Der Bund der Katzenfrauen. D. Bess Unger

Der Bund der Katzenfrauen - D. Bess Unger


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mit Kälbern. Wir müssen damit rechnen, dass sich in der Gruppe ebenfalls mehrere erwachsene Bullen befinden. Hoffentlich bemerken sie uns nicht. Hinter die Bäume und keinen Laut!«

      Sie waren noch mehrere hundert Meter von der Baumgruppe entfernt. »Wir laufen doch rascher als Elefanten, oder?«, fragte Lena den neben ihr rennenden Ossy.

      »Kannst du 35 Kilometer in der Stunde rennen?«, kam es kurzatmig zurück. Als Ossy ihr bestürztes Gesicht sah, minderte er seine Antwort ab: »Zum Glück halten sie das Tempo allenfalls einhundert Meter durch.«

      »Achtung!«, brüllte Jan los. »Die Herde hat ihre Richtung gewechselt, sie kommt jetzt direkt auf uns zu! Tempo, Tempo!«

      Sie rannten wie die Wilden. Als sie die Baumgruppe keuchend erreicht hatten, waren die Elefanten nur noch dreihundert Meter entfernt. Mir nichts, dir nichts ließ die Leitkuh ein schnurrendes Kollern hören, das von den anderen prompt erwidert wurde. Die Herde blieb stehen, ein riesengroßer Bulle schob sich nach vorne.

      »Mist, sie haben uns bemerkt«, flüsterte Jan. »Alles bleibt hinter mir. Kein Laut.« Er gab den Game Guards ein Zeichen, die nahmen die Gewehre von der Schulter und machten sie schussbereit.

      Urplötzlich brach das Inferno los! Brüllend, mit hochgerecktem Rüssel und wedelnden Ohren, eine ungeheuere Staubwolke aufwirbelnd, lief der Bulle bis auf zweihundert Meter auf ihre Baumgruppe zu, dann blieb er stehen. Er schien zu überlegen, ob sich ein Angriff lohne. Er senkte den Rüssel unter die Brust und lautlos mit angelegten Ohren raste er los. Paradoxerweise war das Einzige, was Lena hörte, das Poltern der Erdklumpen und der abgestorbenen Äste, die von den imposanten Füßen in die Luft geschleudert wurden. Sie spürte, wie der Boden unter ihr zu zittern begann.

      Vor Angst packte Lena das Handgelenk der neben ihr stehenden Princess. Hinter ihr war unterdrücktes Japsen zu hören, alle erwarteten einen schrecklichen Aufprall auf die Bäume, sie hörten schon das Zersplittern der Stämme, sahen sich zerquetscht auf dem Boden liegen, totgetrampelt. Die Ranger hatten die Gewehre hochgerissen, die Finger krümmten sich, um Kugeln in die Augen und das Gehirn des Bullen zu jagen. Er machte der eine leichte Rechtskurve und die Urgewalt aus über sieben Tonnen Muskelfleisch donnerte an ihnen vorbei, machte einen Bogen und kehrte vernehmlich trompetend zu der Herde zurück. Friedlich setzte die Herde ihren Zug zum Letaba fort.

      »Puh!, das war knapp«, stöhnte Jan. »Der wollte seine schlechte Laune an uns auslassen!« Die Ranger schulterten wieder die Gewehre. »Rückmarsch zu den Wagen!«, befahl er. Er schnappte sich Lena. »Kompliment!«, strahlte er sie an. »Jeder andere Tourist hätte sich vor Angst nass gemacht oder wäre davon gerannt. Du hast dich prima gehalten. Überleg dir mein Vorschlag, der Park braucht Leute wie dich!«

      ›Du bräuchtest mich, nicht der Park‹, dachte Lena. Sie war froh, dass seine Blicke nicht hinunter wanderten. Die halblange Hose verbarg ihre schlotternden Knie nur unvollkommen.

      »Männer und Frauen, der Tag der Abschlussprüfung ist gekommen! Für jeden von euch haben wir eine klitzekleine Katastrophe vorbereitet. Mal sehen, wie ihr damit zurechtkommt.« Sie saßen beim Frühstück und Jan verdarb ihnen mit seinen Reden den Appetit.

      ›Oh je‹, dachte Lena, ›Katastrophen, das hatten wir gestern schon gehabt!‹ Der Angriff des wildgewordenen Elefantenbullen steckte ihr noch in den Knochen.

      »Wir werden Richtung Longwe Aussichtspunkt fahren und dort aussteigen. Ich gehe mit einem Prüfling und unserem Übungsgast los.« Er deutete auf Lena, die den ängstlich Zuhörenden süßsauer zulächelte. »Der Rest der Truppe bleibt bei den Jeeps. Wenn ihr zwei Schüsse hört, macht sich der Nächste fertig und kommt mit seinem Gewehr zu mir.« Er ließ eine Namensliste mit der Reihenfolge herumgehen. »Alles klar?« Allgemeines nicken.

      Jan nahm Lena beiseite, Cheetah rieb den Kopf an den Beinen des Mädchens. »Keine Sorge, Lena, die Prüflinge ballern nur mit Platzpatronen«, sagte er. »Du brauchst keine Angst zu haben, wenn einer durchdreht und nicht dorthin schießt, wo er hinschießen soll.« Er griff in die Tasche und gab Lena eine Plastiktüte mit zwei Ohrstöpseln. »Die solltest du tragen, die Gewehrschüsse gehen mit der Zeit auf die Ohren!«

      ›Falls du glaubst, Platzpatronen und Ohrstöpsel würden zu meiner Beruhigung beitragen, bist du schiefgewickelt‹, dachte Lena. Sie gab sich cool und schob die Tüte in ihre Tasche.

      Sie überfuhren den Letaba, bogen auf eine Sandpiste ein, fuhren holpernd durch die Savanne ostwärts in Richtung auf eine Hügellandschaft zu. Noch verbarg sich die Sonne in dem dichten weißen Nebel, der über der Landschaft lag. Lena, die im zweiten Jeep saß, bemerkte, dass sie im Schritttempo fuhren. Jan hob die Hand, die Wagen stoppten.

      Aus dem Morgennebel schoben sich, als würden sie dem Tor einer anderen Welt entsteigen, erst Köpfe auf unendlich langgestreckten Hälsen, sodann getupfte Körper. Die Giraffen schwebten vorbei, unwirkliche, majestätische Riesengeschöpfe, und verschwanden erneut in den Nebelschwaden. Gedämpftes Hufgetrappel, der weiße Nebel gab schwarze Streifen preis, das Weiß der Zebras verschluckte er.

      Die Sonne schwang sich über die Kämme der Hügel und vertrieb den Nebel, die Tautropfen an den Gräsern begannen wie Diamanten zu funkeln. In Andacht versunken stand eine Herde von Buschböcken, die Köpfe gesenkt.

      Am Fuß eines bewaldeten Hügels machte Jan ein Zeichen. Die Wagen hielten, alle stiegen aus. »Wir sind jetzt am Fuß des Longwe Aussichtspunktes«, erklärte er und öffnete die Waffenkiste. Er überreichte jedem ein Gewehr, überprüfte zuvor, dass keine Patronen im Lauf waren. Er schob jedem Prüfling vier Platzpatronen in die Hand. »Gewehre laden!«, befahl er. »Alle bleiben bei den Wagen, Lena und Princess, mir nach!«

      Princess schulterte das Gewehr und blickte beklommen zu Lena hin, die riesenhafte Waffe wirkte an dem Körper der zierlichen Makuleke wie für einen Riesen gemacht. Sie trotteten hinter Jan und den Game Guards her.

      Lena war unbehaglich zu Mute, hatte doch Bücherwurm Ossy verkündet, im Park liefen 1 500 Löwen und 1 000 Leoparden frei herum. Sie wusste nicht, sollte sie den Game Ranger bewundern, wie er lässig vor ihnen herlief, als wäre er auf einer Wandertour im Piliongebirge? War es bodenloser Leichtsinn oder das Ergebnis einer jahrelangen Erfahrung? Sie hoffte auf das Letztere, jedoch hatte das Erlebnis mit dem Elefanten Spuren von Zweifel in ihr hinterlassen.

      Am Beginn eines Trampelpfades, der sich in einer Biegung hügelaufwärts verlor, wartete Jan auf sie. Die Guards hatte er den Weg hochgeschickt, bald waren sie in den Büschen verschwunden. Er wandte sich an Princess. »Stell dir vor, du bist mit einem Gast auf einem Wanderweg im Park unterwegs. Das Gelände ist schlecht einsehbar.« Er deutete auf das verkrüppelte Mopani-Dickicht. »Denk daran, was wir im Unterricht besprochen haben und sei auf der Hut! Ich gehe mit, halte mich aber im Hintergrund. Los jetzt!«

      Princess versuchte ein zustimmendes Lächeln hervorzubringen. Sie schob den Waffengurt höher auf ihre Schulter und zog Lena auf ihre rechte Seite. »Du hälst mit mir Schritt, bleibst aber in Körperkontakt hinter mir. Verstanden?«

      Beide stiefelten los.

      Auf beiden Seiten standen dichtbelaubte Büsche. Da, ein nahezu unhörbares Rascheln, eine winzige Bewegung im Blattwerk. Princess erstarrte, ihr Arm fuhr nach hinten, ihre Handfläche bremste Lena ab. »Atem anhalten«, flüsterte sie, »vor uns ist ein Tier verborgen.« Im Schneckentempo schob sich der Kopf einer Löwin hervor. Entsetzt blieben die beiden Mädchen stehen, unschlüssig verharrte die Katze.

      »Zurück, gelassen zurück«, flüsterte Princess. »Garantiert hat die Löwin ihre Jungen bei sich.« Unsicher und unbeholfen ließ sie den Gewehrgurt von ihrer Schulter gleiten.

      ›Na bitte‹, dachte Lena, ›Da haben wir den Salat.‹ Im Gegensatz zu Princess fühlte sie sich überraschend gefasst. »Bist du verrückt?«, zischte sie Princess zu, »Was willst du mit dem Gewehr? Auf die Löwin anlegen und sie mit Platzpatronen erschrecken? Das ist keine glückliche Idee.«

      »Unter Umständen ergreift sie die Flucht«, lispelte Princess.


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