Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica. Manuela Dörr

Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica - Manuela Dörr


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Kopien aller Seiten des Reisepasses und eine Bescheinigung der UCR mit Daten von mir beim Notar beglaubigen lassen

      - Nächste Banco Nacional de Costa Rica finden

      - Montag dort zehntausend Colones, etwa vierzehn Euro, auf das Konto des Notars einzahlen

      - Diese Unterlagen zur UCR bringen und von dort abschicken lassen

      - Geburtsurkunde und Polizeiliches Führungszeugnis samt Apostille vom Übersetzungsbüro übersetzen lassen

      - Mit Übersetzungsbüro per Mail einen Termin vereinbaren

      - Das Übersetzungsbüro finden

      - Nächste Banco de Costa Rica finden

      - Dort etwa fünfzig Cent, auf das Konto der UCR einzahlen

      - Einen ‚Beweis über meine Identität‘ in der Deutschen Botschaft in San José einholen

      - Montag dort anrufen und fragen, ob ich einen Termin benötige

      - Vom Notar den Liquiditätsnachweis beglaubigen lassen. Ich frage mich nur gerade, ob der nicht vorher übersetzt werden muss...

      - Noch einmal mit dem Übersetzungsbüro sprechen

      In Costa Rica gibt es keine Adressen. Das konnte ich mir früher nicht vorstellen, jetzt muss ich mich damit zurecht finden. Optimistisch verfolge ich die Wegbeschreibungen zu den einzelnen Stationen auf einer Karte im Smartphone und markiere meine Ziele. Hoffentlich sind die Orte sicher, damit ich das Handy als Karte aus meinem Rucksack holen kann. Schließlich werde ich immer wieder von Ticos vor Überfällen gewarnt.

      Manche der anderen Reisenden haben auch mit Papierkrieg zu kämpfen. Bruce aus North Carolina setzt sich mit mindestens zehn Kopien seines Passes neben mich und beginnt sie ordentlich zu falten.

      „… um die Grenze bei meiner nächsten Fahrt möglichst schnell passieren zu können…“, erklärt er. Er möchte nach Panama und dann immer weiter in den Süden. So weit, dass es wieder eisig kalt wird und er vom Ende des Kontinents zu fallen droht. Ich merke, dass ich nicht mehr so gestresst und aufgeregt bin, wie bei der Vorbereitung der Reise in Deutschland. Ich muss immer wieder an die verregneten Wintertage in Hamburg denken, an denen ich hinter dem von Tropfen bedeckten Fenster saß und mir alleine den Kopf über etliche spanische Formulare zerbrach.

      Ich stelle mir eine große goldene Handtasche vor, die mit etlichen Ein-Dollar-Noten gefüllt ist. Ich laufe durch den Flughafen Atlantas, in dem ich umsteigen werde und bei jedem Schritt flattert ein Geldschein von dannen. Während sich hinter mir Touristen in Hawaiihemden auf die gelblichen Blätter stürzen, steige ich ins Flugzeug und darf dieses in Costa Rica nicht verlassen, da die Tasche leer und mein Auskommen nicht gesichert ist. Ohne Moos nichts los! Ich fliege zurück und kann mir am überteuerten Flughafen in den Staaten gerade noch ein Sandwich leisten, da ich einige meiner verloren geglaubten Scheine in den unendlichen Fluren wiederfinden konnte…

      Ich blinzele ins grelle Licht meines Laptops, der geöffnet vor mir steht. Ich muss eingeschlafen sein. Hier viel zu hell, draußen viel zu dunkel; meine Pupillen sind überfordert. Ich sollte ins Bett gehen und mich morgen nach der Arbeit weiter mit dem Papierkrieg befassen.

      Gerade bin ich für ein Praktikum in der Hansestadt, sodass der Weg zum Konsulat sehr kurz ist, aber trotzdem habe ich zwei Wochen vor Abflug noch immer kein Einreisevisum. Einige Tage, nachdem ich die Unterlagen das erste Mal übersandt hatte, rief ich im Konsulat an.

      „Haben Sie die Apostille?“, hatte mich eine raue Frauenstimme am anderen Ende der Leitung gefragt.

      „Apostille? Was ist denn das genau?“, ich verstand diesen Begriff nicht. Ist das ein zusätzliches Formular?

      „Ja, dann holen Sie die erst. Tschüss!“, versetzte mich die Mitarbeiterin des Konsulats.

      „Moment! Was ist eine Apostille“, konnte ich sie aufhalten, „und wo bekomme ich sie…“

      „Das steht in den Unterlagen!“, fiel sie mir ins Wort, ehe ich ihr noch sagen konnte, dass ich die Unterlagen mehrmals gelesen hatte und es daraus für einen Bürokratie- und Visumslaien definitiv nicht hervor ging.

      „Moment“, ich war verwirrt, „ich besorge die fehlende Unterlage schnellstmöglich, ich recherchiere das. Kein Problem. Ich muss aber bis in zwei Wochen mein Visum haben, da ich dann fliege. Aber bitte, können Sie mir vielleicht bitte schon einen Ausstellungstermin für das Visum bei Ihnen frei halten?“

      „Nein. Erst die Apostille! Diese Woche habe ich keinen Termin mehr frei. Nur nächste Woche noch einen.“

      „Können Sie mir den vielleicht bitte…“

      „Nein“, tönte es aus dem Hörer und schon hatte sie aufgelegt.

      Ich suche also im Internet: Ist eine Apostille ein Siegel, ein Stempel oder ein weiteres Formular?

      Die Homepages des Bundesjustizamtes und des Bundesverwaltungsamtes geben mir Aufschluss. Die Apostille gehört auf mein Polizeiliches Führungszeugnis und die Internationale Geburtsurkunde. Eine Katastrophe, so kurz vor dem Ziel!

      - Ich brauche jeweils eine Beglaubigung —> Habe ich

      - Ich brauche jeweils eine Überbeglaubigung alias Apostille —> Habe ich nicht

      - Der Postweg dauert jeweils etwa eine Woche plus Bearbeitungszeit.

      - Der vollständige Antrag muss erneut bei der Botschaft eingereicht werden.

      - Ich fliege in zwei Wochen…

      Ich sitze auf der Bettkante in unserer WG und drehe mit den Fingern etliche kleine Löcher in die bauschige Stofflandschaft. Das kann nicht sein! Ich habe keine Zeit, durch Deutschland zu fahren, nur um Stempel zu besorgen. Wie soll ich das meinen Chefs beim Praktikum gestehen?

      „Nein, ich muss das Praktikum wegen des zusätzlichen Sprachkurses in Costa Rica nun nicht nur um einen Monat früher beenden, sondern wegen zweier Stempel einen zusätzlichen Tag fehlen.“ Ich weiß, dass sie Verständnis haben werden, sie reisen selbst viel. Trotzdem hatte ich das alles anders geplant.

      Meine WG-Mitbewohnerin kocht Tee für uns und reicht mir eine Tasse.

      „Ich würde dir so gerne helfen…“, gesteht sie, aber wir wissen beide, dass das nicht geht. Mein Teebeutel schwimmt von Wand zu Wand und hinterlässt dunkelrote Schliere im heißen Wasser. Ich habe keine Wahl: Ich muss fahren, meinen Körper in einen Zug setzen, den Geist nicht vergessen und schon jetzt mit dem Reisen beginnen.

      Der Tee ist durch. Ich beichte mein Vorhaben bei der Praktikumsstelle, kaufe sündhaft teure Tickets und steige am selben Abend in den Zug von Hamburg über Dortmund, nach Bonn, nach Köln.

      Das Bundesjustizamt befindet sich drei Minuten Fußweg entfernt von der Haltestelle Bundesrechnungshof. Es ist früh morgens und noch duster, als ich zwischen dunklen Steingebäuden die nasse Straße entlang gehe und versuche, den Pfützen zwischen den Gehwegplatten auszuweichen. Schließlich stehe ich vor einer modernen Glastür, die automatisch öffnet. Der Pförtner lässt mich eintreten, sodass ich am Eingang mein Führungszeugnis mit einem müden Blick durch einen Spalt schieben kann. Im Raum vor mir brennt Licht, ‚karack‘ macht es und ich erhalte mein Polizeiliches Führungszeugnis samt Stempel und Unterschrift zurück. Am liebsten wäre ich der Frau dankend um den Hals gefallen, eine Glasscheibe zwischen uns hält mich jedoch auf Distanz. Durchsichtig, aber unüberwindbar. Ein Tag Fahrt für mich, zwei Minuten für das Amt. Das nenne ich ehrfürchtig Zeitmanagement.

      Weiter geht die Fahrt mit der Straßenbahn, durch Vororte und Felder, dann ein Fußmarsch und ich stehe vor dem Bundesverwaltungsamt in Köln. Dort warte ich kurz im Empfangsraum, bis ein zuständiger Mitarbeiter nach meinem Führungszeugnis fragt, hinter einer doppelt gesicherten Glastür verschwindet und mich mit leeren Händen zurück lässt.

      Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich auf die in dem kleinen Vorraum befindliche eckige moderne Ledercouch


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