warst du eben viel netter“, protestierte ich. “Weißt du übrigens, was mich als einziges an ihm stört?“

       “Was denn?“

       “Dass er mich immer an meinen Vater erinnert. Ich muss dauernd daran denken, dass ich diesen alten Herrn, der zufällig neben uns wohnt, tausendmal öfter sehe als den alten Herrn, der zufällig mein Vater ist.“

       “Dein Vater hätte ja nicht in dieses Heim in der Eifel ziehen müssen.“

       “Stimmt“, gab ich zu. “Wahrscheinlich hat er unser Angebot, zu uns zu ziehen, nicht richtig ernstgenommen.“

       “Wir auch nicht.“

       Wir wechselten einen schuldigen Blick und das Thema.

       “Wenn mit mir eine Frau so reden würde wie du vorhin mit Freese, würde ich mich sofort in sie verlieben.“

       Ellen stöhnte auf. “Wenn mir einer im Auto Schwachsinn erzählt, würde ich am liebsten das Radio anmachen.“

       “Warum hat sich Vanessa eigentlich so aufgeregt, als ich ihr das Geld für Kondome gegeben habe?“

       Ellen machte das Radio an.

      3

      Bei Knut und Hanna gab es als Hauptgericht einen ausgezeichneten Gemüseauflauf und zum Nachtisch Knuts zähe Anekdoten über seine Kunden - er arbeitete in der Kreditabteilung einer großen Bank - und Hannas Klagen über die Zerstörung der Umwelt. je nachdem, wer von beiden gerade sprach, musste ich entweder lächelnd den Kopf schütteln oder mit düsterer Miene vor mich hin nicken. Knut und Hanna waren eigentlich sehr nett, aber außer Ellen, Vanessa, Steve Martin und Dostojewski konnte mich kaum jemand auf der Welt länger als zehn Minuten unterhalten.

       Natürlich erkundigten sie sich auch nach Ellens Fortschritten mit ihrem neuen TIMO-Buch. Sie wollten unbedingt wissen, wovon die neuen Geschichten handeln. Aber nicht einmal mir hatte Ellen bisher etwas darüber verraten. Sie vertröstete die beiden auf das Freiexemplar, das sie in vier, fünf Monaten in den Händen halten würden. Dann erzählte sie ihnen von Jansens Anruf und von dem Angebot, das er mir gemacht hatte.

       “Und da zögerst du noch?“ rief Knut verwundert aus.

       “Greif ja zu, Achim! Dann hast du einen sicheren Job für deine alten Tage. Oder willst du für den Rest deines Lebens so einen Mist schreiben wie deine Vorabendserien?“

       Ich wäre froh gewesen, wenn ich noch einmal auch nur drei Seiten von einem solchen Mist hätte zustande bringen können. Aber das verriet ich ihm natürlich nicht. Die beiden hatten keine Ahnung, dass mir schon länger nichts mehr eingefallen war, und ich hoffte, dass Ellen es ihnenauch jetzt nicht erzählen würde.

       Nach dem dritten Glas Wein musste ich Knut in seinen Hobbykeller begleiten, wo er mir das Buddelschiff zeigte, an dem er gerade bastelte.

       “Wird bestimmt toll“, meinte ich und unterdrückte dabei ein Gähnen.

       “Genauso toll wie die andern zwanzig Schiffe!“ fuhr mich Knut so unerwartet barsch an, dass ich erschrocken zusammenzuckte. “In jeder freien Minute habe ich mich mit diesem Mist beschäftigt. Wieso hat mir nie jemand gesagt, was das für ein Quatsch ist? lm Sommer werde ich fünfundvierzig, verdammt noch mal! Und was hab' ich geschaffen? Buddelschiffe!“

       Er sah mich so traurig an, dass ich aufhörte zu grinsen. Dann drehte er mir den Rücken zu. Ich sah mir die Buddelschiffe auf den Regalen an und fragte mich, was mit Knut geschehen war, dass er plötzlich zu solch existentiellen Erkenntnissen gelangen konnte. Der einzige Philosoph, mit dem er sich je beschäftigt hatte, war Captain Cook.

       Eigentlich war mir Knut so gleichgültig wie die Farbe unserer Badezimmerkacheln. Er hörte einem nie zu, nervte jeden mit seinen endlosen Geschichten ohne irgendwelche Pointen und hatte so viel Feingefühl wie eine Handgranate. An dem Abend, als ich vom plötzlichen Tod meiner Mutter erfuhr, erzählte er mir zum Trost, wie miserabel er sich gefühlt hatte, nachdem er einmal auf der Autobahn einen Hasen überfahren hatte. Ich schmiss ihn damals raus, weil ich diese Art von Feingefühl nicht ertragen konnte.

       Und jetzt stand er da wie ein Häufchen Elend und tat mir Leid. Seit fast zwei Minuten hatte er nichts gesagt - so lange hintereinander hatte ich ihn bis dahin noch nie schweigen gehört. Es musste also tatsächlich irgendwas Schlimmes passiert sein.

       “Was ist denn los, Alter?“ fragte ich ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. Er schüttelte sie ab.

       Nach einer Weile stieß er einen Seufzer aus und fragte leise: “Hast du Ellen schon mal betrogen?“

       “Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

       Er drehte sich langsam um und sah mich kopfschüttelnd an. “Ist das nicht furchtbar? Ich hab' Hanna auch noch nie betrogen. Seit fünfzehn Jahren


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