Sinnsuche zu Zeiten von Cholera. Albert Morava

Sinnsuche zu Zeiten von Cholera - Albert Morava


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verantwortlich." Als ehrliche Kommunistin war sie sozial eingestellt.

      Kurz vor Weihnachten wurde Ella krank und musste wegen chronischer Laryngitis und Rhinitis behandelt werden; die schwere Hals - und - Nasennebenhöhlen - Entzündung führte zum leichten Dauerfieber und sie mußte stationär im Krankenhaus behandelt werden.

      Mit einem Krankenhausaufenthalt von mindestens drei Wochen - über die Weihnachten - war zu rechnen.

      Jan besuchte sie dort am letzten Adventssonntag, sie wirkte erschöpft und blass. Er kam mit einem nur bescheidenen Blumenstrauß und erzählte ihr von seiner Nacht im verwanzten Zimmer.

      "Ja", sagte sie. "Das Zimmer war stark verstaubt und du hättest vor unserer Übernachtung dort auch den Staub ordentlich abwischen müssen."

      Doch nicht der Staub, sondern die Kälte und der andauernde Smog in Prager Straßen waren die Ursache ihrer Erkrankung..

      " Nur damit du es weißt, ich leide auch an Stauballergie."

      "Warum hast du es mir nicht vorher gesagt?"

      "Ich will nicht, dass Krankheiten für uns zu einem Gesprächsthema werden, das irgendwann zwischen uns steht", sagte sie mit leidendem Gesichtsausdruck.

      Jan beschloss, im Unterschied zum letzten Jahr, an Weihnachten nach Hause zu fahren. Wenn Ella gesund gewesen wäre, hätten sie zusammen fahren können, beide im Weihnachtsglück und im gleichen Zug.

      "Fahr ruhig", sagte sie. "Hier bin ich gut aufgehoben. Das Zimmer ist warm und es gibt hier genug zu essen."

      Es gab nicht wenige Prager, die aus rein praktischen Gründen versuchten, mit Hilfe von echten oder erfundenen Krankheiten den nasskalten Winter in Krankenhäusern zu überstehen. Kostenfreie medizinische Versorgung war ja eine der fortschrittlichen Errungenschaften des Kommunismus, auf die man stolz war. Beliebt waren Behandlungen wegen psychischer oder psychosomatischer Störungen.

      "Wie steht es um dein Studium?" fragte er besorgt.

      "Ich kann mich nicht konzentrieren", sagte sie. "Ausserdem sieht man an der theologischen Fakultät verheiratete Studentinnen nicht gern - auch wegen einer möglichen Schwangerschaft. Ich werde wohl aufhören müssen."

      "Brichst du das Studium dann ganz ab?"

      "Ausschließen kann man das nicht."

      "Und was würdest du dann tun?" fragte er vorsichtig.

      "Arbeiten!"

      Es war die ungeschriebene Regel der damaligen Zeit, dass verheiratete Frauen ohne Kind genauso wie ihre Männer zu arbeiten hatten. So wollte es die Gleichberechtigungsnorm, auf die die Gesellschaft ebenfalls stolz war. Die meisten Familien wären sonst kaum überlebensfähig gewesen. Krippen und Kindergärten hatten Hochkonjunktur.

      "Arbeiten?"

      "Ja, etwas mit der Kunst."

      "Ohne Ausbildung? "

      "Mal versuchen. Wenn der Wille da ist, findet sich der Weg."

      Dies schien Jan wenig realistisch, doch er wollte sie unterstützen, immer und in allem und auf welche Art auch immer. Nicht Worte sondern Taten stehen für die Quintessenz der Liebe.

      "Und dein Hund?" fiel ihm dann ein. "Wer wird sich dann um ihn kümmern? Ich?"

      Ella winkte ab. " Die Oma natürlich. Eigentlich gehört er ihr! Sie hat sich immer schon um ihn gekümmert."

      "Gut! Wir reden über alles, wenn du wieder gesund bist."

      *********

      Am übernächsten Tag war er bei seinen Eltern, der Nachtzug war unzureichend beheizt und die Temperaturen lagen weit unter Null. Er hätte jetzt dringend einen neuen Wintermantel gebraucht, der alte war abgetragen und um die Schultern zu eng; Jan hatte in in Prag richtige Mannsreife erreicht und war größer und kräftiger geworden.

      Der Empfang war diesmal kühl, kühler als die Luft die er einatmete als er aus der Bahnhofshalle schritt.

      Heiligabend hatten sie sich wie früher um den Weihnachtsbaum gesetzt, unter dem es kaum Geschenke gab; sie aßen Fischsuppe mit geschnetzelten Blinistreifen und vielen kleinen Grätchen; der Karpfen war klein und die Grätchen kleiner als sonst. Die Suppe schmeckte leicht bitter, da Fischblutreste in ihr waren und einige Fischsschuppen.

      "Früher als die Oma sie zubereitete, schmeckte sie besser", bemerkte sein Bruder Filip.

      Die Oma war Jans Großmutter mütterlicherseits, die vor zwei Jahren verstorben war; sie hinterließ ein kleines, sehr dürftig eingerichtetes Häuschen und vererbte die Hälfte davon Jans Mutter. Dieses Geld sollte nicht ausgegeben, sondern nach ihrem künftigen Tod irgendwann zwischen Jan und seinem Bruder aufgeteilt werden. So wollte es ihr Testament.

      Nach dem Abendessen stockte das Gespräch. "Warum machen wir nicht ein bisschen Musik?" schlug Filip vor. Früher als noch ein altes, schwarzes Klavier im Haus war, sangen sie, zusammen mit der Oma, Weihnachtslieder, die Mutter spielte gelegentlich Geige und Jans Vater begleitete sie am Klavier. Er setzte eine Schallplatte auf, die der Onkel aus San Francisco vor Jahren als Weihnachtsgeschenk aus Amerika seinem Bruder - Jans Vater - geschickt hatte: es waren amerikanische Weihnachtsschlager, die in dieser Umgebung fremd wirkten. Dennoch waren sie mit einer anderen, viel besseren Welt assoziiert: der bejahrte Schlagersänger Bing Crosby - Mutters Idol - besang die weiße Weihnacht, den unverzichtbaren Santa Claus und Rudolf, das Rentier mit der roten Nase, das man hier nicht kannte. Dennoch blieb die Stimmung bedrückt, als hätte man den künftigen Zerfall der Familie bereits geahnt, zu dem Jans Ehe, die unerwünscht war, beitrug.

      Jans Vater, der immer bemüht war, die gute Seite der Dinge zu sehen, meinte, Jan - gerade erst volljährig geworden - habe jetzt nach einem Jahr im Prag dort bereits eine Wohnung. Davon könnten die meisten seiner Altersgenossen nur träumen.

      "Wenn die Wohnung einmal bewohnbar ist, lade ich euch alle zu einer großen Eröffnungsfeier ein", versprach Jan. " Allerdings muss die Wohnung vollständig umgebaut werden. Sie hat weder ein Bad noch eine Toilette. Der Wasserhahn befindet sich im Flur."

      "Das wird viel Geld kosten", meinte sein Bruder. Filip ist später Architekt geworden. In diesem Beruf erstellte er zwanzig Jahre lang Baupläne für ein Observatorium des Sternenhimmels, das nie gebaut wurde.

      "Ich werde später Geld haben", sagte Jan, "aber ich brauche es jetzt."

      "Erwachsen und verheiratet wie du jetzt bist, musst du auch sehen wie du - oder besser - wie ihr zu Geld kommt", erklärte die Mutter resolut. "Dein Erbschaftsanteil ist für den Notfall da", sie stockte kurz, "wenn du das Geld meinst, das meine Mutter uns hinterließ. Es ist wenig genug."

      "In fünf Jahren wird es noch viel weniger wert sein als jetzt, wenn es mit der Russenwirtschaft so weitergeht", warf Jan ein. "Wir exportieren Waren nach Russland und die Russen zahlen nicht."

      "In der Schule lernen wir, dass die Sowjetunion Gold, Diamanten und unermessliche Naturschätze hat", wunderte sich Filip. "Die Sowjetunion wird zahlen, wenn nicht jetzt dann später."

      Nach einer Weile war die angelsächsische Weihnachtsmusik zu Ende und Filip schlug vor, jetzt doch eine Beatles-Platte auszusetzen, die er von einem Schulfreund geliehen bekam.

      Beatles waren englische Jungs mit Bubiköpfen und Milchgesichtern, die neue, englische Yeah Yeah- Musik machten, von der seine Altersgenossen begeistert waren. Der beste Beatle war allerdings ihr Manager, ohne den sie ein Nichts geblieben wären. Dieser war später in Vergessenheit geraten.

      "Das ist Musik!" sagte Filip. "Die beste Musik der Welt!"

      Vater und Mutter schauten sich verständnislos an. "Nicht schlecht", sagte Jan."Aber sie haben viel kopiert, auch irische Volksmusikelemente lassen sich dort finden.."

      Die Eltern zogen es schließlich vor, sich zurückzuziehen, zum Abschluss des Abends wandte sich die Mutter Jan zu und sagte:

      "Wenn ich dir dein Erbe jetzt auszahle, kannst du mit nichts mehr rechnen. Jetzt nicht und später nicht."

      "Ich


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