Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani
nun gegessen, und viele waren auf den Matten und Liegen eingeschlafen. Leise Jazzmusik tönte über Schiff und Meer. Ich dachte an zuhause, an meine jugendliche Geliebte, die mir bald von der Fahne springen würde, eine schöne junge Frau in der Blüte ihrer Jugend, die mit einem Vaganten wie mir auf Dauer nichts anfangen konnte.
Um die Wahrheit zu sagen: Das Baden in Eilat war alles andere als ein Vergnügen. Zwar schien die Sonne, doch der winterliche Wind, der aus Jordanien herüberwehte, war so eisig, dass sich niemand längere Zeit am Strand aufhalten mochte. So schloss ich mich Hans an, der auf seiner Weiterreise nach Kairo das Katharinenkloster auf dem Sinai besuchen wollte. Seit dem Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel war das ohne weiteres möglich.
Die Reise von Eilat zum Weg zum Katharinenkloster auf der Halbinsel Sinai war einfacher als erwartet. Frieden zwischen Arabern und Israeli war also doch möglich, jedenfalls wenn man die Lockerheit zum Maßstab nahm, mit der die Touristen aus Israel die ägyptische Grenze passierten. „Schalom“ und „Salam“ und Stempel in den Pass – und schon waren wir in Ägypten.
Die Wüste Sinai, das geografische Verbindungsstück zwischen Asien und Afrika bestand im Norden aus Sanddünen und im Zentrum aus einem Hochland voller Geröll und respektabler Berge. Aus der Entfernung erinnerten mich die goldgelben Dünen vor dem Hintergrund der Berge an die Sahara zwischen In Salah und Tammarasset. Alles war eindeutig in dieser Landschaft, großflächig unmissverständlich, das ideale Bühnenbild für eine der entscheidendsten Stunden der Menschheitsgeschichte: die Übergabe der Zehn Gebote von Jahwe direkt an Moses, den Führer der Israeliten, die nach ihrer Flucht aus Ägypten auf der Suche nach dem gelobten Land durch den Sinai gezogen waren.
Der Legende nach soll Kaiserin Helena, die Mutter Konstantins des Großen, bereits im vierten Jahrhundert zu Füßen des Mosesberges den Bau der „Kapelle des flammenden Dornbuschs“ veranlasst haben. Gesichert war, dass Kaiser Justinian zweihundert Jahre später die kleine Anlage durch einen stabilen Festungswall von achtzig mal achtzig Metern umgürten ließ. Dieser Wall prägte das Erscheinungsbild des Klosters bis heute, eine wuchtige, burgartige Anlage, die stark an die Koptenklöster Ägyptens erinnerte. Katharinenkloster hieß die Anlage zu Ehren der heiligen Katharina von Alexandrien, von der behauptet wurde, ihre Gebeine seien durch einen Engel von einem Engel Kairo zum Sinai gebracht worden. Unglaublich, wie viele Reliquien in der Antike durch die Gegend geflogen waren. Wieder ein Ort, an dem Juden, Christen und Moslems dem gleichen Mythos huldigten, diesmal aber ausnahmsweise ein Ort, der in seiner Geschichte von Mord und Zerstörung weitgehend verschont geblieben war. Immer wenn arabische Räuberbanden, Mamluken oder Türken das Kloster hatten plündern wollen, wurde ihnen der Schutzbrief des Propheten Mohammed unter die Nase gehalten. So jedenfalls die Klosterlegende, die wie selbstverständlich von der Alphabetisierung orientalischer Wegelagerer auszugehen schien.
In der Hauptkirche des Klosters erschlug mich die übliche orthodoxe Überladung mit Lüstern, Leuchten, Lampen, Pfeilern und Baldachinen. Die Ikonen, die es in der Kirche zu besichtigen gab, waren so düster, als läge über ihnen schon der Schatten der Endzeit.
Kein Mensch hat eine Idee davon, wie gnadenlos kalt es auf der Halbinsel Sinai im Winter werden konnte. Vor allem auf einer Höhe von fünfzehnhundert bis zweitausend Metern. Nur wenige Minuten Aufenthalt im Schatten genügten, um die Knochen vor Kälte knacken zu lassen. Frierend kroch ich am Abend in meinen Schlafsaal in einem ungeheizten Raum, der durch nichts weiter erwärmt wurde, als durch die Körpertemperaturen von zehn schlafenden Individualreisenden.
Mitten in der Nacht, zwischen drei und vier Uhr, standen alle auf und rüsteten sich für die Besteigung des Mt. Sinai. Der asketische Teil der eiskalten Nacht ohne Wasser und sanitäre Anlagen lag hinter uns, nun wartete noch die Ekstase auf uns, vorausgesetzt, es würde gelingen im Dunkel der Nacht den Gipfel knapp 2.300 Meter hohen Mosesbergs zu ersteigen. Wie oft ich während der folgenden zwei bis drei Stunden gestolpert und auf die Steine gefallen bin, weiß ich nicht mehr. Immerhin geriet ich auf diese Weise nicht nur gehörig ins Schwitzen sondern erreichte genau zur Stunde des Sonnenaufgangs den Gipfel. Wie sich die Sonne im Osten über den Weiten der arabischen Wüste erhob, sah großartig aus, doch die Eiseskälte des Höhenwindes zwang mich sofort hinter Gesteinsvorsprüngen in Deckung zu gehen. Welcher gnädige Geist hinter einem dieser Felsen einen Beduinen mit heißem Tee positioniert hatte, wusste ich nicht, doch ich kaufte dem Araber sofort zwei Becher Tee ab, trank den ersten sofort und hielt meine zitternden Hände so lange an den zweiten Becher, bis sie wieder leidlich warm wurden. Im Windschatten des Felsens, in der Nähe eines kleinen Feuerchens, das der Beduine für die Zubereitung des Tees entzündet hatte, beobachtete ich, wie sich der kleine glutrote Sonnenball langsam aus dem Dunst herausschälte, mit seinem Licht den Morgen flutete und bald den gesamte Horizont erfüllte.
Das Leben der Beduinen vom Sinai war kein Zuckerschlecken. Tag und Nacht hockten sie mit ihrem Teegeschirr und ihren Kamelen vor den Klostermauern, um den Touristen zu Diensten zu sein. In der klirrenden Kälte trugen sie nichts anderes als verschlissene Jacketts mit zu kurzen Ärmeln, darunter einen fußknöchellangen Rock mit angegriffenem Schuhwerk. Trotzdem lachten sie, als sie uns für kleines Geld nach unserem Abstieg vom Mosesberg einen herrlichen Couscous servierten.
Trennung von Hans. Er fuhr weiter nach Kairo, ich musste nach Tel Aviv. Im Bus zur Grenze versuchte der Busfahrer von jedem Reisenden ganz ungeachtet der offiziellen Preise einen maximalen Geldbetrag abzuzapfen. Als sein Schwindel aufflog und die Passagiere mit dem Aufstand drohten, gab er ohne mit der Wimper zu zucken, jedem das überzählige Geld wieder heraus. Von Scham keine Spur. Einen Versuch war es ihm Wert gewesen.
Schon am Mittag erreichte ich wieder den Busbahnhof von Eilat. Um zwei Uhr aß ich meine letzte Falafel in Israel. Es war Sabbat, aber diesmal funktionierte der Transport zum Flughafen nach Tel Aviv. Im Abfertigungsraum des Ben Gurion Flughafens hatten die Traveller für die anstehende Nacht bereits die Schlafsäcke ausgepackt. Die Flüge nach Europa würden erst am nächsten Morgen starten. Gottseidank war es warm im Flughafen.
Schlafsack an Schlafsack kam ich mit Anke ins Gespräch, einer Essener Krankenschwester, die in Israel ihren Freund besucht hatte. Leider hatte sich Ariel, ihr israelischer Freund, ganz anders verhalten als vor einem halben Jahr in Deutschland, erzählte sie. Mäßig interessiert, abgelenkt und in seinen Umgangsformen nachlässig, hatte er Ankes Erwartungen bitter enttäuscht. „Warum hat er mir denn nicht einfach geschrieben, dass ich ihm nichts bedeute, dann wäre ich gar nicht erst gekommen“, sagte sie. „So kam ich mir vollkommen überflüssig vor, aufdringlich und lästig.“ Anke hatte ein ehrliches Gesicht, helle Haut und blonde kurzgeschnittene Haare. In ihren Augen lag etwas Verträumtes, ihr Körper war rundlich, der Mund vernascht. Eine Frau, die bereit gewesen wäre zur Liebe, musste unverrichteter Dinge wieder heimreisen. Die Ehrlichkeit, mit der sie ihre Zurückweisung eingestand, imponierte mir, und so begann auch ich, ohne recht zu wissen, warum, von mir zu erzählen. Anke hörte mir zu, nickte hier und da, fragte nach und schwieg genau an den richtigen Stellen.
Ehe wir unser Gespräch weiter vertiefen konnten, aber war es auch schon zu Ende. Übergangslos gingen im ganzen Flughafen die Sirenen an. Ohrenbetäubender Lärm dröhnte aus den Lautsprechern, Rauch und Nebel quollen aus den Nachbarräumen, Schüsse und Schreie waren zu hören, als eine Durchsage kam, die alle Passagiere aufforderte, sich wegen Terroralarms fort zu ihren Abflugschaltern zu begeben. Da Anke zum Counter der Maschine nach Frankfurt lief und ich den Abfertigungsschalter für die Maschine nach Düsseldorf suchte, habe ich sie nie mehr gesehen. Der Alarm war übrigens nur eine Übung gewesen.
Kapuzenmänner unterwegs
Kulturschock zwischen
Tanger und Essaouira
Schon der Name war eine Verheißung. Ein Land mit drei Vokalen und einer Konsonantenverdoppelung in seinem Namen, ein Land, das zudem noch