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und wollte das Fenster schließen.

      »Stopp, warte Minas! Ich bin es, Damis«, erwiderte der Mann und schaute sich ängstlich um. »Erkennst du mich nicht?«

      Das Fenster wurde zugezogen und gleich darauf öffnete sich die Tür zum Lieferanten-Eingang. Ein Arm schob sich heraus, packte Damis und zog ihn ins Innere. »Rein mit dir und keinen Mucks«, sagte der Koch. »Wenn dich jemand sieht, komme ich in Teufels Küche!« Entsetzt blickte Minas in die verhärmten Gesichtszüge seines Gegenübers. »Mensch, Damis, ich dachte, du sitzt, und zwar lebenslänglich!« Er zog die Rollos der Fenster herunter. »Hast es geschafft, zu türmen«, stellte er mit geringer Begeisterung in der Stimme fest.

      »Entschuldige, dass ich nicht um Erlaubnis gebeten habe.« Damis war ungehalten, er spürte, dass er nicht willkommen war.

      »Wenn wir öffnen, musst du verschwunden sein«, drängte Minas. »Ein Glück, dass der Chef heute nicht da ist!«

      »Okey-dokey«, erwiderte Damis wütend. »Vergiss nicht, du stehst in meiner Schuld.«

      »Reg dich nicht auf und verzieh dich ins Lokal. Ich muss in der Küche ein Menü vorbereiten«, sagte Minas mit einer Stimme, die versöhnlich klingen sollte. »Willst du was trinken?«, bot er an. »Warmes oder Kaltes?«

      »Mach mir einen kräftigen Kaffee, mir ist saukalt.« Damis blickte sich im Gastraum nach einer passenden Sitzgelegenheit um. In der Ecke war ein Bereich durch ein Paravent, den ein griechischer Tempel zierte, vom restlichen Gästebereich abgetrennt.

      Minas folgte seinem Blick. »Hinter den Raumteiler mit dir! Dort steht ein Tisch, da speist der Chef, wenn er von niemandem gestört werden will.«

      Als der dampfende Kaffee seine Eingeweide aufgewärmt, das Koffein, an den er nicht mehr gewöhnt war, ins Blut übergegangen war und das Denkvermögen geschärft hatte, wurde Damis ratlos. Was jetzt? Wen anpumpen? Wo schlafen? Wohin fliehen? Fragen über Fragen, auf die er keine Antwort fand. Dem ehemaligen Boss durfte er auf keinem Fall mehr über den Weg laufen. Der hatte definitiv nicht vergessen, wie viel Geld er ihm schuldete. Es gab nur eine Möglichkeit, er musste sich ins Ausland absetzen, gefälschte Papiere besorgen, an irgendeinem Ort neuanfangen. Schon wollte er aufstehen um Minas um Geld anzugehen, als er hörte, wie zwei Gäste direkt vor dem Paravent Platz nahmen. Das Restaurant hatte geöffnet.

      »Schön, dass wir die einzigen Gäste sind, Vasilios«, sagte eine sanfte Frauenstimme, die ihm bekannt vorkam, »Da können wir in Ruhe über alles reden.«

      »Ich brauche zuerst einen Tee zum Aufwärmen«, erwiderte der Mann, der mit Vasilios angesprochen worden war. »Soll ich dir auch einen bestellen, Atridi?«

      Atridi! Urplötzlich war Damis hellwach. Natürlich, das war die Stimme von Atridi Papaluka, deren Nichte Lena er vor zwei Jahren entführt hatte! Kein Tag war seitdem vergangen, an dem er nicht darüber gegrübelt hatte, warum das seinerzeit derart fürchterlich schief gegangen war. Die Geisel befreit, sein Freund Meletis erschossen, er und Stratos gefangen! Wie zum Kuckuck hatte die Polizei herausfinden können, wo ihr Versteck gewesen war?

      »Lena hat es jetzt besser als wir«, hörte er Atridi träumerisch sagen. »In Südafrika ist jetzt Frühling!«

      »Mich wundert, dass die Eltern das Mädchen überreden konnten, mitzukommen«, sagte Vasilios. »Die hätten sich besser einen Eheberater als Begleiter engagiert. Wo treiben die Drei sich herum? Kap-Region, Gartenroute?«

      »Zuerst besuchen sie den Kruger National Park, sodann machen sie in der Provinz KwaZulu-Natal Urlaub, ich glaube an der Delfin-Küste.«

      »Bleiben sie lange fort?«

      »Ich schätze vier Wochen.«

      »Hat Lena schon konkrete Pläne, was sie nach der Schule machen wird?«, erkundigte sich Vasilios. »Ich hoffe, dass sie mit ihrer sagenhaften Gabe in meine Schuhstapfen tritt und Medizin studiert. Stell dir nur vor, zu was für exakten Diagnosen ein Arzt fähig wäre, wenn er in die Gedanken- und Gefühlswelt des Patienten eindringen könnte!«

      ›Wie war das?‹, dachte Damis, ›Habe ich richtig gehört? Das Mädchen kann Gedanken lesen? Das gibt es nicht.‹

      »Bei Gelegenheit muss ich Lena überreden, mit mir in die Spielbank zu gehen«, flachste Atridi. »Nur zum Spaß! Mit ihren Fähigkeiten wird es uns nicht schwerfallen, im Handumdrehen die Bank zu knacken. Zum Beispiel mit Black Jack. Ich würde mich wahnsinnig über die wütenden Gesichter der Direktion amüsieren, dass zwei harmlos aussehende Frauen, wie wir beide es sind, sie derart erleichtern können!«

      Selbst durch den Paravent hindurch spürte Damis, dass Vasilios der Idee nicht viel abgewinnen konnte. »Das ist hoffentlich nicht dein Ernst«, hörte man eine vorwurfsvolle Stimme antworten.

      »War nur ein Witz«, lachte Atridi. »Lena würde das partout nicht mitmachen. Im Gegensatz zu mir!«

      ›Witz? Das ist nicht im Geringsten ein Witz, das ist die Idee des Jahrhunderts!‹ Der Lauscher geriet aus dem Häuschen. Wenn Lena ohne Witz Gedanken lesen kann, ließe sich mit ihr ein Bombengeschäft machen! ›Das muss ich mir genau durchdenken. Aber redeten die Beiden auch keinen Blödsinn?‹ Mit einem Schlag fiel ihm die Kinnlade herunter. Die Frage, über die er seit drei Jahren in seiner schmuddeligen Zelle pausenlos gegrübelt hatte, war die nicht soeben beantwortet worden? Zwar war damit nicht zu erklären, wieso die Polizei so überraschend aufgetaucht war, ohne Zweifel hing das damit zusammen.

      Man hörte das Klappern von Bestecken, dem Anschein nach aßen die beiden jetzt. Jenseits des Paravents klingelte ein Handy. »Atridi. Grüß dich! Wie geht es dir?« Sie flüsterte Vasilios »Der Polizeipräsident von Saloniki« zu. Zwei Minuten hörte man nichts mehr, dann ein »Oh Gott!« Ein Handy klappte zu.

      »Mir ist der Appetit vergangen, Vasilios«, sagte Atridi mit sorgenvoller Stimme. »Weißt du, was gestern Nachmittag passiert ist?« Man hörte, wie Bestecke auf einen Teller zurückgelegt wurde. »Der Entführer von Lena, der brutale Damis, ist aus dem Gefängnis in Saloniki geflohen! Ein Glück, dass Lena in Afrika ist. Komm, lass uns gehen, ich muss einige Anrufe machen.«

      Als die beiden gezahlt hatten, kam Minas um den Paravent herum. »Verschwinde jetzt, Damis«, drängte er. »Wenn dich jemand hier sieht, bin ich den Job los.«

      Damis rieb sich die Hände, alle Trübsal war von ihm gewichen. Er stand auf. »Okay, ich verdufte«, sagte er, seine Stimme nahm einen unangenehmen Ton an. »Dein Handy, ruck, zuck, wenn ich bitten darf!«

      »Was? Mein Handy? Bist du verrückt?«, wehrte Minas ab.

      »Dein Handy, ein bisschen plötzlich«, wiederholte Damis mit einem drohenden Unterton. »Ein anonymer Anruf bei der Polizei und du bist deinen Job eh los. Vergiss das nicht!«

      Resignierend glitt Minas' Hand in die Brusttasche.

      »Danke, mein Freund«, sagte Damis mit honigsüßer Stimme. »Vergiss bitte, dass du mich gesehen hast.«

      Der Spätherbst zeigte sich von der besten Seite. Von einem tiefblauen Himmel schien eine leicht wärmende Sonne und tauchte die Berge des Piliongebirges in samtweiches Licht.

      Auf dem Parkplatz des Touristen-Pavillons am Chani-Pass lehnte Damis an dem weißen Ford und würdigte die Schönheit der Natur mit keinem Blick, obwohl er doch in den letzten drei Jahren nur unansehnliche Betonmauern angestarrt hatte. Gleich würde der Boss erscheinen, zum ersten Mal in seinem Leben würde er ihm Auge in Auge gegenüberstehen. Ihm war bewusst, dass er auf dünnem Eis wandelte. Der geringste Fehler von ihm und er wäre erledigt. Ein Wink vom Boss und die Kerle mit den kahl geschorenen Köpfen und schwarzen Anzügen, mit denen er sich umgab, würden nicht lange fackeln.

      Endlich tauchten sie auf. Zwei schwarze Wagen kamen den Pass heraufgefahren, ein BMW und ein amerikanischer Van mit abgetönten Scheiben. Der Van hielt in einen Abstand von zwanzig Metern, der BMW kam an den Ford herangefahren. Zwei Bodyguards stiegen aus.

      »So, mein Freund,


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