KNIGGE: Über Eigennutz und Undank. Adolph Freiherr von Knigge
von der Heiligkeit seiner Pflichten überzeugten
Menschen, bewegen kann, eine That zu begehn, welche
gegen die Regeln der Ordnung des Ganzen ist; allein was
folgt hieraus? Was anders, als daß wir unvollkommne,
sinnliche Geschöpfe sind?
19.
Es ist aber leicht einzusehn, daß diese
Unvollkommenheit der menschlichen Natur sich bey den
Motiven zu moralischen Handlungen, die aus der
Nützlichkeit derselben hergenommen sind, nicht mehr
offenbahren werde, als bey denen, die aus so genannten
reinen Begriffen von Tugend und Pflicht sind abgezogen
worden. Im Gegentheil! wen weder Gewissenhaftigkeit,
noch Achtung für die bürgerlichen Gesetze, noch
religiöse Empfindungen bemeistern, der wird mir gradezu
die Aechtheit solcher reinen Begriffe abstreiten, und ich
werde kein Mittel haben, ihn zu überzeugen; da hingegen
aus der Nützlichkeit jeder Handlung Argumenta ad hominem
hergenommen werden können, die sich demonstriren
lassen und nicht abzuleugnen sind. Man sieht also, daß
dies ein weit sichrers, allgemeiner würksames Principium,
ein festeres System liefert, als jenes speculative, von der
Verschiedenheit der Vorstellungsarten eines Jeden
abhängige und veränderliche Grundgebäude.
20.
Man hat hie und da behauptet, der Grundsatz: daß man
seine moralischen Handlungen nur nach solchen Motiven
bestimmen müsse, die in allen Fällen als allgemeine
Gesetze gelten könnten, könne wenigstens theoretisch
zum Probiersteine jeder Handlung und jedes Bestrebens
dienen, wenn er auch nicht immer practisch auszuüben
wäre. Allein das heißt nichts gesagt; denn wenn es solche
Motive giebt; so müssen sie immer zur Richtschnur
dienen und immer practisch angewendet werden können.
Allein noch einmal! es giebt dergleichen allgemeine
Gesetze nicht und von den Bewegungsgründen eines
vernünftigen Wesens, dies oder jenes zu thun oder zu
unterlassen, läßt sich die Rücksicht auf den Zweck, das
heißt, auf das, was durch dies Thun oder Lassen bewürkt
werden soll, mit Einem Worte! was es nütze oder schade,
gar nicht trennen.
21.
Daß aber die ausschließliche Befolgung allgemeiner
Gesetze im practischen Leben unendlichen Schaden
stiften würde, ist leicht zu beweisen. Was würde aus der
würklichen Welt werden, wenn wir bey unsern
Handlungen nie den Umständen nachgeben, jene nicht
diesen anpassen wollten? Kann nicht in Einer
Staats-Verfassung, in Einem Himmelsstriche, in einem
Zeitalter, etwas zu sagen, oder zu thun, Verbrechen oder
Thorheit seyn, was in einem andern Clima, unter andern
Regierungen, zu andern Zeiten, für Tugend und Weisheit
nicht nur gilt, sondern auch dadurch würklich Tugend
und Weisheit wird, daß es am würksamsten die Harmonie
des Ganzen befördert? Ist es nicht der Klugheit gemäß,
und, um eine größere Summe des Guten zu bewürken,
des tugendhaften Mannes würdig, gewisser Vorurtheile
zu schonen, gewisse kleine Uebel zu dulden, denen man
mit aller Kraft widerstehn müßte, wenn man nur nach
allgemein gültigen Gesetzen handeln dürfte? Wie würde
es um den Krieg, wie um die Politik – zwey
unvermeidliche menschliche Uebel – aussehn? Kurz!
jenes so genannte reine Moral-Princip ist durchaus nicht
für diese Erde gemacht. Wenn wir hingegen den Zweck
jeder Handlung, den Grad des Nutzens vor Augen
haben, den sie bey Beförderung unsrer Glückseligkeit
gewährt, welche zu suchen und zu finden, wir von dem
Schöpfer auf die Welt gesetzt sind und zu welcher die
Mitwürkung zum Wohl unsrer Nebenmenschen und zur
Harmonie des Ganzen nothwendig mit erfordert wird; so
handeln wir gewiß nach den reinsten moralischen
Grundsätzen, für welche die menschliche Natur
empfänglich ist. Das Andre ist Ueberspannung, so wie
die reine, uneigennützige Liebe zu Gott, welche einige
Theologen dem Christen haben zur Pflicht machen
wollen, da doch selbst der erhabene Stifter unsrer
Religion die Bewegungsgründe zur Gottesliebe aus den
Verhältnissen herleitet, in welchen wir zu dem höchsten
Wesen als dem Vater, Wohlthäter, Regierer, Richter und
Vergelter stehen. Man nehme diese Verhältnisse weg; und
der sinnliche Mensch wird nichts für das höchste Wesen
empfinden können, als kalte Bewunderung, Gefühl von
weitem Abstande und von der Unmöglichkeit einer
Annäherung. Man nehme von den Bewegungsgründen
zur Tugend den Zweck, dadurch unsern Zustand
vollkommner zu machen, hinweg; und wir werden gar
keinen bestimmten Begriff damit verbinden; ja! selbst die
innere Stimme unsers Gewissens muß, wenn sie uns
richtig über das, was recht und unrecht ist, belehren soll,
von der Vernunft geleitet werden, indem diese die
Regelmäßigkeit einer Handlung nach dem Zwecke
beurtheilt, welcher, je nachdem er nützlich oder nicht
nützlich ist, wohlthätige oder schädliche Folgen
vorausahnen läßt. Ließe sich's denken, daß eine
Handlung gar keine Folgen haben könnte; so würde diese
weder recht, noch unrecht, also gleichgültig für die
Moralität seyn. Allein solche Handlungen giebt es, genau
betrachtet, wohl gar nicht. Und das ist denn endlich der
letzte Vorzug unsers Systems, daß es den Werth aller
Handlungen, nach den Graden ihrer Nützlichkeit
bestimmen kann, da hingegen die so gepriesenen reinen
Begriffe von Recht und Unrecht sich auf eine große
Anzahl von Handlungen gar nicht anwenden, folglich
den Werth derselben unbestimmt lassen.
22.
Wie wenig fest und haltbar überhaupt die von den