Faszination Ladyboy. Fred Suban

Faszination Ladyboy - Fred Suban


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sich die wahre Identität auf Dauer nicht verleugnen lässt. Das wäre ungefähr so, als ob man sich in ein Gefängnis mit Einzelhaft begäbe und sich dabei vormachte, glücklich zu sein. Warum kann man uns nicht akzeptieren, wie wir sind? Schlimm zu ertragen ist auch, dass genau diejenigen, die uns in die Prostitution treiben, uns das zum Vorwurf machen. Was tun wir Böses? Können wir etwas dafür, dass wir so geboren sind?“

      Der letzte Teil ihrer Geschichte, insbesondere die Äußerungen über die Gesellschaft, sind ihr offenbar schwergefallen. Ich spürte ihre Verbitterung und empfand tiefes Mitleid, aber auch ein beschämendes Gefühl der Ohnmacht.

      „Entschuldige bitte“, sagte sie nach einer langen Pause, „aber ich bin so froh, mit jemandem darüber sprechen zu können!“

      „Mach dir deswegen keine Sorgen! Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du mit jemandem sprechen willst oder wenn ich dir irgendwie helfen kann. Jedenfalls bitte ich dich: Melde dich einmal nach deiner Operation!“

      Es war ein ungemütlicher, regnerischer Tag und bereits am Eindunkeln, als ich in der Innenstadt von Basel wieder einmal vergeblich nach einem freien Parkplatz suchte, denn ich sollte heute meine Frau von ihrem Arbeitsplatz abholen. Plötzlich rannte ein kleiner Hund direkt vor mein Auto. Offensichtlich hatte sich dieser von der Leine losgerissen, denn ich sah eine wild gestikulierende, elegante Dame mit einer Leine in der Hand und einem leeren Halsband daran am Trottoirrand stehen, und da ich ohnehin wegen der Parkplatzsuche nur sehr langsam fuhr, konnte ich mit einer Schnellbremsung das Schlimmste gerade noch verhindern. Sichtlich erleichtert kam die Dame auf mein Auto zu und beugte sich zu mir ans offene Fenster, denn ich wollte sie deftig belehren.

      „Ich möchte mich bei Ihnen herzlich bedanken“, entwaffnete sie mich von meinem Vorhaben und drückte mir einen heißen Kuss auf den Mund. Dass es der Hund ihrer Freundin sei und nicht auszudenken gewesen wäre, wenn ich den Hund überfahren hätte, hörte ich wie im Traum, von irgendwoher, von weit weg. Im Vordergrund blieb der Ausdruck eines ungewöhnlich faszinierenden Gesichts mit einem geheimnisvollen Blick, bis mich das Hupkonzert ungeduldiger Automobilisten aus dem Reich der Träume zurückholte.

      Aber ich hatte nur noch eins im Kopf: Diese Frau musste ich wiedersehen, mochte es kosten, was es wollte. Aber ich wusste weder den Namen noch die Adresse, ich hatte nur die Stelle in Erinnerung, wo sich das Ereignis zugetragen hatte. Die Situation und vor allem dieses Gesicht, das diese unerklärliche Faszination bei mir bewirkte, die geheimnisvollen Augen, deren Blick sich tief in mein Inneres bohrte, das alles ließ mich nicht mehr los. Das Verlangen nach einem Wiedersehen raubte mir beinahe den Verstand, und so beschloss ich, mich am Ort des Geschehens wie ein kleiner, zum ersten Mal verliebter Junge auf die Lauer zu legen. Es vergingen Tage und Abende, an denen ich zu unterschiedlichsten Zeiten das Quartier umkreiste in der festen Überzeugung, irgendwann für die Mühe belohnt zu werden. Und tatsächlich: Eines Morgens sah ich sie so, wie ich sie in meiner Erinnerung behalten hatte. Aber ich musste dann doch meinen ganzen Mut zusammennehmen, bevor ich mit gespielter Gleichgültigkeit mit den Worten auf sie zuging: „Guten Morgen! Welch ein glücklicher Zufall, dass wir uns wiedertreffen!“, log ich. „Jetzt, da ich Sie wiedergetroffen habe, muss ich gestehen, dass das Ereignis von damals mir bis heute in lebendiger Erinnerung geblieben ist, und besonders der Kuss hat sich tief in mein Inneres eingegraben.“

      „Das war eigentlich auch die Idee“, hörte ich aus ihrem Mund eine etwas dunkle, samtweiche Stimme sagen.

      Ich war auf alles gefasst, aber diese Erwiderung warf mich doch etwas aus dem Gleichgewicht. „Ich habe alles versucht, Sie wiederzusehen“, gab ich nun unumwunden zu, „und ich möchte Sie gerne näher kennenlernen. Darf ich Sie zumindest zu einem Kaffee, noch lieber aber zum Essen einladen?“

      „Ich nehme Ihre Einladung gerne an, aber ein andermal, denn heute habe ich mich bereits verabredet. Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer, rufen Sie mich für einen Termin einfach an! Übrigens: Mein Name ist Barbara, vielleicht geht es dann besser.“ Mit dieser Bemerkung entschwand sie zusammen mit dem kleinen Hund meinen Blicken.

      „Welch seltsame Begegnung!“, fuhr es mir wieder durch den Kopf, und ich erinnerte mich daran, dass mir ein seltsamer Unterton in ihrer dunklen Stimme aufgefallen war. Nun war es plötzlich nicht mehr nur die Sehnsucht nach einem bloßen Wiedersehen mit dieser Frau, sondern es gesellte sich noch die Neugier hinzu, das Geheimnis zu lüften, das diese Frau in sich trug. Dass es ein Geheimnis gibt, davon war ich inzwischen felsenfest überzeugt.

      Einige Tage später war es dann so weit, denn der Anstand verbot mir, gleich am nächsten Tag anzurufen, obwohl ich meine Ungeduld kaum zügeln konnte. Ich kam mir vor wie ein Kind vor Weihnachten. Wir trafen uns an der bekannten Stelle, um dann im nahe gelegenen Frankreich ein für sein angenehmes Ambiente bekanntes Speiserestaurant aufzusuchen.

      „Barbara“, begann ich das Gespräch vorsichtig, „du strahlst eine mir unbekannte Faszination aus; und wenn ich in deine Augen schaue, glaube ich eine gewisse Sehnsucht darin zu sehen. Kann es sein, dass du ein Geheimnis in dir trägst, das du gerne jemandem mitteilen möchtest? Zudem ist mir der Unterton in deiner dunklen Stimme aufgefallen, und auch der Dialekt lässt vermuten, dass du nicht aus dieser Region stammst.“

      „Es freut und beschämt mich zugleich, dass du mich nach dieser kurzen Zeit durchschaut hast. Du hast richtig vermutet: Eigentlich bin ich Amerikanerin, aber in Holland aufgewachsen, und nun lebe ich seit vielen Jahren in der Schweiz. Nur einmal im Jahr, während der kalten Jahreszeit hier, fahre ich nach Kalifornien, um dort zu überwintern.“

      Inzwischen war das Essen aufgetragen worden, und wir widmeten uns erst einmal den leiblichen Genüssen. Während des belanglosen Gesprächs trafen mich immer wieder diese geheimnisvollen Blicke.

      „Interessant, dein Leben! Ich würde gerne mehr darüber erfahren, falls es dir nichts ausmacht.“

      „Um auf den Punkt zu kommen: Ich war bis vor einigen Jahren noch ein Mann, ein Transsexueller. Wir können jetzt das Gespräch abbrechen, wenn es dir unangenehm ist, denn ich weiß, wie Männer darüber denken.“

      „Das also ist das Geheimnis“, ging es mir durch den Kopf, während ich sie beruhigend aufforderte, doch bitte fortzufahren. Offensichtlich hatte sie Vertrauen gefasst, als ich ihr meine Erfahrungen mit diesem Problem in kurzen Worten schilderte.

      „Danke, dann habe ich dich doch richtig eingeschätzt. Obwohl ich schon einige Jahre hier lebe, kenne ich niemanden, mit dem ich mich aussprechen könnte. Also“, fuhr sie mit sichtlicher Erleichterung fort: „Ich wurde in der Nähe von Los Angeles geboren. Nachdem meine Eltern und auch ich gemerkt hatten, dass ich mich trotz meines männlichen Geschlechts zu einem Mädchen entwickeln würde, zogen wir um nach Kanada. Denn ein solches Leben im konservativen Amerika war damals unmöglich. Im frühen Erwachsenenalter fasste ich dann den Entschluss, in Holland eine Geschlechtsumwandlung vornehmen zu lassen. Nachdem ich einige Jahre lang meinen Wohnsitz dort hatte, konnte ich dann die holländische Staatsbürgerschaft beantragen. Aber das Leben dort hat mir nie gefallen, und deshalb bin ich in die Schweiz gekommen. Ich verkaufe mich als Prostituierte auf Abruf, denn eine andere Möglichkeit habe ich nicht. Ich versuchte es in anderen Jobs, jedoch ohne Erfolg auf Akzeptanz in der Bevölkerung.“

      „Weshalb hast du dich operieren lassen?“, wagte ich einzuwerfen. „Bist du mit dem Resultat zufrieden?“

      „Nein. Ich hatte mir so viel erhofft ‒ einerseits endlich eine vollkommene Frau zu werden, als die ich mich immer fühlte, und andererseits endlich auch als solche akzeptiert zu werden. Zu meiner großen Enttäuschung und zu meinem Leidwesen muss ich feststellen, dass sich weder das eine noch das andere erfüllt hat. Das einzig Positive daran ist, dass ich mich als ‚weiblich‘ im Pass und allen Amtspapieren eintragen konnte. Manchmal habe ich große Sehnsucht danach, mich mit jemandem zu treffen, wie wir es heute tun; einen Freund zu haben, den ich lieben und an den ich mich anlehnen kann. In meinem Studio sind immer alle voller Begeisterung, aber in der Öffentlichkeit will sich dann niemand mit mir zeigen. Ich bin eben in deren Augen ein Transsexueller, ein Transvestit, wie sie es fälschlicherweise nennen, und das wird auch in Zukunft so bleiben.“


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