Der Ruf aus Kanada. Rudolf Obrea

Der Ruf aus Kanada - Rudolf Obrea


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die nur durch die entfernten bewaldeten Ufer zu beiden Seiten begrenzt war und nach Norden in der endlosen Weite des Horizontes verschwand, faszinierte sie und machte sie zunächst sprachlos, bis Sven bewundernd ausrief: „Ich gratuliere dir, Maria! Du hast dir einen schönen Platz zum Wohnen ausgesucht. Wie bist du hier her gekommen?“ „Eine mir oft gestellte Frage, antwortete sie, aber leicht zu erklären. Mein Mann und ich wanderten nach Kanada aus, weil wir von einem naturverbundenen Leben träumten. Daraus wurde aber zunächst nichts, weil wir nur in Toronto Arbeit fanden. Uns blieb lediglich die Sehnsucht, die sich erst 15 Jahre später erfüllte, als wir hier mit der Unterstützung einer Pelzexportfirma eine Bieberzucht aufbauten. Fünf Jahre später starb mein Mann an Krebs. Ich verkaufte das Geschäft, blieb aber hier, weil ich in der Umgebung viele Freunde habe und mir im Tourismusbüro sowie mit der Vermietung von Ferienwohnungen an Sommertouristen einen zusätzlichen Verdienst erwirtschafte, der mir im Winter meine Reisen zur Verwandtschaft nach Europa und zu meinen Kindern in Kalifornien finanziert.“ „Ein abwechslungsreiches, interessantes Leben, wenn man bedenkt, daß du in dieser Abgeschiedenheit wohnst.“ „Ja, ich kann mich nicht beklagen, muss allerdings hinzufügen, dass ich mir diese Lebensweise zäh und zielbewusst erarbeitet habe. Jeder kann sich hier ungehindert, allein auf sich gestellt, frei entscheiden, wie er sich durchbringt. Die Gefahr liegt bei der Ziellosigkeit in dieser Einsamkeit, da der Ansporn im Vergleich mit dem Nachbarn fehlt und noch schlimmer mit dem gesamten menschlichen Umfeld. Nur wenige haben die Kraft, sich mit der nötigen Selbstkritik von der Lethargie des Dahinvegetierens zu befreien. Nicht umsonst sind wir Nordländer stolz darauf, dass nur diejenigen sich durchsetzen, die ein hohes Maß an unerschütterlichem Selbstbewusstsein besitzen.. Doch jetzt habe ich erst einmal genug geredet. Ich lasse euch eine Weile allein, um den versprochenen Kaffee zu kochen und diesen, wie ich schon als Kind gelernt habe, mit einem Stück selbstgebackenen Sonntagskuchen zu servieren.“

      Die Gäste nickten zustimmend und als sie im Haus verschwunden war, gestand Peter Sven anerkennend: „Maria scheint uns mit der Einteilung ihres Lebens noch ein Schritt voraus zu sein. Während wir auf der Baustelle schon froh sind, den Zwängen von Zuhause zu entkommen, sitzen wir dafür hier den Winter über fest, während die Dame sich im warmen Süden und in Europa vergnügt.“ „Du darfst aber nicht vergessen, dass sie mit ihrer Vergangenheit dafür bereits einen hohen Preis bezahlt hat. Sie sollte uns deshalb ein Wegweiser sein, wie wir in unserem Leben eines Tages ebenso unabhängig unseren eigenen Neigungen nachgehen können. Wir bewegen uns in die richtige Richtung, müssen aber auch noch Lehrgeld bezahlen.“ Maria, die bei Svens letzten Worten mit ihrem Kaffeegeschirr wieder bei ihnen auf der Veranda erschien, fragte neugierig: „Was meinst du mit „Lehrgeld bezahlen“? „Wir dachten an deine Winterausflüge, während wir hier angebunden bleiben und dieses als Lehrgeld bezeichneten, um das von dir gepriesene nordische Selbstbewusstsein zu trainieren.“

      Maria verteilte die Tassen und Teller, schenkte den Kaffee ein und servierte den Kuchen. Dabei überlegte sie sich eine passende Antwort und sagte schließlich beim zufriedenen Blick auf ihre Gäste: „Ihr habt recht! Ich genieße das, was ich erreicht habe. Wie ich euch bereits andeutete, kamen mein Mann und ich in diese Gegend , um uns den Traum eines natur-verbundenen Lebens zu erfüllen. Diese Einstellung wurde zu Beginn unseres Aufenthaltes durch die hiesigen Winterbedingungen auf eine extrem harte Probe gestellt. Weitgehend allein gelassen, mussten wir den unerbittlichen, dafür aber umso deutlicher erkennbaren Wett-kampf mit der Umwelt aufnehmen. Wir überstanden ihn mit gestärktem Selbstvertrauen und nicht zuletzt deshalb, weil wir zwar gekämpft, dabei aber immer auch die von der Natur vorgegebenen Grenzen respektiert haben. In der Stadt kann man Gesetze umgehen oder nicht beachten. Dagegen bestraft der hiesige Winter Übertretungen seiner Vorschriften meist sofort, gnadenlos und hart.

      Dave hat euch sicherlich auch schon Ratschläge gegeben, wie ihr durch Kontakte mit den Einheimischen Abwechslung in die Eintönigkeit des Alltags bringt. Wir lebten hier anfangs noch weitgehend isoliert und damit im Grenzbereich der direkten Konfrontation mit der Wildnis. Die unterschiedlichen, jeweils erforderlichen Anpassungen bzw. Abwehrmaß-nahmen ließen keine Langeweile aufkommen. Nutzt deshalb die Gelegenheit, nicht nur Leuten zu begegnen, sondern auch bei Ausflügen die Winterlandschaft mit ihrer totalen Abgeschiedenheit und entsprechend alles umfassender Wirkungskraft, gepaart mit erlebnisreichen Herausforderungen, kennen zu lernen. Sie verschafft euch eine zusätzliche Bereicherung eures Aufenthaltes.“

      Peter, der bei ihren Ausführungen mit Blick auf den See nachdenklich zugehört hatte, sah sich bereits verloren und einsam auf der winterlichen, endlosen Eisfläche stehen. Er verdrängte diese nicht gerade einladende Vorstellung, indem er sich dem Kuchen zuwandte, ihn probierte und damit wieder in die Gegenwart versetzt, anerkennend sagte: „Dein Kuchen schmeckt aus-gezeichnet. Geradeso als ob ihn meine Mutter gebacken hätte. Du hast dir nicht nur die Sprache sondern auch die schwäbische Kochkunst trotz deiner geschilderten Verwandlung zurKanadierin gut erhalten. Dein Vorteil besteht vor Allem auch aus der Kombination der beiden Welten, nämlich die Werte der mitgebrachten Tradition so mit den neuen Erlebnissen hier so zu verbinden, dass bei richtiger Dosierung beider Seiten der Zugewinn an Erfahrungeneinen wirklich offenen und unabhängigen Lebensstil ermöglicht. Ich bedauere deine bevorstehende Abreise. Wir verlieren eine Lehrerin, hoffen aber, dich nächstes Jahr wiederzusehen, wenn wir den Winter als erste Kraftprobe gestärkt überstanden haben.“

      Maria freute sich über diese Anerkennung, sah aber auch ein, dass sie bis zu ihrer Abreise ihren neuen Freunden nur noch wenig helfen konnte. Sie wechselte deshalb das Thema und unterhielt sie mit den teilweise recht kuriosen und lustigen Erfahrungen, die sie bei ihren ständigen Begegnungen mit den Touristen der unterschiedlichsten Art und Herkunft machte. Sven und Peter zeigten sich ebenbürtig, indem sie von den seltsamen Geschichten auf ihren zahlreichen Baustellen erzählten. Sie hatten viel zu lachen und merkten kaum, wie schnell die Zeit verging. Bei ihrem Abschied war allen klar, dass der einsame Ort kaum eine Rolle spielte. Wichtig war die Begegnung Gleichgesinnter, um sich kennen und verstehen zu lernen.

      Während ihrer Heimfahrt nach Bancroft überdachten sie noch einmal ihre Bekanntschaft mit Dave und Maria, den beiden bemerkenswerten Vertretern der einheimischen Bevölkerung, Dabei stellten sie fest, dass ihnen die erste Woche ihres Aufenthaltes, besonders die beiden letzten Tage, bereits eine Fülle von Anregungen vermittelt hatte. Sie ließen sich ohne Schwierigkeiten zu einem aussichtsreichen Programm zusammenstellen, das neben der Arbeit auch ihr Privatleben, selbst in der zunächst trostlosen Abgeschiedenheit des kanadischen Winters, in eine interessante, zusätzliche Variante ihrer flexiblen Lebensgestaltung verwandelte.

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