Die Auferstehung des Oliver Bender. Hermann Brünjes
ein grässlicher Unfall auf der Kreisstraße, der Schützenkönig oder die Miss Bodenteich, wieder eine neue Idee vom Tourismusverein oder ein toter Wolf im Straßengraben – es gibt unendlich viele Themen, die uns und eben auch mich in Atem halten.
Und nun sitzt dieser Gerald mit seiner seltsamen Zombiestory vor mir. Vermutlich Zeitverschwendung!
Allerdings, irgendetwas Überzeugendes geht von diesem Mann aus. Es liegt weniger an seinen Worten als an ihm selbst. Er wirkt eben so ganz anders als ein Spinner, Visionär oder Verschwörungstheoretiker. Er wirkt echt – echt irritiert.
»Diese Corinna und Sie hatten also eine identische Vision?«, höre ich mich zweifelnd fragen und prompt kommt die Antwort, die ich befürchtet habe.
»Nein. Wir hatten keine Vision. Wir haben Oliver gesehen und erkannt. Und es war auch nicht zur gleichen Zeit und identisch. Bei mir ging er die Straße entlang auf sein Haus zu, bei Corinna saß er auf seiner Terrasse.«
»Und Sie sind sich sicher, dass es Ihr Nachbar selbst war? Immerhin wird es jetzt schon gegen neun dämmrig.«
»Aber ich habe ihn bereits kurz vor acht gesehen, noch vor Beginn der Tagesschau. Und Corinna hat ihn im Licht seines Wohnzimmers, das auf die Terrasse scheint, erkannt.«
Gerald ist sich seiner Sache ganz offensichtlich sicher. Getrunken hat er auch nichts, soweit ich sehe und rieche. Also beschließe ich, ihn ernst zu nehmen, auch wenn dies im Grunde völlig abgefahren erscheint.
Ich frage ihn noch ein bisschen über das aus, was er von seinem Nachbarn weiß. Es ist nicht viel aber immerhin ein Anfang. Dieser Oliver Bender wohnte seit über dreißig Jahren in seinem Haus. Der Nachbar ist erst vor zehn Jahren zugezogen. Etwa zeitgleich hat Oliver Bender nach Trennung von seiner ersten Frau wieder geheiratet. Bei der Beerdigung drückten viele Himmelstaler Olivers Frau Maren und ihren Kindern ihr Beileid aus.
»Und hat Ihr Nachbar irgendetwas von dieser Sache angedeutet? Äh, ich meine seine Auferstehung?«
Meine Frage kommt mir selbst seltsam vor.
Aber Gerald findet sie offenbar berechtigt.
»Nein, nicht direkt. Er hat uns mehrmals zur Kirche eingeladen und immer mal ganz normal davon gesprochen, dass er an Gott glaubt und auch an den Himmel und so was ... Aber von seiner Beerdigung und dass er danach wieder auftauchen würde – nee, das hätten wir ja sowieso nicht geglaubt!«
»Dann war Ihr Nachbar also der Kirche verbunden?«
»Allerdings. Er war vor seiner Verrentung sogar bei der Kirche angestellt. Er hat in dem christlichen Tagungshaus bei uns im Ort gearbeitet. Aber sonst war er ganz normal.«
»Normal«? Wenn sich jemand in der Kirche engagiert?
Zwar gibt es bei uns in der Provinz noch immer Kirchengemeinden, in denen auch Ehrenamtliche mitarbeiten – aber es werden ganz eindeutig immer weniger. Früher haben wir in fast jeder Ausgabe unserer Zeitung ausführlich von einer oder auch mehreren kirchlichen Veranstaltungen berichtet. Heute gibt es jede Woche nur wenige Artikel. Viele davon sind Ankündigungen von Gottesdiensten, Gemeindefesten und so etwas. Wenn mich mein Chef dann dorthin schickt, finde ich meistens nur eine überschaubare Anzahl Gläubiger vor. Es sind dann meistens ältere Menschen. So ganz »normal« kann dieser Oliver also vermutlich doch nicht gewesen sein.
Die meisten Informationen von Gerald speichere ich im Kopf ab, einige wenige, vor allem Namen, schreibe ich mir auf. Es ist furchtbar, wenn ein Journalist sich Namen nicht merken kann. Ich weiß, was ich sage! Also, besser aufschreiben. Das Meiste jedoch kann ich mir auch so merken. So z.B., dass die Polizei bereits am Dienstag letzter Woche bei Maren Bender aufgetaucht ist. Etwa eine Stunde lang soll dort ein Polizeiwagen vor dem Haus gestanden haben. Auch der Pastor des Dorfes, ein gewisser Klaus Kerber, soll sich während dieser Zeit im Haus von Maren Bender aufgehalten haben. Nachbarn auf dem Dorf sind jedenfalls eine aufmerksame Spezies.
Ich frage meinen Besucher, warum er denn nun ausgerechnet zu mir kommt und was eigentlich sein Anliegen ist.
»Keine Ahnung«, antwortet er. »Corinna meinte, ich solle mal zur Zeitung gehen. Ich habe vorher bei der Polizei angerufen. Die haben nichts gewusst und der Typ am Telefon hat mich ausgelacht. Gelacht haben auch zwei andere Nachbarn. Na, aber weil Corinna und ich ihn doch nun wirklich gesehen haben, dachte ich, Sie könnten dem mal nachgehen. Wenn einer von den Toten zurückgekommen ist, dann ist das doch sicher im Interesse der Öffentlichkeit - oder?«
»Eine Geisterjagd also?« Ich grinse ihn an.
Er sieht hilflos aus und nickt. »So was in der Art«, meint er. »Nur dass wir keinen Geist gesehen haben, sondern unsern Nachbarn Oliver Bender!«
*
Die tägliche Redaktionssitzung ist längst vorbei. Also bleibt mir jetzt nur der Weg zum Chefredakteur. Florian Heitmann ist ein alter Fuchs, allerdings nicht wegen seiner Erfahrungen hier in der Provinz, sondern aus seinen längst vergangenen Tagen bei der Hamburger Bildzeitung. Wenn die Ressortleiter nicht wären, würde unser Kreisblatt vermutlich längst identisch mit der BILD auftreten: schrill, populistisch, voyeuristisch, vulgär und politisch rechtslastig. Florian konnte sich auch nach Jahren hier bei uns bisher einfach nicht umstellen. Deshalb machen einige Kritiker aus unserem Kürzel KB statt »Kreisblatt« inzwischen »Kreisbild«.
Das Büro unseres Chefs liegt neben denen der Ressortleiter im ersten Stock des flachen Gebäudes aus den Sechzigern. Wie alle anderen ist es schlicht und zweckmäßig mit Regalen, Schreibtisch und Computer eingerichtet. Allerdings hat der Chef als Einziger eine halbwegs bequeme Sitzecke. Wenn er gut drauf ist, lädt er selbst uns Journalisten ein, dort zu sitzen und wenn er besonders gute Laune hat, gibt es sogar einen Dimple. Den hat er wie in schlechten Filmen in einem der Aktenschränke versteckt, holt ihn dann heraus, grinst, schenkt ein und sagt: »Jedem Gimpel seinen Dimple!« Auch diesen blöden Spruch hat er sich noch nicht abgewöhnt. Allerdings unterstützt ihn darin auch niemand, da wir alle den Whisky zu schätzen wissen. Wenn Florian gut drauf ist ...
Heute ist er schlecht drauf. Ich höre ein kurzes, herrisches »Herein!«, nachdem ich geklopft habe. Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und stochert auf der Tastatur seines Rechners herum. Seine recht dicken Finger versuchen, die schmalen Tasten zu treffen, er schwitzt und reibt sich mit einem Stofftaschentuch die Stirn.
»Was willst du?«
Fast bedaure ich, dass wir uns auf einer Betriebsfeier das Du angeboten haben. Allerdings war es an jenem Abend und beim damaligen Pegelstand kaum vermeidbar und einmal angenommen, war es dabei geblieben.
»Florian, ich muss dich sprechen.«
»Hat das nicht bis zur Besprechung für die Montagsausgabe Zeit? Wir haben schon fast Wochenende!«
Ich sage ihm, es sei dringend. Er nimmt immerhin seine Finger von der Tastatur und schaut mich an.
»Na, dann mal los, Jens. Ich hoffe, du kommst mir nicht mit dünner Luft!«
Ich berichte meinem Chef von Gerald Tönnies. Während des Berichtes von Oliver Benders Beerdigung schaut er gelangweilt drein. Als er hört, dass die Nachbarn den Toten quicklebendig auf der Straße und auf seiner Terrasse gesehen haben, runzelt er die Stirn.
»Jens, das ist doch Quatsch!«
»Und wenn nicht?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat dieser Tönnies zuviel getrunken oder zusammen mit der Zeugin gekokst. Da sieht man schon mal Gespenster!«
»Tönnjes hatte keinen Tropfen getrunken. Er wirkte sehr nüchtern und glaubhaft.«
»Dann soll er es der Polizei melden.«
»Hat er. Die haben ihn ausgelacht und nichts unternommen.«
»Vielleicht war dieser Bender ja nur scheintot.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Keine Ahnung. Das alles riecht mir zu sehr nach Wichtigtuerei und Zeitungsente!«
»Und was, wenn Bender wirklich