Kopf hoch, Kleiner!. Christian Bieniek

Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek


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“Und was war mit der Urlaubsvertretung deiner Sekretärin?“

       Er winkte ab. “Das ging ja nur zwei Wochen. Aber ich hab‘ mich seit fünfzehn Jahren in keine andere Frau mehr verliebt. Richtig verliebt, verstehst du? Mit Herzklopfen, Schlaflosigkeit und Bauchschmerzen.“

       Plötzlich strahlte er übers ganze Gesicht. Ich verstand sofort.

       “Wie heißt sie denn?“

       Und schon sprudelte es aus ihm heraus. Sie hieß Tanja, war

       Friseurin und hatte Knut vor einer Woche die Haare geschnitten. Zehn Minuten lang schwärmte er von ihrer Figur, um dann anschließend zu beteuern: “Aber glaub mir, Achim, eigentlich spielt ihr Aussehen gar keine Rolle.“

       Ich runzelte die Stirn.

       “Na schön, ich geb‘s zu. Ich kann nicht mehr einschlafen, weil ich dauernd an sie denken muss. An ihre Lippen, ihren Körper. In jeder Mittagspause renne ich zehnmal an ihrem Salon vorbei. Und wenn sie einen Minirock anhat oder ein enges T-Shirt . . .“ Seine Augen glänzten, als hätte er gerade eine Ladung Koks geschnupft. “Aber es geht um mehr. Ehrlich! Tanja ist irgendwie - wie soll ich sagen? Sie kann so gut zuhören, obwohl sie erst Anfang Zwanzig ist. Ich habe das Gefühl, als könnte ich über alles mit ihr reden.“

       Wenn ich ihn darauf hingewiesen hätte, dass Friseurinnen genau wie Gastwirte ihre Ohren abschalten, wenn die Kunden anfangen ihre privaten Geschichten zu erzählen, hätte er mich mit seinem größten Buddelschiff erschlagen.

       “Ich muss mich einfach mit ihr treffen, Achim, sonst werde ich wahnsinnig. Aber wie soll ich das bloß anstellen? Sie ist so verdammt jung. Und ich? Sieh mich an!“

       Halbglatze, Tränensäcke, Bierbauch und mit Sicherheit Krampfadern. Er besaß so viel Charme wie ein kaputter Rasenmäher. Die Sache war absolut hoffnungslos.

       “Schick ihr jeden Tag Blumen“, schlug ich vor, weil mir nichts Besseres einfiel.

       Knut hämmerte mir vor Begeisterung beide Fäuste auf die Schultern. “Na klar, Blumen! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Das ist die Idee, Achim! Eine Woche lang werde ich sie überschütten mit Blumen. Und dann lass ich mir wieder die Haare von ihr schneiden und verrate ihr, dass die Blumen von mir waren. Und dann schlage ich einfach eine Verabredung vor. Was meinst du, wie sie darauf reagieren wird?“

       Mit einem Lachkrampf, dachte ich.

       “Sie wird bestimmt nicht nein sagen.“

       So glücklich hatte mich Knut noch nie angelächelt. Hatte er denn keine Schuldgefühle wegen Hanna?

       “Und was ist mit Hanna?“

       Er verstand meine Frage ganz anders.

       “Kein Problem“, meinte er locker. “Die hat natürlich keinen Schimmer, was mit mir los ist. Du kennst sie doch. Sie ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Außerdem würde sie mir so was nie im Leben zutrauen. Ist das nicht wahnsinnig komisch? Seit fünfzehn Jahren verheiratet – und meine Frau versteht so viel von mir wie ich von Molekularbiologie!“

      4

      “Hanna glaubt, dass Knut eine Freundin hat“, meinte Ellen auf der Heimfahrt zwei Stunden später. Ich fing an zu lachen und erzählte ihr dann von Knuts Friseurin. Ellen fand die Geschichte alles andere als komisch.

       “Hanna tut mir leid“, sagte sie nachdenklich. “Und Knut auch.“

       “Ja ja, dir tut die ganze Welt Leid“, knurrte ich.

       “Wäre es nicht schade, wenn die beiden sich trennen würden?“

       “Und wie! Ich würde wochenlang heulen, weil wir die zwei dann nicht mehr besuchen könnten.“

       Sie stieß einen Seufzer aus und schwieg eine Weile.

       “Und du?“ fragte sie dann. “Willst du das nicht auch noch einmal erleben? Herzklopfen, Bauchschmerzen, Schlaflosigkeit?“

       “Das erlebe ich jeden Tag. Nach dem Joggen hab‘ ich immer Herzklopfen. Und von deinem Essen krieg‘ ich Bauchschmerzen. Und ich kann nie einschlafen, weil du immer so laut schnarchst.“

       “Mit dir kann man kein vernünftiges Wort reden.“

       “Jedenfalls nicht nach sechs Gläsern von Knuts Billigwein.“

       Da Ellen jetzt am Steuer saß, konnte sie sich nicht wie auf der Hinfahrt so gut gegen meine Hand wehren, die sich wieder an ihren Oberschenkeln zu schaffen machte.

       “Lass das, wir sind gleich zu Hause“, sagte sie streng und schlug mir auf die Finger.

       “Weißt du noch, damals in München?“ fragte ich sie lächelnd und legte wieder die Hand zwischen ihre Schenkel.

       “Wir beide in meiner roten Ente? Auf dem Parkplatz in Pasing?“

       Mein Mittelfinger wurde immer frecher. Sie bog in unsere Straße ein. Es waren noch etwa zweihundert Meter bis zu unserm Haus. Ellen gab Gas. Ein paar Minuten später hatten wir einen einsamen Parkplatz in der Nahe vom Benrather Bahnhof entdeckt. Nachdem sie das Licht ausgeschaltet hatte, fielen wir übereinander her.

       Unser Wagen war beträchtlich geräumiger als meine alte Ente, er hatte bequeme Liegesitze und eine viel bessere Federung. Trotzdem gestaltete sich das ganze Unternehmen weitaus schwieriger, als wir es uns vorgestellt hatten. Nach dem Höhepunkt musste ich sofort lachen wie verrückt. Dann zählten wir unsere blauen Flecken.

       “Wir sind wohl nicht mehr so drahtig wie früher“, vermutete Ellen beim Anziehen. “Das mach‘ ich jedenfalls nicht noch einmal. Dann lieber auf den Kieselsteinen unten am Rhein.“

       “Jetzt gleich?“

       “Aber nur, wenn du unten liegst.“

       Ich gähnte und zwängte mich in meine Jeans. “Komisch, ich bin auf einmal so furchtbar müde.“

      5

      Am übernächsten Vormittag saß ich im Zug nach Köln. Abends zuvor hatte ich einsehen müssen, dass es sich bei der Serienidee, die mir unmittelbar nach Jansens Anruf eingefallen war, um Schrott handelte. Nach einer unruhigen Nacht und einem sehr einsamen Frühstück hatte ich in einem Anfall von Panik Jansens Privatnummer gewählt und mich mit ihm um elf Uhr in seinem Büro verabredet. Von großer Freude über mein plötzlich erwachtes Interesse an dem Job hatte sich Jansen nichts anmerken lassen, weshalb ich sofort nach dem Auflegen meinen Anruf bereute. Aber dann machte ich mir klar, dass sich ein erledigter Autor - und dafür hielt ich mich nun endgültig - auf der Suche nach einem neuen Job keine Überempfindlichkeit leisten konnte. Sicher, TIMO brachte eine Menge Geld ein, aber ich wollte mir meinen Lebensunterhalt nicht von einem Hund bestreiten lassen, den ich nicht einmal selbst erfunden hatte.

       Das Wetter in Köln passte nicht unbedingt zu der seelischen Verfassung, in der ich mich beim Verlassen des Bahnhofs befand. Es war überaus mild und der Himmel strahlend blau.

       Mit Hilfe eines Stadtplans machte ich mich auf die Suche nach der Straße, in der sich die Produktionsfirma befand. Sie lag südlich der Altstadt, und es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis ich vor einer großen schwarzen Tafel mit den drei winzigen goldenen Buchstaben FIT stand, der Abkürzung für Fun International Television. Ein Architekt und ein Steuerberater residierten ebenfalls in dem sechsstöckigen Bürohaus, in dem FIT die vier oberen Etagen gemietet hatte.

       Es war ein Spiegel im Lift, aber ich schaute nicht hinein. Ich wollte nicht wissen, wie ein dreiundvierzigjähriger Mann aussieht, der in wenigen Minuten das erste Vorstellungsgespräch seines Lebens führen sollte.

       Die Empfangsdame schenkte mir ein strahlendes Lächeln, das mich meine Niedergeschlagenheit für einen Augenblick vergessen ließ. Ich verriet ihr meinen Namen und mit wem ich verabredet war. Sie rief Jansen an, legte auf und bat mich, einen Moment Platz zu nehmen.

       Es war kein Sessel vom Sperrmüll, in dem ich langsam versank. Ich schaute mich um. Vom Empfangsraum führte ein Flur mit vier Türen auf jeder Seite zu einer Treppe mit rotem Geländer, die das Stockwerk mit den drei oberen Etagen verband. Möbel, Lampen, Teppiche, alles sah neu und teuer aus. Die Geschäfte von FIT schienen


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