Im Zentrum der Wut. Irene Dorfner
sehr vage waren. Es gab nur jede Menge Spekulationen, mehr nicht. „Das übliche Blabla, die wissen nichts.“
„Können sie auch nicht. Bis die herausfinden, was passiert ist, ist der Coup längst durch.“
„Was weißt du eigentlich darüber?“
„Nicht so neugierig, Tom. Wir bekommen jede Menge Kohle quasi für nichts. Die beiden harmlosen Bomben, die jedes Kind basteln könnte, waren ein Kinderspiel für uns. Und sie zu zünden war auch ein Spaziergang. Wir hatten versprochen, keine Fragen zu stellen, und dabei sollte es auch bleiben. Oder möchtest du dich mit diesen Leuten anlegen?“
„Auf keinen Fall! Dieser John hat etwas Unheimliches an sich, das mir eine Gänsehaut bereitet. Und du kennst mich lange genug, Sam, so leicht lasse ich mich nicht einschüchtern. John ist nicht dumm, der hat bestimmt studiert. Die Worte, die er benutzt, sind sorgsam gewählt. Außerdem sind einige darunter, die ich noch nie gehört habe. Nein, John ist ein ganz Schlauer, das habe ich gleich gemerkt. Und ich glaube, dass er keinen Spaß versteht. Du hast Recht, wir sollten einfach das tun, was er angeordnet hat. Wir bleiben in unserem Versteck, bekommen in Kürze die Kohle und bleiben, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Viel Geld für wenig Arbeit, was wollen wir mehr?“
„Meine Rede.“
„Trotzdem würde ich gerne wissen, was hinter dem Ganzen steckt.“
Sam dachte ähnlich, sagte aber nichts mehr dazu. John, von dem er den Nachnamen nicht kannte, hatte ihn in einer Bar angesprochen und ihm diesen Job angeboten. Ihm war sofort klar, dass dieses Riesending eigentlich zu groß für ihn war, aber er konnte der Bezahlung nicht widerstehen. Wie immer war er blank und brauchte das Geld. Viel Geld für wenig Arbeit, wobei das Risiko überschaubar war. Auch wenn er den Sinn dahinter nicht verstand, konnte er den Job nicht ablehnen. Sein Cousin Tom war sofort dabei, als er ihn bat, ihn zu begleiten. Tom war zwar einfach gestrickt, aber auch er war stets pleite und für krumme Geschäfte immer zu haben.
Sam bog in die enge Einfahrt des kleinen, gepflegten Hauses im Londoner Stadtteil Croydon ein, das John angemietet hatte. Der Kühlschrank war voll, ebenso das Vorratsregal. In ihren Unterschlupf würde ihnen in wenigen Stunden die großzügige Bezahlung gebracht werden, wovon sie bereits einen ansehnlichen Anteil erhalten hatten. Danach brauchten sie einfach nur hierbleiben und abwarten, mehr nicht. Sam war nicht unglücklich über diese Regelung, denn seine Wohnung war ihm gekündigt worden und er saß quasi auf der Straße. Hier hatte er nicht nur ausreichend zu essen und zu trinken, einen Fernseher und fließend warmes Wasser, sondern vor allem ein Dach über dem Kopf.
Auch Tom war von dem Unterschlupf begeistert, der sehr viel schöner war, als seine heruntergekommene Bude. Es gab sogar einen riesigen Fernseher, von dem er schon immer geträumt hatte. Ja, hier ließ es sich die nächsten zwei Wochen aushalten, von ihm aus auch gerne länger.
John war sehr zufrieden. Er saß in einem Taxi am Flughafen Heathrow und sah zu, wie die beiden Trottel Sam und Tom wie vereinbart zu ihrem Wagen rannten, den sie genau dort geparkt hatten, wo er es von ihnen verlangt hatte. Die beiden waren für den Job perfekt. Ganz in Ruhe zündete er sich eine Zigarette an, woran sich der Taxifahrer nicht störte. Wie auch? Der saß tot hinter dem Steuer. John konnte keine Zeugen gebrauchen und um diesen unfreundlichen Zeitgenossen war es nicht schade. Es war reiner Zufall, dass es diesen Mann heute traf, es hätte jeden anderen auch treffen können.
John sah auf die Uhr, als der Alarm losging. Respekt! Nur sieben Minuten, damit hatte er nicht gerechnet. Trotzdem machte er sich keine Sorgen. Alles lief bisher nach Plan. Er konnte spüren, dass nun die immer wieder eingeübten Abläufe am Flughafen abgespult wurden, die für einen Anschlag exakt ausgearbeitet worden waren. Es war an der Zeit zu gehen. John drückte die Zigarette aus und steckte den Rest ein, er durfte nicht die kleinste Spur hinterlassen. Noch wollte er die Polizei über seine Identität im Ungewissen lassen. Erst, wenn es an der Zeit war, würde er sich zu erkennen geben.
John stieg aus und schlenderte zu seinem Wagen. In aller Seelenruhe lenkte er seinen Benz durch den dichten Verkehr. Im Rückspiegel beobachtete er lächelnd, dass hektisch eine Straßensperre errichtet wurde. Er konnte die Panik in den Augen der Polizisten sehen, was ihn aber nicht beunruhigte. Dass es aufgrund der geringen Sprengkraft keine Toten und vermutlich nicht einmal Verletzte gab, hatte er exakt berechnet, er war ja schließlich kein Unmensch, außerdem war er der Beste auf seinem Gebiet. Er wollte nicht all die Leute am Flughafen treffen. Er wollte nur Panik verbreiten und das schien zu funktionieren.
Er schaltete seine Lieblingsmusik ein. Der Blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass alles so ablief, wie es der Zeitplan für einen Anschlag vorsah. Auf die Polizei war eben Verlass. Er drehte die Musik lauter und lauschte der Musik seines Lieblingskomponisten Puccini. Die Planungsphase der letzten Monate hatte sich bezahlt gemacht, endlich konnte es losgehen. Nur noch wenige Tage und er lag mit einem Cocktail am Meer in der warmen Sonne. Good Bye England, Welcome Sonne, Strand, Meer und schöne Frauen.
Jetzt lächelte John nicht nur, sondern strahlte geradezu.
Phase eins war erledigt, jetzt war es Zeit für Phase zwei.
3.
Die beiden Streithähne hatten sich beruhigt.
„War es das T-Shirt?“, fragte Leo, dem der nun ständig auf- und abgehende Kevin Sparks mächtig auf die Nerven ging.
„Was?“
„Wurde ich wegen meines T-Shirts heute besonders gründlich kontrolliert?“, wiederholte Leo.
„Nein, obwohl ich das echt hässlich finde. Sie müssen froh sein, dass Sie deshalb von Royalisten nicht eine in die Schnauze bekommen haben. Unsere Queen ist uns Briten heilig, auch wenn wir sie nicht alle mögen und viele von uns die Monarchie abschaffen wollen.“
„Warum dann?“
„Routinekontrolle, seit gestern besteht eine erhöhte Terrorwarnung.“
„Und ich sehe aus wie ein Terrorist?“
„Zum einen ist es verdächtig, dass Sie außer Ihrem Handgepäck nichts bei sich haben, das allein ist schon ungewöhnlich. Zum anderen ist es Ihr Erscheinungsbild.“
„Was ist damit? Ich sehe völlig normal aus!“
„In Ihren Augen mag das so sein und das nehme ich Ihnen sogar ab.“ Für Kevin Sparks war das Gespräch beendet, aber für Leo noch lange nicht. Er stand auf.
„Was soll an mir nicht stimmen?“, fragte er nun gekränkt. Er war es leid, dass jeder Dahergelaufene an ihm und seinem Outfit herummäkelte.
„Sie sehen aus, als wären Sie in den achtziger Jahren hängengeblieben. Die Jeans hat einen unmöglich altmodischen Schnitt, die Lederjacke ist mindestens zehn Jahre alt und Ihre Cowboystiefel haben auch schon bessere Zeiten gesehen. Und wo, zum Henker, haben Sie eigentlich dieses potthässliche Bordcase gefunden? Auf dem Sperrmüll?“
Jetzt war Leo richtig sauer. Ja, das Bordcase war reine Geschmackssache. Es war aus hellblauem Kunstleder, auf dem sich alte Aufkleber befanden. Dieses Bordcase, das eigentlich keines war, war einwandfrei und gehörte früher seiner Mutter, die damit weit gereist war.
Noch bevor er etwas auf diese ungeheuerlichen Frechheiten erwidern konnte, klopfte es an der Tür. Nicht zaghaft, sondern heftig.
Leo machte Anstalten, die Tür zu öffnen, aber Sparks hielt ihn zurück.
„Es ist bei einem Terroranschlag untersagt, die Tür zu öffnen“, sagte er bestimmt.
„Das ist ja lächerlich! Erstens wissen wir noch nicht, was wirklich passiert ist, weil wir hier sinnlos in diesem kleinen Kämmerlein sitzen, und zweiten…“
„Und zweitens?“
„Ach, leck mich!“ Leo hatte die Türklinke schon in der Hand, da bekam er von Sparks einen heftigen Schubs, der ihn fast zu Fall gebracht hätte.
„Wer ist da?“, rief Sparks laut, aber er bekam keine Antwort.