Summer of 86. Anja Kuemski

Summer of 86 - Anja Kuemski


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mir ja ein ganz schlimmer Finger. Tun so harmlos und haben damals reihenweise die Mädels abgeschleppt.«

      »Nein, das glaube ich nicht.«

      Wieder schien er in sich hineinzuhorchen.

      »Das Mädchen, sie wollte …, sie wollte …« Er ließ die Schultern hängen. »Ich weiß es nicht mehr.«

      »Hm, so schwer wird das wohl nicht zu erraten sein. Hatten Sie noch Ihre Klamotten an?«

      Schücking blickte an sich herunter, als müsse er das überprüfen.

      »Ich bin mir nicht sicher.«

      »Okay, das reicht. Mehr muss ich wirklich nicht wissen.« Kattenstroth legte sich demonstrativ die Hände auf die Ohren. »Das kann ich nie wieder ungehört machen.«

      »Ich denke, wir sollten jetzt besser gehen. Reformhaus. Da wollten Sie doch hin, oder?«

      Schücking drehte sich abrupt um und steuerte den Eingang zum Laden an. Kattenstroth entging jedoch nicht, dass das Gesicht seines Mitbewohners knallrot angelaufen war. Grinsend folgte er ihm.

      *

      »Es war das Zazoo«, sagte Schücking wie aus heiterem Himmel.

      »Hä?«

      Kattenstroth erwachte aus seinem Halbschlaf und setzte sich etwas aufrechter hin. Der Fernseher zeigte Bilder von wilden Tieren irgendwo an einem Fluss. Nichts half ihm besser beim Einschlafen als die langweiligen Dokus, die Schücking hin und wieder abends anschaute.

      »Die Disco in der Ritterstraße. Wo wir gestern gestanden und gerätselt haben, wie der Schuppen hieß.«

      Kattenstroth musterte Schücking grinsend.

      »Und wieso fällt Ihnen das jetzt wieder ein?«

      »Weil in der Hechelei eine PC69-Revival-Party angekündigt ist. Steht in der Zeitung.«

      Kattenstroth rieb sich die müden Augen und überflog die Seite, die Schücking ihm hinhielt. Eine Lesung in der Stadtbibliothek, ein missglückter Einbruch ins Museumsarchiv, PC69-Revival-Party.

      »Sie haben mich irgendwo unterwegs verloren. Was hat die Revival-Party vom PC69 mit dem Zazoo zu tun? Und warum fällt Ihnen ein Zeitungsartikel vom Vormittag ein, wenn Sie eine Doku über …«, er blickte angestrengt auf den Fernseher, »über die Tiere am Mississippi gucken?«

      »Da waren Spuren von Paarhufern im Schnee.«

      »Aha.« Die Tatsache, dass er nun wach war, Schückings Worte aber trotzdem keinen Sinn ergaben, kam Kattenstroth inzwischen nicht einmal mehr seltsam vor.

      Er wartete. Aber mehr kam nicht von Schücking. Der schien wieder ganz aufmerksam die Sendung zu verfolgen.

      Stöhnend ließ Kattenstroth den Kopf auf die Sofalehne sinken.

      »Jetzt sagen Sie es schon.«

      »Was denn?«

      »Den Zusammenhang zwischen den Paarhufern am Mississippi und einer Bielefelder Disco aus den 80ern. Ich komme nicht drauf. Ich weiß, es ist bestimmt total naheliegend. Aber im Augenblick stehe ich auf der Leitung.«

      »Es ist keineswegs naheliegend. Im Gegenteil. Es ergibt überhaupt keinen Sinn. Es sei denn, man ist dabei gewesen.«

      »Wobei?«

      »Als es ein einziges Mal Sinn ergab.«

      »Och, nö. Schücking. Jetzt reicht es aber. Entweder Sie erklären mir jetzt alles ohne kryptische Andeutungen oder ich gehe sofort ins Bett. Das ist mir heute Abend zu kompliziert.«

      Schücking schaltete den Fernseher aus und drehte sich zu ihm um.

      »Sie sagten gestern, Sie hätten damals viel gekifft.«

      »Was?«

      Mit diesem Themenwechsel hatte er überhaupt nicht gerechnet.

      »Äh, ja. Schon. Ist aber lange her. Wenn Sie was brauchen, müssen Sie sich einen anderen Dealer suchen. Meinen Sie, das Zeug hilft Ihnen gegen Ihre Panikattacken?«

      »Nein, das tut es nicht. Aber darum geht es auch gerade nicht. Erinnern Sie sich noch an die Sommerferien 1986?«

      »Schücking!«

      »Nein, bitte. Beantworten Sie die Frage. Es wäre mir peinlich, bestimmte Dinge zu erwähnen, wenn sich meine Vermutung als ein Irrtum erweisen sollte.«

      »Dass Ihnen überhaupt mal etwas peinlich sein könnte, macht mich jetzt aber ziemlich neugierig. Also, Sommerferien 1986, lassen Sie mich nachdenken. War da etwas Besonderes? Da war ich sechzehn. Bin runter von der Schule.«

      »Falls es Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge hilft: Es war drei Monate nach Tschernobyl. In der Folge gab es ein Konzert gegen Atomkraft in der Nähe von Wackersdorf, gleich am ersten Wochenende der Ferien.«

      »Wackersdorf …, Wackersdorf …, ach ja, richtig, da war was. Meine Freundin ist hingefahren.« Ihr Name wollte ihm gerade einfach nicht einfallen. »Und ich … hm, ich habe mit den Jungs einen draufgemacht.«

      »Ah, tja dann.«

      Schücking schaute wieder Richtung Fernseher, schaltete ihn aber nicht ein. Er wirkte enttäuscht.

      »Falsche Erinnerung?«

      »Es kam mir so real vor.«

      »Sie denken wirklich, wir sind uns schon mal begegnet?«

      »Je länger ich drüber nachdenke, desto realer wirken die Bilder. Aber ich muss mich wohl täuschen.«

      Kattenstroth empfand Mitleid mit ihm. Er litt ohnehin schon unter Wahnvorstellungen und erheblichen Gedächtnislücken. Wenn jetzt auch noch falsche Erinnerungen hinzu kamen, machte es die Sache nur noch komplizierter.

      »Nee, kann ja sein«, sagte er mit deutlich übertriebenem Optimismus, was ihm einen tadelnden Blick von Schücking einbrachte.

      »Es wäre schon ein arger Zufall.«

      »Aber ist auch nicht auszuschließen. Wir sind gleich alt und haben auch damals schon beide hier in der Ecke gewohnt. Warum also nicht?«

      »Aber wenn Sie sich doch nicht erinnern? Meinen Erinnerungen ist ja offenbar nicht zu trauen.«

      »Man erinnert sich nicht an Leute, denen man vor dreißig Jahren mal flüchtig über den Weg gelaufen ist.«

      Er versuchte sich Schücking vorzustellen, wie er als Teenager ausgesehen haben könnte. Wieder war da der ernste Junge im Gothic-Look, der so real wirkte.

      »Haben Sie ein Foto von sich aus der Zeit?«

      »Nein.«

      Es war Kattenstroth schon aufgefallen, dass es im ganzen Haus keine Familienfotos gab. Inzwischen wusste er auch, warum. Die Schückings waren weit davon entfernt gewesen, eine normale Familie zu sein. Aber es hätte ihm jetzt immerhin weiterhelfen können. Er selber besaß auch keine Fotos von sich, da alles beim Brand in seinem Beerdigungsinstitut vernichtet worden war. Vielleicht sollte er seine Mutter mal fragen. Bestimmt hatte die ein paar Erinnerungsfotos von damals.

      »Erzählen Sie mir noch ein paar Einzelheiten aus Ihrer Erinnerung, vielleicht fällt mir dann noch mehr ein. Ich verspreche auch, ich mache keine blöden Bemerkungen, dass es peinlich werden könnte.«

      Schücking druckste noch ein wenig herum, dann schaute er ihn entschlossen an.

      »Ich war das erste und einzige Mal im PC69 an jenem Wochenende im Juli 1986. Und ich glaube, Sie waren auch da.«

      »Ich war nicht oft im PC69

      Als er Schückings enttäuschtes Gesicht sah, war er schon drauf und dran, sich etwas auszudenken. Aber Lügen halfen ihnen niemals weiter.

      Dann fiel ihm etwas ein.

      »Wir könnten gucken, was für Filme in den Kinos


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