Blut und Scherben. Ole R. Börgdahl

Blut und Scherben - Ole R. Börgdahl


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      Marek zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen um. Dr. Pohlmann folgte ihm widerwillig. Torsten und Hans sahen sich kurz an, nahmen dann aber wieder ihre Arbeit auf. Torsten verstaute den Fotoapparat in seinem Koffer und holte sich dafür einen kleinen Spaten.

      Marek und Dr. Pohlmann mussten etwa fünfzig Meter über den Feldweg gehen, um die Stelle zu erreichen, an der ein Beamter das Objekt bewachte, das mit einem Fähnchen aus dem rot-weißen Absperrband markiert war. Sie gingen in die Hocke. Der Mittelfinger war eindeutig menschlich. Der Fingernagel hatte sich dunkel verfärbt, die Haut am Finger war etwas heller, sah aber schwammig aus. Am Fingerstumpf schaute der Knochen hervor, flankiert von unregelmäßig geformten Haut- und Fleischfasern.

      »Den soll der Hund des Försters hier abgelegt haben«, kommentierte Marek.

      Dr. Pohlmann nickte. »Man kann die Zahnabdrücke sehen.« Er deutete auf das Objekt. »Glauben Sie, dass der Hund die Leiche ausgegraben hat?«

      Marek zuckte mit den Schultern. »Kollege Regener hat Fotos von der Fundstelle gemacht. So wie es aussieht ist da alles Mögliche durchgelaufen, vor allem die Wildschweine.«

      »Welche Wildschweine?«, fragte Dr. Pohlmann. Er hatte einen Plastikbeutel hervorgeholt und tütete den Mittelfinger ein. Dann wandte er sich dem Beamten zu. »Können Sie das zu meinem Wagen bringen und in eine der Kühlboxen legen?«

      Der Uniformierte nickte und nahm den Plastikbeutel zögernd entgegen. Dr. Pohlmann erhob sich und sah Marek wieder an.

      »Also, welche Wildschweine?«

      »Die Suhle. Auf der Lichtung befindet sich eine Wildschweinsuhle«, erklärte Marek. »Es liegt also nahe, dass die Wildschweine an der Leiche dran waren.«

      »Machen Wildschweine so etwas?« Dr. Pohlmann runzelte die Stirn.

      »Ich bin kein Biologe, aber vielleicht kann uns der Förster das erklären.«

      Dr. Pohlmann schüttelte den Kopf. »Den Förster brauche ich dazu nicht. Ich lasse die Bissspuren bei der Obduktion untersuchen.«

      »Na dann«, sagte Marek und wandte sich zum Gehen.

      Sie kehrten zur Lichtung zurück. Torsten hatte bereits einiges der Erde abgetragen, ohne zu dicht an den im Schlamm steckenden Körper heranzugehen. Hans hatte die Erde durchsiebt, aber keine Objekte gefunden, die für die Spurenlage von Interesse waren. Die Hauptarbeit lag noch vor ihnen.

      *

      Kriminalhauptkommissar Werner Tremmel schnaubte verächtlich. »Was ist das denn hier für ein Volksauflauf?«

      Etwa zwanzig mit orangen Warnwesten bekleidete Bereitschaftspolizisten durchstreifen den Wald links und rechts vom Feldweg.

      »Das hat der Kollege Quint vom Erkennungsdienst angeordnet«, berichtete Kriminaloberkommissar Patrick Arnold seinem Chef.

      »Quint? Ich will Roose sprechen. Die sollen sich um die Leiche kümmern.« Werner Tremmel fingerte nach einer Zigarette aus der halbvollen Marlboropackung und zündete sie sich an.

      »Der Kollege Roose hat Urlaub«, erklärte Patrick Arnold. »Quint leitet heute den Einsatz des Erkennungsdienstes und Dr. Pohlmann untersucht die Leiche.«

      »Pohlmann, das ist gut«, sagte Werner Tremmel.

      Sie verließen den Feldweg und kamen nach wenigen Metern auf die Lichtung. Werner Tremmel nahm noch ein paar hastige Züge von seiner Zigarette, löschte dann die Glut und verstaute den Filter in eine kleine Metallbox, die er immer bei sich trug. Marek wurde auf die Neuankömmlinge aufmerksam. Werner Tremmel hielt sich nicht lange mit der Begrüßung auf.

      »Wer kann mir was sagen«, begann er sofort und schob Torsten Regener zur Seite, um einen Blick auf die jetzt ausgehobene Grube zu werfen. Er verzog kurz das Gesicht und wandte sich gleich an Dr. Pohlmann.

      »Männlicher Toter, zirka dreißig bis vierzig Jahre alt. Über die Todesursache kann ich noch keine Angaben machen. Es liegt allerdings eine Fraktur der Halswirbelsäule vor. Ob und wie dabei die Nervenbahnen ebenfalls betroffen sind, kann ich erst bei der Obduktion abklären. Grobe äußere Verletzungen, wie Schusswunden oder Messerstiche konnte ich bei dieser ersten Beschau noch nicht feststellen.«

      »Ihm wurde also das Genick gebrochen«, unterbrach Werner Tremmel Dr. Pohlmann, der sofort die Hand hob.

      »Da bitte ich die Obduktion abzuwarten. Wie gesagt, voraussichtlich keine Schusswunden oder Messerstiche, aber der Leiche fehlen drei Finger an der rechten Hand. Der Mittelfinger konnte sichergestellt werden. Kleiner Finger und Ringfinger wurden in unmittelbarer Umgebung des Leichenfundortes nicht aufgefunden. Ich vermute Wildfraß.«

      Marek wusste, dass der Begriff Wildfraß etwas ganz anderes bedeutete, aber es schien Werner Tremmel nicht aufgefallen zu sein.

      »Sie sprechen von Raubtieren?«, fragte Tremmel stattdessen. »In Brandenburg soll es ja neuerdings wieder Wölfe geben.«

      »Oder es waren die Wildscheine.« Dr. Pohlmann deutete hinter sich auf die Lichtung.

      »Schrecklicher Gedanke.« Werner Tremmel schüttelte sich demonstrativ. Er überlegte kurz, blickte dabei noch einmal auf den Körper, der mittlerweile auf einer blauen Plane neben der ausgehobenen Grube lag. »Und was können Sie mir zum Todeszeitpunkt sagen?«

      »Das ist natürlich im Moment sehr schwer einzuschätzen.« Dr. Pohlmann atmete hörbar aus. »Der Körper liegt jedenfalls nicht länger als zwei Jahre in der Erde. Es kommt natürlich auch auf die Beschaffenheit des Bodens an. Da spielen bei der Verwesung mehrere Faktoren eine Rolle.«

      »Zwei Jahre«, wiederholte Werner Tremmel.

      »Höchstens«, betonte Dr. Pohlmann. »Ich werde mich natürlich mit Experten in unserem Institut beraten, um genauere Angaben machen zu können.«

      Marek dachte sofort an Kerstin, die große Erfahrungen mit exhumierten Leichen hatte. Er sprach es allerdings nicht aus, weil ihn etwas anderes an Dr. Pohlmanns Bericht wunderte. Der Tote hatte einen Ausweis bei sich und Dr. Pohlmann kannte bereits das Geburtsdatum. KHK Werner Tremmel schien zumindest mit Dr. Pohlmanns Aussagen zufrieden zu sein und daher wandte er sich jetzt an Hans Schauer, der nach Ulrich Roose der älteste im Tatorterkennungsteam war.

      »Was können uns denn die Kollegen von der Spurensicherung zum Leichenfund mitteilen?«

      »Sicherlich eine ganze Menge«, antwortete Hans und deutete auf Marek.

      Werner Tremmel hatte verstanden und wandte sich zu Marek um. »Wann kommt denn Kollege Roose wieder aus seinem wohlverdienten Urlaub zurück?«

      »Übermorgen. Wenn sie solange warten wollen«, erwiderte Marek.

      »So ein Quatsch«, zischte Werner Tremmel. »Also, KK Quint lassen Sie schon hören.«

      »Sehr gerne. Das Wichtigste, der Tote hatte Papiere bei sich, Personalausweis und Führerschein. Sein Name ist Ken Börder, 36 Jahre alt, wohnhaft in Berlin.«

      »Na da lagen Sie ja richtig, Herr Dr. Pohlmann«, unterbrach Werner Tremmel Mareks Ausführungen.

      Dr. Pohlmann nickte nur, gab aber keine Erklärung ab. Marek wartete noch ein, zwei Sekunden und fuhr dann fort.

      »Neben den Papieren haben wir in der Brieftasche des Toten noch eine erhebliche Menge Bargeld gefunden. Die Scheine sind soweit unversehrt. Es handelt sich um zweitausendeinhundertzweiunddreißig Euro und siebenundvierzig Cent.«

      »Hoppla, das ist ja ein kleines Vermögen.« Werner Tremmel ließ einen Pfiff hören. »Und das Geld befand sich in der Brieftasche und nicht am Körper versteckt?«

      »Alles in der Brieftasche«, bestätigte Marek. »Zwei Fünfhundert-Euro-Scheine, zehn Hunderter, zwei Fünfziger, ein Zwanziger und zwölf Euro siebenundvierzig in Münzen. Wir haben Kleidung und Körper abgesucht, aber kein weiteres Bargeld gefunden. Dafür aber einen Schlüsselanhänger in Form eines Boxhandschuhs, an dem aber nur ein einziger Schlüssel hing. Der Schlüssel könnte zu einem Haus oder einer Wohnung passen,


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