Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani


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hatte er mir per Mail verkündet. „In Japan zum Beispiel rechnet es sich der Schüler zur Ehre an, seinen Lehrer zu beherbergen. Sie sind also willkommen!“

      Das hörte sich gut an, wer aber war Fabian Purps? Fabian, der vor einem Jahrzehnt auf dem Mataré Gymnasium in Meerbusch-Büderich das Abitur abgelegt hatte, war als Gymnasiast das gewesen, was man einen intelligenten Filou nannte. Er war ein umtriebiger, sportlicher, gut aussehender, aber nicht besonders fleißiger Schüler, dem es immer gelungen war, seine schulischen Ziele mit dem geringstmöglichen Aufwand zu erreichen. Weil er es sich dabei mit einer Reihe von Lehrern verscherzte, hatte es Disziplinarkonferenzen gegeben, bei denen ich mich für ihn mächtig ins Zeug gelegt hatte. Ich wusste zwar schon damals um seine Finessen, schätzte aber seine Schlagfertigkeit und seinen Humor. Auch der Umstand, dass er bei aller Flapsigkeit bestimmte Grenzen nicht übertrat, nahm mich für ihn ein. Mit einem Wort: Er war ein Schüler, der immer für eine Überraschung gut gewesen war und den ich gerade deswegen besonders geschätzt hatte.

      Mit der Überraschung, die mich am Flughafen von Singapur erwartete, hatte ich jedoch nicht gerechnet. Fabian Purps, der mich abholen wollte, war nicht da, und als ich ihn auf dem Handy in seinem Büro erreichte, gab er sich überrascht. „Ach, schon so spät? Ich wollte gerade zum Flughafen rausfahren. Aber jetzt, wo du schon da bist, kannst du auch mit dem Taxi zu mir kommen, das kostet nur eine Kleinigkeit.“

      Eine Kleinigkeit war es nicht, weil ich bei meiner Fahrt in die Stadt an einen der wenigen Taxifahrer-Gauner geriet, der in einer Korruptionsnische des Singapurer Nahverkehrswesens überlebt hatte. Ein in das Korruptionsgefüge wahrscheinlich eingeweihter alter Chinese, der am Flughafenausgang die Taxizuteilung überwachte, wies mir anstelle einer der zahlreichen hellblauen Taxen einen großen weißen Wagen zu. Diese große weiße Limousine wurde von einem Chinesen gefahren, von dem weder Name noch Lizenznummer im Wageninnern verzeichnet waren. Er war eine hagere Erscheinung mit Altersflecken im Gesicht, der meine Fragen nach Namen und Lizenz mit herrischem Gehabe überging. Stattdessen fuhr er drei überflüssige Schleifen in der Stadt, um mir am Ende noch zehn Singapur Dollar „Flughafentax“ extra auf die Rechnung aufzuschlagen. Alles in allem zahlte ich auf diese Weise über vierzig Singapur Dollar, den doppelten Preis einer normalen Taxifahrt in die Stadt.

      Sofort erschien Fabian, kaum dass mich der Taxifahrer-Gauner abgesetzt hatte, am Fuße seiner Residenz am Oxford Rise und begrüßte mich wie einen alten, lange vermissten Freund. Er war inzwischen einen halben Kopf größer geworden als ich, ein breitschultriger junger Mann in den späten Zwanzigern mit sportlichen Shorts, in denen seine kräftigen braungebrannten Beine gut zur Geltung kamen. Sein kurz geschnittener Bart und die inzwischen ausgeprägtere, leicht gebogene Nase verliehen seinem Gesicht etwas Verwegenes, das sich aber sofort verlor, wenn er lachte. Das „du“, das ehemaligen Schülern bei ihren Lehrern immer etwas schwer fällt, ging ihm locker von den Lippen. Er schlug mir vertrauensvoll auf die Schulter, fragte wie ich mich fühlte und trug meinen Koffer zum Aufzug, der uns in seine Wohnung in den elften Stock brachte. Sein Apartment besaß einen großen Wohnraum, zwei Bäder, ein Schlafzimmer, eine kleine Küche und ein Gästezimmer, in dem ich einquartiert wurde. Nach einer ersten, etwas abwartenden Phase wurde das Gespräch schnell vertrauter. Klatsch und Tratsch aus Meerbusch wurde ausgetauscht, die letzten Informationen über diesen und jenen wurden aufgefrischt, Kaffee wurde gekocht, während draußen bereits die Dämmerung hereinbrach. Fabian hatte nach seinem Abitur eine Lehre als Schifffahrtskaufmann absolviert, danach als Speditionskaufmann ein Jahr in London, fünf Jahre in Hamburg und drei Jahre in Rio gearbeitet. Zurzeit leitete er das Büro einer brasilianischen Schiffsmaklergesellschaft in Singapur und war mit einem kleinen Stab von Mitarbeitern dafür zuständig, auf dem chaotischen Markt der südostasiatischen Containerschifffahrt möglichst viele Transportkontrakte und den dafür benötigten Schiffsraum an Land zu ziehen. Für sein Alter bekleidete er also bereits eine beachtliche Position. Auch privat gab es keinen Grund zum Klagen. Fabian war mit der Brasilianerin Roberta liiert, die ihm bei seinem Umzug von Rio nach Singapur gefolgt war. Auf dem Sideboard sah ich das Bild einer jungen, bildschönen Frau.

      „Aber wo ist Roberta jetzt?“ fragte ich.

      „Sie befindet sich zurzeit auf Studienurlaub in Europa“, antwortete Fabian. „Sie absolviert dort einen Studiengang für Menschenrechte, der auf den Erfahrungen und Lebensweisheiten der Bhutanesen aufbaut.“

      Als ich fragte, warum ausgerechnet der Bhutanesen, wunderte sich Fabian darüber, dass ich als Weltreisender nicht wüsste, dass die Bhutanesen die glücklichsten Menschen des Planeten seien und somit dem Rest der Weltbevölkerung Vieles mitzuteilen hätten. Leider könne er selbst nicht so glücklich leben wie die Bhutanesen, denn sein Job stresse ihn derart, dass er nachts kaum schlafen könne. Tatsächlich klingelte während unseres Gespräches das Telefon mindestens ein halbes dutzendmal. Offenbar waren reichlich Transportvolumina, für die Schiffspassagen gesucht wurden.

      Am Abend fuhren wir in die Innenstadt zum Hafenbecken des Singapur Rivers. Es handelte sich um einen breiten Mündungssee unmittelbar neben der Marina Bay, an dessen Ufern sich Promenaden, Geschäftshäuser und eine ganze Straße mit hochpreisigen Speiselokalen befanden. Ohne zu zögern bestellte Fabian bei einem Edelitaliener einen Nero d´ Avola, zu einem exorbitanten Preis, der ihm sehr gut schmeckte. Als ich ihn als Dank für seine Gastfreundschaft zu dieser Flasche Rotwein einlud, bestellte er gleich noch eine zweite Flasche, die ich inklusive des Abendessens auch noch bezahlte. Immerhin war ja auch der japanische Lehrer seinem Schüler etwas schuldig.

      Aber es war gut angelegtes Geld, denn das Gespräch brachte viel Aufschlussreiches über Singapur zu Tage. Einen Wagen besitze er selbstverständlich nicht, erklärte Fabian, denn wenn man den Anschaffungspreis und die Lizenzgebühr für ein Fahrzeug, die in Singapur praktisch einen zweiten Kaufpreis ausmache, zusammenaddiere, könne man bis zum Lebensende U-Bahn fahren. Die drakonischen Strafen für Vandalismus und Vermüllung fand er voll in Ordnung, denn jeder wisse um diese Strafen, und wer sich den Luxus leiste, sie zu ignorieren, solle auch bezahlen. Das war der Fabian Purps, wie ich ihn kannte, ein konservatives Kraftpaket, dem man kein x für ein u vormachen konnte. Dass er sich gleich nach dem Abitur als Wehrpflichtiger freiwillig zu den Gebirgsjägern gemeldet hatte und in seiner Freizeit asiatischen Kampfsport betrieb, rundete das Gesamtbild ab. Diese robusten Basisdaten wurden mittlerweile allerdings durch zartere Ansichten ergänzt, in denen sich der veredelnde Einfluss seiner schönen Menschenrechts-Freundin bemerkbar machte. Sein Umweltenthusiasmus und seine Warnungen vor den die Gefahren des Klimawandels wirkten neben seinen sonstigen Ansichten, als hätte man von einem scharf gewürzten Gericht die Peperoni entfernt. Kein Zweifel, Fabian Purps befand sich nach zwei Flaschen Nero d´Avola im Einklang mit der Welt und genoss es sichtlich, seinem ehemaligen Lehrer die Welt zu erklären.

      Am nächsten Tag war ich von morgens bis abends in Singapur unterwegs. Ich wunderte mich über die optimale Organisation des U-Bahn-Verkehrs, über die Sauberkeit auf den Gleisen und die zurückhaltende Höflichkeit der Menschen, wenngleich mir auffiel, dass sie nicht eigentlich fröhlich daherkamen. In Bangkok und mehr noch in Delhi oder Bombay war es erheblich dreckiger, trotzdem schien die Laune der Menschen viel besser zu sein als in dieser wie blankgeleckten Stadt. Sich immer nur an die Regeln zu halten, die zugleich eisern überwacht wurden, war gut für das Niveau der öffentlichen Ordnung, machte aber offenbar individuell wenig Freude.

      Das erste, was ich von Singapur sah, als ich aus der U- Bahn stieg, war das Denkmal für die Toten des Zweiten Weltkrieges: ein schmuckloser Obelisk, der von den ihn umgebenden Hochhäusern überragt wurde. Besser konnte man die Bedeutungslosigkeit solcher Denkmäler kaum darstellen. Die implizite Nachricht lautete: So schlimm konnte der Krieg ja wohl nicht gewesen sein, wenn schon eine Generation später neu erbaute Wolkenkratzer seine Denkmäler turmhoch überragten.

      An diesem Vormittag lag ein wolkenfreier Himmel über Singapur, und obwohl es noch lange nicht Mittag war, entfaltete die Sonne bereits ihre Kraft. Wer hatte gesagt, dass das exakte Entfernungsmaß zwischen zwei Punkten in Singapur die Menge Schweiß sei, die man auf dem Weg von A nach B vergoss? So gut ich konnte, wich ich ins gekühlte Unterirdische aus. Geführt von einem indischstämmigen Straßenkehrer lief ich fast einen ganzen Kilometer durch schlauchartige U-Bahn-Zubringer und Malls, bis ich kurz vor der Marina Bay wieder das Licht des Tages erreichte. Mein zufälliger Führer hieß Ramin und war ein Tamile, der als junger


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