Dr. Karl Semper und seine Studien auf den Palau-Inseln im Sillen Ozean. Jürgen Ruszkowski
niente (süßes Nichtstun) zu.
Das Leck war, wie die fortgesetzte Arbeit des Kapitäns zeigte, gefährlicher gewesen als er gesagt und wir geglaubt hatten. So konnten wir erst am 21. Januar, nachdem wir also volle 14 Tage in Bunas zugebracht hatten, nachmittags 3 Uhr den Anker lichten. Ein frischer Nordostwind brachte uns rasch zur südlichen Öffnung des Kanals heraus, um die Südspitze der Insel herum, und in der Nacht des 24. Januar kamen wir bei leichten Winden in der Straße von S.-Bernardino bei der Insel gleichen Namens an. Die bis dahin vergleichsweise rasche Reise mit dem altersschwachen Schiff hatte mir hinreichende Beschäftigung und Abwechselung in der Betrachtung der zahllosen Inseln gebracht, sodass ich leicht den unbehaglichen Eindruck überwand, den mir das, wie mir schien, nach jener langen Reparatur in Burias allzu häufige Auspumpen des Grundwassers verursachte. Wer jemals in einem stark Wasser machenden alten Schiffe gereist ist, weiß was für verpestende Gerüche das Auspumpen eines solchen in den Kajüten verbreitet; und obgleich meine empfindliche Nase ein väterliches Erbteil, um welches mich meine Frau später noch oft unglücklich schalt, sehr darunter zu leiden hatte, so vergaß ich doch leicht alles unangenehmes Geräusch und Gerüche und den Gedanken, dass das Meer keine Balken hat, in der Hoffnung einer raschen Fahrt nach den Inseln des Stillen Ozeans. Abermals getäuschte Hoffnung! Kalmen, konträre Winde und heftige von Osten her zur Straße S.-Bernardino einsetzende und täglich etwa 18 Stunden lang anhaltende Strömungen bannten unser Schiff fast wie auf einen Fleck und gaben mir nun Gelegenheit, mich etwas mehr der Unterhaltung mit meinen Schiffsgenossen zu widmen, als ich es bisher getan.
Wie ich auf meiner Reise um das Kap aus Langeweile fast die ganze Reise verschlief, so fing ich nun an, aus dem gleichen Grunde mit dem alten Woodin, Johnson, seinem Steuermann Mr. Barber und einem kleinen Palau Insulaner, Namens Cordo, zu plaudern. Gern hätte ich neben der geistigen Nahrung auch noch etwas mehr leibliche erhalten, als ich wirklich bekam. Im Anfang der Reise zwar waren wir ziemlich reichlich bei Tische versehen, aber das dauerte nicht gar lange. Während wir früher mittags und abends jedes Mal wenigstens ein Huhn nebst eingemachtem Fleisch, Gemüse usw. erhalten, wurde bald nur noch ein warmes Mittagsmahl gemacht, zu welchem ein Huhn gewöhnlich die Suppe, Braten und den in indischen Gegenden so allgemein verbreiteten „curry“ für sieben Personen abgeben musste. Je länger aber die Reise dauerte, um so stärker wurde mein Rekonvaleszentenhunger, den ich nun in Ermangelung eines guten Mittagsmahls mit Schokolade, vielem Zwieback und einsam verzehrten in Blechdosen mitgenommenen geräucherten Zungen und Würsten zu stillen versuchte. Woodin war dabei immer sehr um meinen Appetit besorgt. Wie oft sagte er mir nicht, wenn nur noch ein Unterschenkel des Huhns im Reis versteckt lag: „Hier, Dr. Semper nehmt dies gute Stück vom Huhn – upon my soul (auf meine Seele), Ihr esst nicht wie Ihr tun solltet.“ Nun dachte ich bei mir, der Mann hat wohl eigentümliche Ansichten, wie man einen heißhungrigen, kaum vom Tode erstandenen Genesenden behandeln soll, vielleicht spart er mir alle die Leckerbissen, die er damals in Manila mitzunehmen versprach, für spätere Zeiten auf, wenn ich besser im Stande sein werde, als Gastronom mich an die Arbeit ihrer Vertilgung zu machen. Dennoch, ich leugne es nicht, sehnte ich mich mitunter nach diesen sicherlich im Raume versteckten Fleischtöpfen, von denen ich hin und wieder einen reizenden Vorgeschmack durch die Gunst des Steuermanns erhielt, den ich mir zum Freunde gemacht und der bisweilen einen derselben in das gewöhnliche Mittagsessen von Reis, Huhn, Erbsen und Speck einschmuggelte. Ich erinnerte eines Tages, gerade als mich mein Heißhunger plagte, Mr. Barber an Woodin’s Versprechungen. „Ja“, meinte dieser lachend, „die Liste hatte Woodin allerdings entworfen, es waren zwei Folioseiten voll trefflicher Gerichte, die von Ihrem teurem Passagegeld gekauft werden sollten. Der Kapitän hatte die beste Absicht mit Ihnen. Aber dann tat ihm wieder das viele Geld leid; und nun wurde Tag für Tag etwas von der Liste als überflüssig gestrichen, bis endlich fast keine Nummer auf dem Papier mehr stehen blieb. Ihr habt gut getan, Euch selbst zu verproviantieren.“
„Aha, nun verstehe ich, darum fordert er mich immer des Mittags auf, so ängstlich um meinen Appetit besorgt, auch noch die Knochenreste des Hühnchens zu verzehren; er fürchtet, ich könnte Sie veranlassen, zum Abend doch wieder eins dieser seltenen Gerichte zum Vorschein zu bringen! Nun, da werde ich mich wohl auf die Palau-Insulaner verlassen müssen, nicht wahr mein Cordo?“
Damit wandte ich mich, wie ich oft und gern zu tun pflegte, diesem kleinen muntern Burschen zu, der, um sich Manila anzusehen, als Passagier mitgegangen war und, voll von Bewunderung des europäischen Lebens und der Männer des Westens, der „lakad-ar-angabard“, der großen Städte und der zahllosen Schiffe, der Uniformen der Soldaten und der hoch auf getreppten Häuser, nun nach seiner Heimat zurückkehrte, brennend vor Sehnsucht. all das Gesehene seinen Freunden schildern zu können. Aufmerksam, sinnenden Auges hörte er zu, wenn ich ihm diese oder jene Frage beantwortete, oder ihm irgendeine gerade seinen Blick fesselnde Erscheinung zu erklären versuchte; aber lebhaft in seinen Worten und feurigen Blickes wurde er erst, wenn er mir nun von seiner Heimat erzählte, und wie sich seine Mutter, die Frau des Krei, und seine gleichaltrigen Freunde alle freuen würden, ihn wiederzusehen und von ihm zu hören, wie das Land des Westens, „angabard“, doch so gar wunderbar sei. In seinem gebrochenen Englisch teilte er mir manche Notiz über die Verhältnisse seines Heimatdorfes Aibukit mit, die mir erlaubten, nach meiner Ankunft mich rasch zu orientieren. Auch Johnson, der als Passagier an Bord nichts zu tun hatte, erzählte mir während unserer langweiligen Irrfahrten in der Straße S.-Bernardino und an der Nordküste von Samar gar manches über die Sitten der Eingeborenen, ihre Kriege, ihr staatliches Leben, ihre Sagen und religiösen Gebräuche. (Zur vorläufigen Orientierung mag hier kurz Folgendes bemerkt werden: Trotz der Kleinheit des Areals sind doch die Bewohner der Inseln in eine große Menge einzelner mehr oder minder selbständiger Staaten geschieden, und oft bestehen diese, wie z. B. der Staat Coröre, nur aus einer einzigen kleinen Insel, mit zwei oder drei Dörfern, denen dann häufig eine ganze Menge anderer oft größerer Staaten verbündet sind. Doch stehen auch diese immer in einem gewissen Vasallenverhältnis, das sich freilich nicht kurz in einer für uns recht verständlichen Weise bezeichnen lässt. Ohne dass solche Vasallenstaaten gerade einen Tribut zu zahlen brauchen, sind sie doch in gewisser, später zu erörternder Weise an das leitende Reich gebunden, d. h. sie müssen sich manche Eingriffe in ihr soziales Leben gefallen lassen, die sie unter andern Umständen zurückweisen würden. Es hängt dies damit zusammen, dass bei der Kleinheit der Reiche alle persönlichen Beziehungen höheren Wert erhalten als in größeren; und es wird dadurch noch gesteigert, dass auch die geselligen Bande so mit der halb monarchischen, halb oligokratisch-republikanischen Staatsform verquickt sind, dass die Lösung der ersteren auch die politischen Beziehungen der Staaten zueinander lockern muss.
Auf der dem Originalbuch beigefügten Karte sind die hauptsächlichsten Staaten verzeichnet. Die politische Gruppierung war, als ich dort ankam, folgende. Infolge der Unterstützung von feiten Wilson’s und seiner Engländer am Ende des vorigen Jahrhunderts hatte Coröre, im Zentrum der Inselgruppe gelegen, unerwartetes Ansehen und Macht gewonnen, sodass sich Eirei, Armlimui und einige andere Staaten im südlichen Teil von Babelthaub wegen ihrer großen Nähe zu jener Insel, ferner Aracalong an der Nordspitze von Babelthaub aus persönlichen Rücksichten der dort herrschenden Familie, dem Ebadul, (d. h. dem König) von Coröre, als Verbündete angeschlossen hatten. Früher waren auch noch die Mittelstaaten von Babelthaub in diesem Bunde gewesen, mit einziger Ausnahme von Athernal an der Ostküste, welches sich zu Wilson's Zeit nach drei verlorenen Schlachten zur Tributzahlung genötigt sah, doch nie in die Stellung eines Vasallen von Coröre gebracht werden konnte. Die Eroberung und vollständige Zerstörung des Ortes Kaslan an der Westküste von Babelthaub, dicht bei Aibukit, im Anfang dieses Jahrhunderts, scheint der Grund gewesen zu sein, weshalb sich nun Aibukit auf die Seite Athernals stellte, und mit ihm wurden zu Verbündeten des letzteren eine Reihe kleiner Staaten dicht bei Aibukit (Roll, Rallap, Aural usw.), welche von jeher wirklich in einem Vasallenverhältnis zu diesem standen. Es war also die nördlichste Spitze und die südliche Hälfte von Babelthaub, der größten Insel der Gruppe, verbündet mit Coröre; ihnen gegenüber standen, geographisch abgeschlossen aber isoliert, die Mittelstaaten von Babelthaub. Kreiangel im höchsten Norden, ein durch einen breiten Kanal getrennter Atoll, und Peleliu wie Ngaur ganz im Süden spielten die Neutralen; sie standen in einer gewissen Abhängigkeit durch die Furcht vor Coröre, ohne dass sie