Gefangene der Welten. Hazel McNellis

Gefangene der Welten - Hazel McNellis


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stolperte Sydney einen Schritt zurück, als das Biest Jack zur Seite stieß und ihren Arm packte.

      Und plötzlich war es ihr klar. Hier war kein Tier. Kein Bär, keine Ratte, kein Monster. Es war ein Mensch. Ein Mensch aus Fleisch und Blut und größer, als sie es sich vorstellen konnte. Sie wollte schreien. Doch noch ehe sie einen Ton von sich geben konnte, zerrte man sie gegen einen harten Körper und eine raue, schwielige Hand presste sich gegen ihren Mund. Sydney trat mit den Füßen um sich und versuchte, sich loszureißen.

      „Sydney!“

      Jack wollte ihr helfen, doch der Stoß, den man ihm mit solcher Wucht versetzt hatte, hatte ihm eine Platzwunde am Kopf beschert. Vor seinem Auge verschwamm alles, er taumelte. Er war sich sicher, wäre es nicht so dunkel um sie herum, würde er schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen sehen. Kopfschüttelnd versuchte er Sydney zu Hilfe zu eilen. Er stützte sich an der Wand hinter sich ab und trat einen Schritt vor, bereit dem Angreifer entgegenzutreten, als seine Beine zitternd ihren Dienst versagten. „Verdammt“, nuschelte er schwach, ehe er ohnmächtig zusammensackte.

      Sydney schlug derweil mit dem Schürhaken um sich und traf ihren Angreifer am Bein. Er grunzte und zerrte Sydney nach draußen. Er entwand ihr den Haken und warf ihn achtlos ins nasse Gras, wo er mit einem leisen, dumpfen Geräusch aufschlug. Ein Tritt traf ihn am Bein und seine Hand auf ihren Mund lockerte sich. Es gelang ihr, ihre Zähne in seine Finger zu versenken. Augenblicklich riss ihr Angreifer seine Hand los und sie schrie: „JACK! Hilfe!“

      Der Mann reagierte sofort und versetzte ihr einen Stoß, der sie nach vorne ins nasse Gras fallen ließ. Der Stoß trieb ihr alle Luft aus den Lungen und noch ehe sie zu einem erneuten Hilferuf ansetzen konnte, war er über ihr. Ein Griff in ihre Haare und er zog sie zu sich hoch. Sydney stöhnte vor Schmerz.

      „Schweig, dummes Weib!“

      Seine raue Stimme war zu einem tiefen Knurren herabgesenkt. Sie jagte ihr einen Schauer über den Rücken und Sydney erstarrte. Ein kräftiger Arm schlang sich um sie und ihr Angreifer knebelte sie mit einem Seil. Anschließend band er ihre Handgelenke hinter ihrem Rücken zusammen. Derart verschnürt, zog er sie mit sich in den Wald hinein. Was sollte sie tun? Sie hatte schon oft die Artikel in der Zeitung gelesen, in denen Mädchen und junge Frauen spurlos verschwanden. Man fand sie kurze Zeit später im Wald. Vergewaltigt und mausetot. Vielleicht sollte es ihr nun auch so ergehen? Sie hoffte, nein, sie betete, dass dem nicht so war.

      Sie erreichten den Waldrand und traten in die Schatten der Bäume. Der Mondschein schaffte es kaum, die Baumkronen zu durchdringen. Der Mann an ihrer Seite schien sich – im Gegensatz zu ihr – mühelos zurechtzufinden. Plötzlich blieb er stehen.

      Ihr Arm kribbelte und Sydney kam sich vor wie in einem Schraubstock. Da ihr Entführer sich zu einer Pause entschlossen hatte, nutzte sie die Gelegenheit. Sie trat ihm auf den Fuß und entriss ihm den Arm. Sydney rannte los und hörte den Mann einen Fluch ausstoßen, ehe er die Verfolgung aufnahm. Hastig versuchte sie, sich zurechtzufinden. Dunkelheit verschluckte sie und mehrfach stießen ihre Schultern gegen einen Baum. Ihr Atem entwich stoßweise ihren Lungen und war das einzige Geräusch um sie herum. Ein spitzer Ast schlug ihr gegen das Gesicht und augenblicklich spürte sie das warme Blut ihre Wange hinabrinnen.

      Sie würde nicht weit kommen.

      Als sie einen dicken Baumstamm erreichte, zögerte sie nicht lange und versteckte sich. Vorsichtig rutschte sie entlang der Rinde zu Boden und kauerte sich hin. Ihre einzige Chance dem Fremden zu entwischen, bestand darin, keinen Ton von sich zu geben. In dieser Finsternis konnte er sie unmöglich finden, wenn sie nur still wäre! Sydney schloss ihre Augen. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle hoch. Inständig hoffte sie, der Fremde würde wieder verschwinden und nach ihrer Flucht aufgegeben haben.

      Nach einer Weile normalisierten sich ihr Herzschlag und ihre Atmung wieder. Zitternd schluckte sie und wagte einen Blick hinter den Stamm. Ein oranger Lichtschein fiel auf einen Baum in ihrer Nähe und gedämpfter Hufschlag drang zu ihr vor. Entsetzen brandete in ihr hoch. Was sollte sie nur tun? Sie presste sich enger an den Baum und wagte einen zweiten Blick.

      Der Mann blickte suchend umher.

      Sein dichtes schwarzes Haar war zu einem losen Zopf gebunden. Dunkle Augen schimmerten im Licht der Fackel wie schwarze Opale. Seine muskulösen Beine steckten in einer erdfarbenen Wildlederhose und sein nicht minder muskulöser Oberkörper wurde von einem feinen weißen Hemd bedeckt. Die Ärmel waren aufgerollt und am Kragen stand der oberste Hemdknopf offen. Schwarze Schaftstiefel dirigierten das elegante Pferd unter ihm, welches ebenso schwarz wie die Haare seines Reiters war.

      Sydney starrte ihn an.

      Dieser Mann strahlte eine Arroganz und Stärke aus, die ihr jäh die Sprache verschlug. Solch einen Mann hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich bei seinem Anblick und das durchaus nicht nur aus Angst, wie sie schockiert feststellte. Dieser Mann wollte sie vermutlich umbringen oder ihr sonstige unaussprechliche Gräueltaten antun! Wie konnte sie da seine Erscheinung bewundern! Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt angesichts ihrer Reaktion auf ihn.

      Sie zog sich zurück und presste ihren Rücken gegen die feuchte Rinde des Baumes.

      Damian starrte in die Nacht. Seine Fackel warf flackernde Schatten auf die Bäume, die ihn umgaben. Er war sich sicher: Sie war in der Nähe. Er konnte ihre Furcht fast körperlich spüren.

      Lan’tash hatte recht. Es war so vorherbestimmt, dass er sie ehelichte. Er hatte es mit einer leidenschaftlichen Wildkatze zu tun und nicht mit einem verängstigten Rehkitz. Sie würde die Richtige sein.

      Er hob die Fackel höher und suchte die Umgebung ab.

      Ihre Handflächen schwitzten. Warum ritt er nicht weiter? Es kam ihr vor, als stünde er bereits eine Ewigkeit auf der anderen Seite. Hatte er sie entdeckt? Schnell vergewisserte sich Sydney, dass sie vollkommen hinter dem Baumstamm verborgen war. Wusste er, dass sie hier war? Hatte er sie trotz der Dunkelheit sehen können? Angst kroch ihre Wirbelsäule hoch und hinterließ ein Prickeln in ihrem Nacken. Sie hörte, wie sich das Pferd langsam entfernte und stieß zitternd den Atem aus. Kein Ton war mehr zu hören und Sydney beschloss, nicht länger zu warten. Sie schob sich am Stamm hoch und trat hinter dem Baum vor. Stille umfing sie. Ihr kam der Gedanke, dass sie sich in der Finsternis leicht verlaufen konnte. Doch noch ehe sich dieser Gedanke in ihrem Gehirn festsetzen konnte, lief sie los. Der vom Regen aufgeweichte Boden ließ sie über Wurzeln und Äste stolpern. Nur mit Mühe ließen sich Ausrutscher vermeiden. Lief sie überhaupt in die richtige Richtung? Die Morgenstunde lag in weiter Ferne, sodass sie nicht darauf hoffte, dass sich die Lichtverhältnisse in naher Zukunft bessern würden. Keuchend stolperte sie vorwärts.

      Hätte sie die Hütte nicht längst erreichen müssen? Sydney runzelte die Stirn und blieb stehen. Hatte sie sich verirrt? Ein Schluchzen stieg in ihr auf und in ihrem Hals machte sich ein Gefühl der Enge breit. Sie konnte überall in diesem vermaledeiten Wald stecken!

      Nicht aufgeben, Syd’! Es ist noch nichts verloren!, versuchte sie sich zu beruhigen.

      Ihre Schultern schmerzten und das raue Seil scheuerte in ihre Haut. Es schadete sicher nicht, wenn sie sich kurz ausruhte. Sydney trat an einem Baum heran. Ächzend ließ sie sich an der Rinde herabsinken und zog die Knie an, um ihr Kinn darauf abzustützen. Der Schmerz in ihren Schultern wurde schier unerträglich und jeder Versuch, die Fesseln zu lösen oder gar zu lockern, war zum Scheitern verurteilt. Sie stöhnte leise und schloss die Augen einen Augenblick.

      Ein leises Geräusch drang an ihr Ohr.

      Sie musste eingeschlafen sein. Die Sonne war aufgegangen und ihre warmen Strahlen drangen durch ihre geschlossenen Augenlider.

      Sydney war noch benommen vom Schlaf und blinzelte müde gegen das Licht an. Zu spät registrierte sie, dass der Lichtschein auf ihrem Gesicht von einer Fackel verursacht wurde, deren Feuerschein sie blendete.

      Es war der Fremde.

      Er streckte seinen Arm aus und zog sie hoch. Der Schmerz in ihrer Schulter explodierte und Sydney schrie auf. Tränen der Wut, Angst und des


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