Die Einführung des Fernsehens im Senegal. Johannes Hahn
um sozialen Wandel mittels Massenkommunikation erfolgreich, steuerbar und vorhersehbar zu machen.
Zwar waren einige kleinere Medienprojekte in Entwicklungsländern, die auf Grundlage dieser Theorie konzipiert wurden, durchaus erfolgreich und schienen das Konzept zu bestätigen. Aber es ist zu beachten, dass es sich beim Modell der Verbreitung von Innovationen, im Gegensatz zur Modernisierungs- und Dependenztheorie, um eine Mikrotheorie handelt, die sich in kleinen Untersuchungsobjekten bestätigt findet, aber in größerem Rahmen scheitert und dort auch als “Rezept” nicht mehr anwendbar ist (es dürfte kaum möglich sein, jedem Fernsehzuschauer einen Animateur an die Seite zu stellen). Weitere Kritik an der Diffusionsforschung richtet sich dagegen, dass Innovation nur als materielle Neuerung verstanden wird, die ebenso ungefragt erstrebenswert ist wie bei der Modernisierungsforschung. Überdies würden Normen und Werte der betreffenden Gesellschaft und auch ihre ökonomische Lage zu wenig beachtet.
So mancher afrikanische Bauer würde womöglich gerne den im Fernsehen gezeigten Traktor kaufen - aber wenn das Geld dazu fehlt, hilft die medial verursachte Landmaschinenbegeisterung auch nicht weiter.
2.2 Relationale Ansätze
Das offensichtliche Scheitern eines Großteils der Entwicklungsbemühungen führte in den 70er Jahren dazu, dass der bisher geläufige Entwicklungsbegriff auch von der Wissenschaft grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Anders als in den linearen Theorien und den daraus hervorgegangenen Entwicklungsstrategien sollte nicht mehr nur Wirtschaftswachstum, sondern eine Verbesserung der Lebensqualität für die gesamte Bevölkerung das Ziel sein. Angepasste Technologie anstatt Import von kapitalintensiver Großtechnologie, eine Dezentralisierung der Entwicklungsplanung, kurz: der “Kontext” des jeweiligen Landes sollte mehr Beachtung finden. Im Zuge dieses “Kontextualismus” verabschiedete man sich von den Kausalketten der linearen Theorien. Nicht mehr Dependenzen, sondern Interdependenzen wurden erkannt und man betrachtete Gesellschaften nicht mehr als mechanische, sondern als “lebendige” Interaktionssysteme. Die verschiedenen Richtungen dieses Systemdenkens lassen sich zum Teil nur schwer gegeneinander abgrenzen, sie unterscheiden sich hauptsächlich dadurch, dass sie verschiedene “Ebenen” des gesellschaftlichen Systems untersuchen. Hier sollen die folgenden theoretischen Ansätze kurz dargestellt werden: “Kommunikationsnetzwerke”, “Partizipations-Kommunikation” und “Komplexe Innovationssysteme”. Nicht nur die Grenzen zwischen den hier unterschiedenen Modellen sind oft fließend - auch ein gewisses Erbe der Dependenz- oder Modernisierungstheorie ist zum Teil noch zu erkennen.
2.2.1 Kommunikationsnetzwerke
Die Diffusionsforschung hat darauf hingewiesen, dass mediale Kommunikation nicht “alleine” wirkt, sondern im Zusammenspiel mit interpersonaler Kommunikation. Untersuchungen über Nachrichten- und Innovationsverbreitung führten zu einer “Two-Step-Flow”-Hypothese18, die später zu einer “Multi-Step-Flow”-Hypothese erweitert wurde. Zwar wurden unterschiedliche Kommunikationssysteme ausgemacht, aber die lokalen Netzwerke und deren sozialer und kultureller Kontext wurden nicht eingehender untersucht. In dieser Missachtung lokaler Kultur und kommunikativer Muster sieht der nigerianische Kommunikationswissenschaftler Ugboajah den Grund für das Scheitern vieler Entwicklungsprojekte19. Auch sein Kollege Syad kommt zu einem ähnlichen Schluss: “La connaissance des structures, moyens et supports de la communication traditionelle en Afrique est nécessaire pour élaborer des stratégies de transition vers la communication moderne”20.
Die Idee verschiedener kommunikativer Systeme wurde von den Netzwerkforschern aufgegriffen und die einzelnen Netzwerke und deren Umgebung näher untersucht.
Das koreanische Entwicklungs-Musterdorf Oryu-Li wurde 1973 von einem Forscherteam mit der Methode der “Netzwerkanalyse” untersucht, um die Gründe für den Erfolg der Entwicklungsbemühungen benennen zu können. Es wurden die kommunikativen Austauschbeziehungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen beschrieben, in deren Mittelpunkt eine Selbsthilfeorganisation von Frauen auszumachen war, die offensichtlich der “Motor” der Entwicklung war. Die Interaktionsmuster erwiesen sich als äußerst komplex und wohl nur die insgesamt überschaubare Größe des Dorfes ermöglichte die Bestimmung einzelner Kommunikationssysteme, Subsysteme usw. Die Wissenschaftler Rogers und Kincaid resümierten:
“Development in the Korean village of Oryu Li illustrated many
important principles of social change. It underscored the importance of communication, especially interpersonal communication, in the process of change. However we are struck by how poorly the existing models of communication apply to the case of Oryu Li”21.
Aufgrund ihrer Forschungsergebnisse entwickelten sie ein neues Kommunikationsmodell, dass sie wie folgt beschreiben:
“The convergence model represents human communication as a
dynamic, cyclical process over time, characterized by mutual causation
rather than one-way mechanistic causation, and emphasizing the
interdependent relationships of the participants, rather than a bias
toward either `source´ or the `receiver´ of `messages´.”22
Dieses “Konvergenz-Modell” mag zwar die Kommunikationsstrukturen eines kleinen Dorfes recht umfassend erklären, aber bereits bei größeren Mikrosystemen stößt es auf methodische Schwierigkeiten und in größerem Rahmen, auf nationaler oder gar internationaler Ebene, erweist es sich als nicht anwendbar. Das Modell läßt sich wohl kaum benutzen, um brauchbare Kommunikationsstrategien für eine nationale Entwicklungpolitik zu konzipieren, nicht zuletzt deshalb, weil es sich ausschließlich einem Mikrosystem zuwendet und somit die wichtige Frage vernachlässigt, wie und warum welche Innovationen in das untersuchte Netzwerk Eingang finden.
2.2.2 Partizipationskommunikation
Das Konzept der Partizipations-Kommunikation ist ursprünglich aus den pädagogischen Ideen von Paolo Freire hervorgegangen. Freire kritisierte den “Transmissions-Charakter” der konventionellen Pädagogik, der den Schüler in eine passive Rolle zwänge und ihn dazu verleite, die vermittelten Inhalte für unabänderlich zu halten. Ursache von Unterentwicklung sei nicht ein Mangel an Wissen, sondern vielmehr ein Mangel an kritischer Einstellung. Daher bedürfe es einer Bewusstwerdung der Situation der Unterdrückung, die durch eine veränderte Pädagogik erreicht werden könne. Erziehung müsse ein Dialog sein, bei dem es nicht Lehrer und Schüler, sondern nur “Lernende” gibt23.
Unter dem Einfluss der Dependenzforschung und den eben kurz skizzierten Ideen Freires kritisierten vor allem Wissenschaftler aus Entwicklungsländern die Missachtung der sozio-kulturellen Gegebenheiten durch die bestehende Kommunikationsforschung. Als Kernproblem definierten sie eine mangelnde Beteiligung der Bevölkerung an den Entscheidungsprozessen der Entwicklungsplanung ebenso wie an der Ausführung der Entwicklungshilfe. Sie forderten deshalb Kommunikationsstrukturen, die eine solche Partizipation ermöglichen und rieten beispielsweise zum Einsatz lokaler Kleinmedien:
“Community communications should mean more than programming designed for special or selected groups. They are intended to be based on more than assumed audience needs and interests. Communitiy media are adaptations of media for use by the community, for whatever purpose the community decides. They are media to which members of the community have access, for information, education, entertainment, when they want access. They are media in which the community participates, as planners, producers, performers.”24
Ähnlich utopisch sind auch viele andere Modelle, die die Partizipations-Kommunikation beschreiben - und die Forschung unter dieser Prämisse beschränkt sich auch weitestgehend auf die Formulierung neuer Kommunikationsmodelle, anstatt deren Anwendbarkeit in der Realität zu überprüfen.
Die auf Grundlage von Freires Ideen konzipierten Alphabetisierungskampagnen hatten zwar zum Teil große Erfolge, ob Freires “Rezept” allerdings auch für andere Entwicklungsbemühungen