Gegen diese Zukunft. Ernst Meder
ich noch weitere Fragen habe, werden wir uns wiedersehen‹, es klang wie eine Drohung, trotzdem lächelte sie. Dann nickte sie ihrem inzwischen herannahenden Kollegen zu, um mit ihm gemeinsam den Dorfkrug zu verlassen.
›Ist Dir etwas aufgefallen‹, Maja Lieberknecht wandte sich an ihren Kollegen, ›denk an den Stammtisch‹. ›Noch eine Hilfe, Du hast doch bestimmt eine Skizze gemacht, aus der die Sitzanordnung hervorgeht‹.
›Wieso Sitzanordnung, ich habe die Namen, die Telefonnummern sowie die Adressen aufgeschrieben, auch von dem, der heute nicht da war‹.
›Hat Dir schon mal jemand gesagt, dass es an Stammtischen so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz gibt, dass die Sitzordnung regelt. Üblicherweise wird diese einmal getroffene Anordnungen von den Beteiligten beibehalten, diese Stammtischbrüder haben ihre feste Sitzordnung‹.
Sprach sie Chinesisch oder weshalb blickte er so verwirrt, ergänzend fügte sie an, ›die sitzen mit ihren Hintern jede Woche auf dem gleichen Platz‹. ›Gleicher Stuhl will ich jetzt nicht sagen, der Wirt kann sie ja zwischenzeitlich verstellt haben‹.
›Weshalb soll ich eine Skizze machen, wenn die jede Woche auf dem gleichen Platz sitzen‹, verständnislos starrte er auf seinen Notizblock, er war Polizist und kein Zeichner.
›Ist noch ausreichend Erinnerung vorhanden, um jetzt in nachhinein eine Sitzanordnung aufzuzeichnen, oder willst Du noch mal in den Dorfkrug um ein Foto zu machen‹. Der beißende Spott in der Frage blieb ihm nicht verborgen, mit rotem Gesicht begann er, die Platzanordnung nach seinen Notizen aufzumalen.
Kurz vor dem Eintreffen im Präsidium war es so weit, die Skizze mit den jeweils platzierten Personen war fertig. Mit verlegenem Lächeln hielt er das Ergebnis intellektueller Anstrengung in seinen Händen.
›Kannst Du mir jetzt sagen, was Dir als Besonderheit aufgefallen ist‹, ein Blick auf die Zeichnung ließ sie die Antwort erahnen.
›Dass eine Person fehlte‹, erwartungsvoll starrte er sie an, dann schlug er sich an die Stirn, ›es fehlten zwei‹.
›Wie viele Stühle standen an dem Tisch‹, langsam entwickelte sich dieses Frage und Antwortspiel in die Richtung, die ihr beim Verlassen des Dorfkrugs aufgefallen war. Sie beendete das Ratespiel, seine Reaktion ließ erahnen, es war ihm nicht aufgefallen.
›Am Tisch standen elf Stühle, nachdem wir uns an den Tisch gesetzt haben, stand immer noch ein leerer Stuhl am Tisch, obwohl es dadurch etwas beengt war‹. Als keine Reaktion erfolgte, fuhr sie fort, ›wenn in der Regel nur zehn Personen zu dem Stammtisch gehören, weshalb dann der elfte Stuhl. Wenn am gestrigen Abend allerdings noch eine weitere Person anwesend war, warum hat der Wirt diese nicht erwähnt. Weshalb hat die versammelte heimische Landwirtschaft die Anwesenheit einer weiteren Person verschwiegen‹.
Verwirrt blickte er sie an, noch konnte er nicht nachvollziehen, wie man an einem leeren Stuhl so viele Fragen festmachen konnte.
3. Kapitel
›Hattest Du wirklich den Eindruck, dass die Polizistin Dir geglaubt hat‹, der ihm gegenübersitzende Werner Ribbe äußerte zweifelnd seine Bedenken, als er sich an Ronald Holzer wandte. Er sah, dass dieser verlegen mit seinem Glas spielte, ›wir hatten doch abgesprochen, dass wir so nah als möglich bei der Wahrheit bleiben wollen‹. Ronald schwieg, er wusste sehr genau, weshalb dieser seine Zweifel äußerte, auch wenn alles in groben Zügen so abgelaufen war, wie sie es noch vor einer halben Stunde abgesprochen hatten. Sie waren durch das Telefonat vorgewarnt, als Willi Rüter seinen Schwiegervater angerufen hatte, um ihn von dem Tod dieses Holger Geldern zu informieren.
Dass die Polizei früher oder später bei ihnen erscheinen würde, konnten sich alle ausmalen, deshalb hatten sie sich auf eine Version geeinigt, die sich sehr nahe an der Wahrheit orientierte. Obwohl jeder dem anderen beteuerte, nichts mit dem Tod von Holger zu tun zu haben, zeigten misstrauische Blicke, dass die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen untereinander gelitten hatte.
Der gestrige Abend war ähnlich verlaufen wie die Treffen vorher, im Unterschied zu früher hatte Holger ihnen gedroht ihr Vorhaben zur Anzeige zu bringen, wollte ihnen ihre Lebensgrundlage entziehen.
Sogar Dr. Schneider hatte sich entschlossen das anberaumte Treffen früher zu verlassen, da er befürchtete, dass seine Anwesenheit nicht deeskalierend zu der Diskussion beitragen würde. Allerdings hatte er ihnen auch zu verstehen gegeben, dass sie Holger Geldern zur Räson bringen mussten, da ohne ihn keine Vereinbarung zustande kommen konnte.
Es war zu keiner Einigung gekommen, als sie gegen zwei Uhr morgens den Dorfkrug verließen, schwelte der Streit offener als je zuvor. Irgendjemand musste ihn verfolgt und zu Hause ermordet haben, nur wem von den Anwesenden war ein derartiges Verbrechen zuzutrauen.
Der Wirt stand hinter seinem Tresen, fixierte den Stammtisch, dabei versuchte er sich jeden Einzelnen vorzustellen, welchem der Anwesenden er am ehesten zutrauen würde, diesen Unruheherd Holger Geldern zu ermorden. Wenn er ehrlich war, so musste er sich eingestehen, dass er keinem von den Personen die er vor sich sah, eine derartige Tat zutraute.
Wenn er sich jedoch die Frage nach dem Nutzen stellte, so waren sie alle wieder im Boot. Jeder von ihnen profitierte, alle brauchten sie die zusätzlichen Zuwendungen von diesem Dr. Schneider, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Wenn man sich so in die Ecke gedrängt fühlte, da konnte man schon die Beherrschung verlieren. Vielleicht war ihm ja einer gefolgt, wollte noch einmal mit ihm reden, ihn zur Vernunft bringen. Dabei kam es zu einem erneuten Streit, der zu dem Unglück geführt haben musste.
Jetzt musste sie noch den Bericht für ihren Vorgesetzten schreiben, musste ihm die Fakten aufzeigen, ohne sich in Spekulationen zu verlieren. Ihrem Vorgesetzten, der ihr diesen unfähigen Kollegen zugeordnet hatte, der sie seit geraumer Zeit unter besonderer Beobachtung hatte. Sie konnte sogar den Zeitpunkt dieser Sonderbehandlung genau bestimmen, es waren genau neunundvierzig Tage, seit sie sich von ihrem Vorgesetzten und Noch-Ehemann getrennt, sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie ihn nicht mehr liebe.
Die ersten Tage nach der Trennung waren noch erträglich, bis sie bemerkte, wie er im Hintergrund an immer mehr Fäden zog, um den Dienst für sie immer unerträglicher zu machen. Ihr langjähriger Kollege wurde versetzt, bestimmte Aufgaben, die von den anderen Kollegen immer auf die lange Bank geschoben wurden, landeten wie von Zauberhand auf ihrem Schreibtisch. Bei der Zuteilung von Fällen wurde sie übergangen, wenn diese besonders interessant oder heikel waren.
Heute hatte er keine Wahl, sie waren das einzige Team, das verfügbar war, also musste er sie mit der Ermittlung beauftragen. Während sie ihren Bericht schrieb, verglich sie die Notizen ihres Kollegen mit ihren Erinnerungen, sah sich die Skizze mit den Namen der Stammtischbrüder an. Holzer, das war der Name, der mehrfach auftauchte. Das erste Mal bereits auf dem Hof bei der Frau ihres Opfers, als diese ihn als Täter bezeichnete, dann am Stammtisch, als er sich als Wortführer hervortat.
Außerdem seine offensichtliche Lüge als er auf seine ehemalige Freundin / Geliebte oder was auch immer zu sprechen kam, als er dieser Rachegedanken vorhielt. War es wirklich so oder war es nur die geschönte Version, die noch in seiner Erinnerung war. Sie hatte auch Zweifel in dem einen oder anderen Augenpaar entdeckt. War dies wegen der Version der Geschichte oder gab es da weitere Gründe, die Zweifel an der Version zuließen.
Sie würde so schnell als möglich mit allen einzeln reden müssen, in der Gruppe fühlten sie sich stark. Da bestätigten sie sich gegenseitig die Geschichte, die wahrscheinlich abgesprochen war, auch wenn diese nicht der Wahrheit entsprach.
Dann versuchte sie sich die Namen zu den Gesichtern vorzustellen, wobei ein Gesichtsausdruck allen gemein war, als sie an den Tisch getreten war, Ablehnung und Verbissenheit. Vereinzelt sah sie im Laufe des Gesprächs Angst, war es die Angst vor dem Ungewissen oder war es die begründete Angst, da man etwas zu verbergen hatte.
›Bis morgen, ich mache jetzt Feierabend‹, die Stimme ihres Kollegen drang nur gedämpft in ihr Unterbewusstsein.
›Ja in Ordnung, bis morgen‹, ihre Antwort