Leben mit narzisstischen Eltern. Andrea Pirringer
Durch immer wieder bewusst distanziertes Verhalten gegenüber dem Säugling signalisieren die NE ihm: „Wir sind nicht für dich da.“ „Du kannst dich nicht auf uns verlassen.“ „Bei uns wirst du nie einen Rückhalt finden.“
(NE haben oft selbst keinen Halt im Leben gefunden und weisen eine instabile Persönlichkeitsstruktur auf.)
Später kommt es zu Aussagen wie:
„Sieh zu, wie du alleine zurecht kommst!“
„Da können wir dir auch nicht helfen!“
Das Kind wird dadurch zutiefst verunsichert, in seinem Inneren erschüttert. Die Grundfesten seines kindlichen Glaubens geraten ins Wanken. Es begreift die bittere Kern-Aussage: „Du kannst dich auf uns nicht verlassen. Wir geben dir keinen Rückhalt.“
Dies hat für die weitere Entwicklung katastrophale Auswirkungen und äußert sich in einem veränderten Verhalten des Kindes: Es zieht sich zurück, kapselt sich ab, spricht weniger, stellt keine Fragen, flüchtet sich in eine geistige Parallelwelt, sucht sich möglicherweise andere Bezugspersonen (was wiederum die Eifersucht der Eltern auf den Plan ruft).
Neben der emotionalen besteht oft auch eine körperliche Distanz. Es wird eine „Berührungslosigkeit“ praktiziert, die meist auch zwischen den Eltern besteht. Zärtlichkeiten wie Streicheln, Küssen, Kuscheln oder Umarmen finden kaum statt (und sind manchmal sogar scham-behaftet, weil sie als Vorstufe zum Sex betrachtet werden).
Das Kleinkind braucht aber den Körperkontakt. Er ist für die gesunde Entwicklung essentiell. Durch die körperliche Berührung wird das Gefühl der Geborgenheit, des Schutzes und des Halts vermittelt. Fehlt diese, ist das Baby schutzlos ausgeliefert. Es wird sich auch später ständig als Einzelkämpfer fühlen, der sämtliche Probleme immer alleine lösen muss.
Ablehnung des „bösen“ Kindes
Kinder von NE haben häufig das Gefühl des Unerwünscht-Seins. Sie fühlen sich ungeliebt, ungewollt, nutzlos, unfähig, dumm, wertlos und überflüssig. Sie sind ihr Leben lang mit dem Gefühl behaftet, „unaufrichtig“, „verlogen“, oder „hinterhältig“ zu sein. Ständig werden ihnen böse Absichten unterstellt.
Erwachsene Kinder, die sich darum bemühen, endlich einen Dialog auf Augenhöhe mit ihren Eltern zu führen, das viele Ungesagte endlich auszusprechen, landen ebenfalls ganz schnell in der „Böses-Kind-Falle“. (→ siehe auch das Kapitel „Der „Brief an die Eltern“)
Darüber hinaus landen viele Kinder in der Rolle des „Sündenbocks“. Läuft in der Familie etwas schief, ist immer das Kind schuld.
Dies kann sich folgendermaßen äußern:
Willkür beim Strafen (persönliche Wut wird am Kind ausgelassen)
Offener Hass gegen das Kind (ohne erkennbaren Grund)
Stark eingeschränkte Empathie gegenüber dem Kind (wenn es z. B. krank ist, sich verletzt hat und der Hilfe bedarf)
Neigung zu roher Gewalt (ungebremste Affekte)
Oft steht das Bedürfnis des „Heimzahlen-Wollens“ im Vordergrund. Hier geht es um „unbeglichene Rechnungen“ der NE mit ihren eigenen Eltern. Diese haben entweder eine „unantastbare Autorität“ oder sind schon verstorben, weshalb das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung nicht aktiv ausgelebt werden kann. So trifft es das Kind, das schwächste Mitglied der Familie.
Das „apersonale“ Kind
Dem Kind wird keine eigene Persönlichkeit, kein Recht zur Entwicklung und individuellen Entfaltung zugestanden. Es wird ihm eine dienende Rolle zugewiesen.
(→ siehe auch: „Das „asexuelle“ Kind)
Es fühlt sich als „Anhängsel“ oder „Fünftes Rad am Wagen“: abgelehnt, überflüssig und nutzlos. Oft wird es von den NE nicht einmal mit seinem Vornamen angesprochen. Es heißt einfach nur „Kind“.
Das „asexuelle“ Kind
In narzisstischen Familien wird die aufkeimende Sexualität des heranwachsenden, pubertierenden Kindes weitgehend ausgeblendet und nicht beachtet. Fragen dazu entstehen so erst gar nicht. Es gibt kein offenes Gesprächsklima.
Sex gilt generell als etwas Verbotenes, Schlechtes und „Schmutziges“. - Gleichzeitig leben die Eltern ihre Sexualität jedoch intensiv und aggressiv aus. Das Kind bemerkt diesen Widerspruch, weiß aber, dass es die Eltern darauf nicht ansprechen darf, weil diese sehr aggressiv reagieren würden.
Die sexuelle Aufklärung erfolgt spät oder gar nicht. Die Veränderung der körperlichen Geschlechts-Merkmale wird entweder ignoriert oder ihr in ungesund übertriebener Weise Beachtung geschenkt. („Deine Brüste sind aber schon groß geworden!“) Manche NE fühlen sich dazu „berufen“, die sexuelle Reifung ihrer Kinder durch Betasten der Körperteile zu „überprüfen“. („Papa darf das!“)
(→ Weitere Aspekte zum Thema finden Sie im Kapitel „Missbrauch und häusliche Gewalt“)
Macht und Ohnmacht – Das Kind als Marionette
Oft fühlen sich Kinder von NE unerwünscht und ungeliebt. Den NE ist das Kind lästig. Zeitweise empfinden sie sie als „Konkurrenten“. Kontrolle und Unterwerfung spielen eine zentrale Rolle in der Kindererziehung. Von den Kindern wird absoluter Gehorsam verlangt. „Widerrede“ ist nicht gestattet und wird – wenn sie doch vorkommt – unverhältnismäßig hart bestraft.
Die NE sehen sich selbst als „gottgleich“ und „unfehlbar“. Ihre Meinung, ihre Weltanschauung, ihre Erziehungsmethoden und ihre Anweisungen (die oft im Befehls-Ton geäußert werden) sind vom Nachwuchs nicht zu hinterfragen, denn das, was die Eltern äußern, ist grundsätzlich immer richtig.
Hier kommt es im Alltag zwangsläufig zu Grenzverletzungen und respektlosem Verhalten gegenüber den Kindern. Auch Kinder haben Respekt verdient. Dies ist etwas, was NE komplett ausblenden und dem sie niemals zustimmen würden. Aus der Sicht NE haben Kinder keine Rechte. Kinder haben gehorsam und dankbar zu sein.
Im Folgenden ein paar Beispiele, wie sich dieses übersteigerte Machtbedürfnis der NE äußern kann:
Generell schweres Misstrauen gegenüber dem Kind (welches völlig jeglicher sachlichen Grundlage entbehrt!)
„Klein machen“ des Kindes
Das Kind wird als Anhängsel der Eltern betrachtet
Absprechen eines eigenen Willens, der eigenen Bedürfnisse und einer eigenen Meinung
Das Kind darf keine eigenständige Persönlichkeit haben bzw. entwickeln
Feste Überzeugung: der Wille des Kindes muss gebrochen werden
Eigene Bedürfnisse und Wünsche sind nicht erlaubt
Überbehütete Erziehung (auch hinter diesem liebevoll gemeinten „Behüten“ kann emotionale Gewalt stecken!)
Keine Entscheidungsfreiheit. Alles wird von oben befohlen. (Reduzierung der Rolle des Kindes auf einen „Befehls-Empfänger“)
Keine Privatsphäre der Kinder
Kontrolle des Briefverkehrs (z. B. mit Brieffreunden)
Lesen der Tagebücher des Kindes
Verbot, die Tür