Der Debütant im Ruhestand. Heidi Hollmann

Der Debütant im Ruhestand - Heidi Hollmann


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balancierte, bis sie zur sicheren Landung auf dem heimischen Rasen ansetzten konnte.

      Gleich am nächsten Tag kaufte Rudolf die erforderlichen Dinge, die eine Stange Geld und damit nicht genug, auch noch viel Mühe kosteten. Über viel Zeit verfügte Rudolf ja zum Glück. Er würde es seinem „Frolleinchen“ schon zeigen, trompetete er Herta ins Ohr, wobei ein ironisches Lächeln seine Züge härter werden ließen.

      Nach der geglückten Installation, wovon sich Rudolf ungewollt noch am gleichen Tag selbst überzeugen konnte, war der Spuk vorbei. Er hätte gern einen Schmetterling aus dem Netz einer Spinne befreit. Schwupp,-- er stieß er an den Draht und bekam einen gehörigen Stromschlag den er nicht so leicht vergaß. Jedenfalls war er nun absolut sicher:

      „Das Ding funktioniert!“

      Doppelsinnig dachte Herta, die ewige Sprücheklopferin: „Alles für die Katz!“ Wagte es aber nicht, sich laut zu äußern oder über Rudolfs Missgeschick zu lachen. Dabei freute sie sich auf ihr Kränzchen, dem sie diese spaßige Geschichte am nächsten Mittwoch würde auftischen können.

      Das mit dem gut funktionierenden Elektrozaun muss auch Henry, die Ausbrecherkönigin sehr bald darauf schmerzhaft erfahren haben. Sie hat zu Rudolfs Zufriedenheit niemals mehr einen Ausbruchversuch gestartet. Das wäre ja auch ein Ding! Er war schließlich das Alphatier!

      Rudolf hatte durch seinen mühsamen und aufwendigen Erfolg jedenfalls sein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden, worüber Herta besonders erfreut war. Wenn es ihm nicht so gut ging, ließ sie ihn nämlich nicht gern allein.

      Somit konnte sie beruhigt und ohne schlechtes Gewissen ihre Aktivitäten wieder aufnehmen.

      Ein großer Lyrikabend war in der hiesigen Bibliothek am kommenden Dienstag angesagt. Allein machte es ihr weniger Spaß, als mit Gleichgesinnten. Wen könnte sie mitnehmen? Ihr fiel Lotte ein, Lotte, die anpassungsfähige Witwe, die sicher auch froh sein würde, einmal einen Abend mal nicht vor der Glotze verbringen zu müssen.

      DER LYRISCHE ABEND

      „Der Krümel“, sagte die Rothaarige auf dem Podium und deutete eine Verbeugung an.

      Herta lehnte sich zurück. Die Vortragende, so um die Vierzig, hob und senkte ihre Stimme. Ihr wechselhaftes Mienenspiel war faszinierend. Mal schien die gute Frau zu leiden, mal in Verzückung zu geraten, wobei sie auf und nieder wippte.

      Von dem, was sie vortrug verstand Herta zwar akustisch alles, aber inhaltlich so gut wie nichts. Die mollige Lotte neben ihr, zum neunundneunzigsten Mal mit einer Diätkur zugange, bot ihr ein Stück Knäckebrot an, dass Herta nervös in ihren Mund schob. Auf dem unbequemen Sitz wurde sie zappelig.

      „Ja, hört die denn überhaupt nicht mehr auf,“ dachte sie verzweifelt und „warum tust du dir das an?“ Sie lenkte sich ab, zupfte ein paar Katzenhaare von Rudolfs Nichtsnutzen von ihrer Jacke und dachte aufseufzend, wie gut es denen doch unter Rudolfs Fürsorge daheim ging.

      Als die Lyrikerin endlich unter frenetischem Applaus ihren Krümel losgeworden war, blieb Herta ihr eigener im Halse stecken. Sie hustete unaufhaltsam, was im Allgemeinen in solchen Kreisen als gesteigerte Aufmerksamkeit gelten soll, hatte sie sich jedenfalls sagen lassen.

      Zu ihrem Entsetzen sprang die nächste Lyrikerin fast übergangslos aufs Podium. Herta schloss die Augen, übte sich in autogenem Training, was diesmal versagte.

      Auch dieser Vortrag wurde von ihr nur akustisch wahrgenommen. Auch er wurde begeistert beklatscht. Sie verkniff sich als Einzige, weit und breit, zu applaudieren, selbst auf die Gefahr hin, als geistiger Tiefflieger zu gelten. Was sie nicht verstand, konnte sie unmöglich bejubeln!

      Sie grübelte selbst zerstörerisch „Bist nur du so doof, oder sind die anderen soooo schlau?“

      Es nagte an ihr. Selbstkritisch, wie sie immer schon war, musste sie der Sache unbedingt und unverzüglich auf den Grund gehen.

      In der Pause vernahm sie pausenlos Lobgesänge über den schon sattsam erwähnten „Krümel.“

      Was die Leute da hineininterpretierten erschütterte ihr Selbstvertrauen zu tiefst. Sie kam nicht umhin, sie im Stillen ob ihrer Intelligenz, Kombinationsgabe und die Fähigkeit etwas zu deuten, was ihr völlig abging, zu bewundern, ja, zu beneiden!

      Sie hielt nach Lotte Ausschau. Sie war vermutlich zum stillen Örtchen unterwegs oder gabelte sich wieder einmal was Essbares auf.

      „Was halten Sie von dem Beitrag?“ wurde Herta von einer völlig durchgeistigten Dame mittleren Alters gefragt. Sie war offensichtlich angeheitert, ohne Begleitung und schien Kontakt zu suchen. Ein bereits leeres Sektglas in der Rechten, „Intelligenz säuft,“ dachte Herta und eine schwarze Zigarette mit goldenem Mundstück in der Linken, wartete die Durchgeistigte auf ihren Kommentar.

      „Welchen Beitrag meinen Sie?“ tat sie interessiert, wollte auf gar keinen Fall unhöflich erscheinen. Die hatte ihr noch gefehlt! Sie versuchte Zeit zu gewinnen.

      „Den hervorragenden über den Krümel“.

      Herta verschluckte ihre eigene Spucke, hustete erneut und anhaltend, was ihr Gegenüber entzückt als gesteigerte Aufmerksamkeit deutete. Hertas weniger intellektuelle Mutter würde dieses Gehuste als „Friedhofsjodler“ bezeichnet haben.

      Die Intellektuelle zwinkerte ihr aufmunternd und erwartungsvoll zu, was so viel wie:

      „Nun trau dich schon!“ heißen sollte. Ewig konnte Herta sich nicht an ihrem Hüsteln festhalten. Sie sagte bloß: „Och!“ Dabei zog sie die Stirn kraus, schob ihre Brille zurecht, versuchte einen möglichst gescheiten Gesichtsausdruck zu vermitteln.

      Das Ende der ersehnten Pause enthob sie jedweder, vermutlich auch dümmlichen Antwort.

      Sie sah Lotte auf sich zukommen, die wieder ausgiebig mit ihrem Knäckebrot beschäftigt war. Wieder holte sie ein Sprichwort ein. „Dummheit frisst“, schoss es Herta ungewollt durch den Kopf. Sie schämte sich dieser Feststellung. Sie nahmen ihre Plätze wieder ein.

      „Hoffentlich geht diese lyrische Sintflut und vor allem unbeschadet an dir vorbei“, war ihr einziger frommer Wunsch. Sie musste unbedingt und unverzüglich die mit einem praktischen Verstand gesegnete Lotte um ihre Meinung fragen.

      Der Schlussapplaus erlöste sie. Erschöpft, wie missmutig wandte sie sich dem Ausgang zu. Lotte trottete aufgeräumt hinter ihr her.

      Im Auto überfiel sie ihre Freundin mit den Worten:

      „Sag mal ehrlich Lotte, hast du von dem Krümelmist eigentlich etwas verstanden? Weißt du vielleicht, um was es dabei ging?“

      „Na, um Krümel natürlich, du Dummchen lachte die Unkomplizierte und bemerkte zu Hertas Freude:

      „Ja, glaubst du im Ernst, ich hätte ein Wort von diesem Scheißkrümel verstanden?“

      „Warum hast du aber um Gottes Willen geklatscht?“

      „Einmal mehr oder weniger geklatscht, was macht das schon, zudem kostet es keinen Cent mehr!“ Herta hätte jubeln mögen. Lotte hielt ihr das Knäckebrotpäckchen hin, holte tief Luft und schmetterte:

      „Eins sage ich dir, liebe Herta, wenn dir meine Freundschaft in Zukunft etwas wert ist, dann versprich mir, mich nie wieder, wirklich niemals mehr zu einer solchen Lesung mitzunehmen!“

      Das Versprechen konnte Herta ihr geben, nicht hundert-, nein tausendprozentig, schon im eigenen Interesse!

      Ihrem Pensionär hat sie von dem verkorksten Abend niemals erzählt. Er lag schon im Bett, majestätisch wie die Sphinx, links und rechts von seinen treuesten Begleitern flankiert, der Beneidenswerte!

      Herta blieb noch lange wach, konnte nicht abschalten.

      Am nächsten Morgen bemühte sie sich erfolgreich um die Mail-Adresse dieser Lyrikerin. Verfasste ein Spottgedicht, wie sie es schon zu ihren Schulzeiten gehalten hatte und schrieb:

      Griff


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