Töchter aus Elysium. Werner Siegert

Töchter aus Elysium - Werner Siegert


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zunimmt. Eher würde er ein, zwei Kilo abnehmen, was den weiteren Aufenthalt lohnender erscheinen ließ. Andere hätten Angela ein „Herzchen“ genannt. Sie brachte ihm schon mal nachmittags ein übrig gebliebenes zusätzliches Stück Kuchen. Um seine Verspannungen aufzulösen, gönnte sie ihm auch dann und wann eine Schultermassage. Jedenfalls genoss er ihre Zuwendungen um so intensiver, je kälter und kurz angebundener die Abfertigung und Anweisungen durch die Schwestern Ursula und Diana ausfielen. Die begann er allerdings auch absichtlich zu provozieren, indem er das Rinaldo-Foto demonstrativ mal auf seinen Tisch oder neben das Bett stellte. Jedesmal musste er sich diesen Sermon anhören, Hunde würden zuviele Energien abziehen. Schwarze Hunde seien überdies Höllenhunde. Sich nicht davon beeindrucken zu lassen, gab ihm ein ganz kleines Gefühl von Macht zurück.

      Als ihm Schwester Angela wieder einmal ihr Handy lieh und - um nicht ertappt zu werden - sich im Flur an ihrem Trolley zu schaffen machte, drückte er aus Versehen auf eine falsche Taste. Auf dem Display erschien ein Fax. Es war ihm fast peinlich; denn so erfuhr er zu seiner absoluten Verwunderung, dass sich hinter Schwester Angela in Wirklichkeit eine Frau Dr. Angela Berghoff verbarg. Als Schwester Angela wieder zu ihm hinein huschte, bekam er fühlbar rote Ohren. Der Schweiß rann ihm in kleinen Tröpfchen den Nacken runter, was ihr nicht verborgen blieb.

      „Haben wir einen Schub, Herr Hauptkommissar? Einen Fieberschub?“

      Herr Hauptkommissar? Sie kannte also seinen Beruf? Obwohl er doch geheim bleiben sollte. Da rutschte es ihm spontan heraus. Es lag ihm so auf der Zunge, dass er sich nicht mehr bremsen konnte:

      „Frau Dr. Berghoff, mir ist in der Tat nicht gut. Ich weiß selbst nicht!“

      Jetzt war es Schwester Angela, die rot anlief und sofort den Zeigefinger ihrer linken Hand fest an ihre Lippen presste und dann ... sogar an seine!

      „Sie wissen es also? Bitte, bitte absolutes Schweigen! Niemand darf das wissen! Das könnte schlimm für mich ausgehen. Ich bin - Sie würden es bezeichnen - ‚under cover’ hier in diesem Laden. Hier läuft einiges schief!“

      Sie ergriff in großer Hektik seine Hand, packte sie ganz fest: „Versprechen Sie mir absolutes Schweigen! Schwören Sie! Vielleicht brauche ich demnächst sogar Ihre Hilfe!“

      Dann rannte sie zur Tür hinaus und ließ den verdutzten Kommissar zurück.

      3. Mit Blaulicht

      Maurice Elsterhorst schaute entgeistert an die Decke seines Zimmers. Etwas verwirrte ihn. Noch war er zu schlaftrunken, um realisieren zu können, was es war. Blaulicht? Blaulichtfetzen? Hell, dunkel, hell, dunkel ... Blaulichtwölkchen über ihm? Spielte ihm sein Gehirn einen Streich? Träume eines Kriminal-Kommissars? Suchten ihn Nachtmare heim?

      Nein, die flackernden Blaulichtwolken, die an den Vorhängen empor kletterten und über die Decke seines Zimmerchens rasten, waren real!

      Elsterhorst schoss aus dem Bett. Nachts um 3 Uhr Blaulicht! Schließlich war er Profi, Blaulicht-Profi! Polizei? Feuerwehr? Krankenwagen? Also ran ans Fenster. Vielleicht würde er gebraucht?

      Es war ein Krankenwagen. Gerade wurde jemand auf einer Bahre hineingeschoben, mit einem Infusionsgalgen und Sauerstoffmaske! Die Sanitäter hatten es offenbar sehr eilig. Sie knallten die Türen zu - oder hallte es in der stockdüsteren Nacht nur doppelt so laut? Sprangen ins Führerhaus. Der Kies knirschte unter dem rasant startenden Sanka. Die Lichter im Hof erloschen. Das Stimmengewirr zog sich ins Haus zurück. Elsterhorst schlich sich zur Tür, machte sie zunächst nur einen kleinen Spalt weit auf. Niemand war im Flur. Also traute er sich raus, im Schlafanzug und auf Zehenspitzen wagte er sich bis zur Treppe vor, von wo aus er in die Vorhalle schauen konnte. Dort stritt die Leiterin, Frau Dr. Frost-Heimbusch, mit zwei ihm bisher nie aufgefallenen älteren Frauen in weißen Kitteln. Zwar bemühten sie sich, leise zu sein, doch waren sie viel zu erregt, um sich zurücknehmen zu können.

      „Was hätten wir denn machen sollen? Sie krepieren lassen? Und dann?“

      „Das konnten wir vielleicht mit diesem etwas zu neugierigen illegalen Zimmermädchen machen, das hier schwarz gearbeitet hat. Mit dieser Slowakin. Die konnten wir spurlos verschwinden lassen. Aber so eine?“

      „Wir hätten sie nie abtransportieren lassen dürfen! Ich kann nur hoffen, dass sie das Spital nicht mehr lebend erreicht! Oder dass sie nie wieder zum Verstand kommt!“

      „Du, ich habe sie so übel zugerichtet! Selbst wenn sie überleben sollte, kann diese Schnüfflerin Zeit Ihres Lebens keinen klaren Gedanken mehr fassen!“

      „Und wenn, dann besuche ich sie in der Klinik und - schwupps!“

      Elsterhorst spitzte die Ohren. Das waren höchst alarmierende Sätze. Schade, dass er sie nicht mit dem Handy aufnehmen konnte. Es war ihm ja bei der Aufnahme abgenommen worden. Wahrscheinlich aber hätte das kleine Mikrophon die Sprachfetzen auf diese Entfernung gar nicht registriert.

      „Wer weiß im Haus noch von dem Vorfall?“

      „Nur wir drei und Olga. Ich habe sie absichtlich bis jetzt da unten liegen lassen, damit es keinen Auflauf gibt. Morgen werde ich höchstpersönlich das Blut wegputzen. Dreimal hintereinander mit scharfen Mitteln. Da sieht man dann auch unter Ultraviolett-Licht nichts mehr. Die Blutflecken auf der Treppe, die lasse ich. Wir haben ja den Typen gesagt, sie sei die Treppe runter gestürzt.“

      „Wie konnte es nur passieren, dass diese Schnüfflerin bis in den geheimen Keller gelangen konnte! Wir hätten eben doch ein elektronisches Sicherheitssystem einbauen lassen müssen. Mit Fingerprint- oder Iris-Abgleich! Ich werde das morgen gleich mal in die Wege leiten!“

      „Schließlich ist auch in pharmazeutischen Laboratorien und in der Fertigung der Zugang nur unter schärfsten Sicherheitskontrollen möglich!“

      „Also noch einmal, kein Sterbenswörtchen! Wenn jemand nach Schwester Angela fragen sollte, nur antworten ‚Sie hat uns leider verlassen!’ Und besondere Vorsicht bei Kommissar Elsterhorst. Der darf absolut keinen Verdacht schöpfen. Den müssen wir jetzt behandeln wie ein rohes Ei. Ab sofort VIP-Programm! Das übernimmst am besten ab sofort du!“

      Die drei Frauen verschwanden durch die vergitterte Tür ins Haupthaus.

      Elsterhorst huschte schnell in sein Zimmer zurück und versuchte, den Wortlaut der abgelauschten Sätze in den Deckel eines Schuhkartons zu kritzeln, in dem ihm Judith seine Joggingschuhe überbracht hatte. Dort würde sicher niemand irgendwelche geheimen Notizen vermuten. Morgen würde er versuchen, Velmond oder besser noch Kriminaldirektor Metzner zu erreichen - wie auch immer. Aber ohne Handy? An sich würde das Erlauschte bereits reichen, den Laden hopps gehen zu lassen. Aber da war noch die Sache mit der Leiche auf dem Friedhof zu klären.

      Trauer überfiel ihn; denn bisher hatte er nur vermutet, Schwester Angela, alias Frau Dr. Berghoff, habe ein, zwei Tage Urlaub oder sei unpässlich. Ja, er hatte sie tatsächlich vermisst. Sie war zu ihm wie die Morgensonne, stets mit einem netten Spruch auf den Lippen, zudem sehr um ihn besorgt. Und nun? Nun musste sie mit Blaulicht und Sirene in das nächste Krankenhaus gefahren werden? Was hatte diese Weißkittelfrau gesagt? Sie habe die Schwester Angela absichtlich tage- und nächtelang irgendwo im Keller liegen gelassen? Unterlassene Hilfe? Am liebsten hätte er sofort, noch in dieser Nacht, eine ganze Kohorte Polizei angefordert und die Handschellen klicken lassen. Schluss mit diesem Verbrechernest! Unruhig, zitternd trippelte er in seinem Zimmer auf und ab. Riss das Fenster auf, um die kalte Nachtluft reinzulassen - und ertappte sich dabei, dass er die Gedanken an die geschätzte Angela nicht abschütteln konnte. Ihr Gesicht! Wie mochte sie zugerichtet worden sein? Würde sie je wieder gesund werden? Diese hübsche, sympathische Frau! Es dauerte lange, bis Elsterhorst endlich in einem Erschöpfungsschlaf versackte.

      - - - - - - -

      In der Ambulanz des Starnberger Klinikums herrschte große Aufregung. Aus dem Krankenwagen waren erste Diagnosen durchtelefoniert worden: Viele Hämatome, Verdacht auf Schädelbruch, total verschwollenes Gesicht. Blutende Wunde am Hals wie von einem Messer. „Die Treppe runtergefallen? Das müsste eine sehr steile und lange Treppe gewesen


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