Gefangene der Welten. Hazel McNellis
Gans!, schimpfte sie sich.
Beim Klang ihres Schreis lockerte Damian seinen Griff um ihren Arm und zog sie zu sich heran. Mit einer fließenden Bewegung warf er sie wie einen Sack Kartoffeln über seine Schulter und schlang seinen freien Arm um ihre Beine. Seine Hand legte sich verstörend warm auf ihren Oberschenkel.
Sydney wand sich. Jeder seiner Schritte presste ihr die Luft aus den Lungen. Wenn sie sich doch nur mit den Händen abstützen könnte! Die gefesselten Hände lieferten sie seiner Grobheit auf Gedeih und Verderb aus. Sie war kein Mensch, mit dem man so umspringen konnte!
Damian erreichte sein Pferd.
Das leise Schnauben ließ Sydney erstarren. Dieser Augenblick bot ihr die letzte Möglichkeit zum Entkommen. Entschlossen trat sie um sich und warf sich auf seiner Schulter herum.
Damian geriet kurz aus dem Gleichgewicht. Diese kleine Hexe war fuchsteufelswild und zerrte an seinen Nerven. Er warf die Fackel eine Armeslänge von sich auf die Erde und ließ Sydney von seiner Schulter gleiten. Die Rundungen, die dabei an seinem Oberkörper entlang glitten, blieben ihm dabei keineswegs verborgen. Sie erinnerten ihn einmal mehr daran, dass diese Wildkatze seine Braut war.
Sydney versuchte den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern, doch Damian hielt ihren Arm umfangen. Wütend blitzte sie ihn an und stille Faszination ließ sie ihr Urteil über die Farbe seiner Augen revidieren. Dunkel, wie flüssige Schokolade, funkelte er sie an; eine deutliche Warnung lag in seinem Blick. Sydney schluckte.
Damian löste seine Hand von ihrem Arm, um auf das Pferd zu steigen, und Sydney reagierte. Es war ihr einerlei, dass er ein Pferd hatte. Die Hauptsache war, dass sie überhaupt fliehen konnte.
Damian sah ihr nach. Ein verschlagenes Grinsen erschien auf seinem Gesicht und er trieb Schara’k an. Schnaubend fiel das Pferd in einen sauberen Trab. Trotz der nächtlichen Dunkelheit war jeder Schritt sicher gesetzt; zu oft war er mit Schara‘k diese Wege geritten.
Sydney konnte ihr Glück kaum fassen. Sie stolperte auf die Lichtung und erblickte die Silhouette der Hütte vor sich. Sie rannte los. Ihre einzige Chance war es, die Tür zu erreichen und zu Jack zu gelangen, damit er ihr helfen konnte. Sie hatte zuvor nicht den Eindruck gehabt, dass es ihm gut ging.
Zwanzig Meter trennten sie von ihrer Rettung. Hinter sich hörte sie das Donnern der Hufe. Jeder Atemzug brannte in ihren Lungen und die Angst, es nicht zu schaffen, machte sie schier verrückt.
Zehn Meter.
Fünf.
Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper, der ihr die Luft zum Atmen nahm. Damian zügelte sein Pferd, zog sie bäuchlings vor sich auf den Sattel und ließ Schara’k wenden. Strähnen ihres langen Haares hingen ihr ins Gesicht und mit neuem Entsetzen sah Sydney, wie die Hütte aus ihrem Blickfeld entschwand.
Die Bäume rauschten an ihr vorbei. Der Fremde sprach kein Wort. Geschickt lenkte er das Pferd zwischen die Bäume hindurch. Ganz so, als wüsste er auch blind den Weg.
Sydney war verwirrt. Wer war er? Was wollte er?
Sie richtete den Blick nach vorne, vorbei an dem mächtigen Pferdehals, und der Atem stockte ihr. Was ging hier vor? Der Fremde ritt mit ihr auf den Schleier zu, den sie mit Jack untersucht hatte. Ängstlich kniff sie ihre Augen zu.
Eiseskälte durchströmte ihren Körper und das Pferd zitterte, als wollte es etwas abschütteln. Sie öffnete ihre Augen und sah, dass der Morgen dämmerte. Erste Sonnenstrahlen linsten am Horizont zwischen die Bäume hindurch. Die Luft roch frisch und still lag der Wald vor ihnen. Nebel waberte über den Boden und dämpfte den Hufschlag. Ein Rabe krächzte. Als Sydney einen Blick zurück warf, verblasste der silbrige Schimmer bereits wieder zwischen den Bäumen.
Sie ritten noch etwas weiter, ehe ihr Entführer das Pferd zum Stehen brachte und geschmeidig hinabglitt. Dann griff er nach ihr.
Er strich ihr sanft die Haare aus dem Gesicht und Sydney blickte zu ihm auf.
Sie stand dicht bei ihm und nahm schwach den Geruch von Männerschweiß wahr. Seine Haut war gebräunt und er blickte mit einer Intensität auf sie herab, die Sydney nervös schlucken ließ. Strähnen seines Haares hatten sich aus seinem Zopf gelöst und wehten ihm ins Gesicht. Für einen Sekundenbruchteil verharrte sein Finger an ihrer Wange. Dann, ganz plötzlich, wandte er den Blick ab.
Er zerrte sie zu einem Baum.
„Setzt Euch!“
Seine Stimme, tief und volltönend, ließ sie vor Schreck zusammenfahren. Herrisch und düster, erschreckte der Klang seiner Stimme Sydney bis ins Mark. Ein anderer Teil von ihr erschauerte dagegen angenehm berührt.
Es stand außer Frage, dass ihr Entführer attraktiv war.
Damian drückte sie grob an den Schultern zu Boden und trat um sie herum. Er fesselte sie mit einem Seil an den Baumstamm und löste anschließend die Fesseln an ihren Handgelenken. Das Gefühl des nachlassenden Drucks auf ihre Gelenke war himmlisch und Sydney schloss für einen Augenblick ihre Augen.
Als sie sie wieder aufschlug, war von ihrem Entführer keine Spur zu sehen. Das Pferd zupfte in einiger Entfernung friedlich an einem Grasbüschel.
Sie war allein.
Damian schlich zwischen den Bäumen entlang. Es würde eine längere Heimreise werden, wenn sich seine Zukünftige derart kratzbürstig verhielt. Er erblickte sie von weitem und verharrte eine Sekunde lang im Schatten der Bäume.
Ihre Haare standen zu Berge und eine Spur getrockneten Blutes war an ihrer Wange und am Hals zu erkennen. Damian dachte an ihre Augen. Sie waren grün und von dichten Wimpern umrahmt. Ein faszinierendes Funkeln lag in ihrer Mitte, forderte ihn heraus und stand ganz im Widerspruch mit dem vor geheimer Furcht weit aufgerissenen Blick. Für einen Moment hatte er Mitleid verspürt, als sie vor ihm stand.
Just in dem Moment hatte sich ihr Blick jedoch gewandelt; weniger Schrecken, sondern der Hauch einer wärmeren Empfindung war in ihre Augen getreten. Sogleich hatte er sein Mitleid für sie auf das absolute Minimum reduziert. Sie war selbst schuld, dass er sie grob behandelte. Ihre Gegenwehr war der Grund, dass er sie nicht als die Person behandeln konnte, die sie war: Seine Verlobte.
Nach einer Weile wurde Sydney ungeduldig. Er konnte sie doch nicht einfach an diesem Baum festsetzen. Ärger stieg in ihr auf. Was bildete sich dieser Mensch ein? Offensichtlich hielt ihr Entführer es nicht für nötig bei ihr zu bleiben. Ein Rascheln im Unterholz lenkte Sydneys Aufmerksamkeit auf die Bäume rechts von ihr.
Damian trat zwischen den Bäumen hervor und kam träge auf sie zu. Vor ihr ging er in die Hocke und streckte die Hände nach ihr aus. Seine braunen Augen blickten ihr dabei interessiert ins Gesicht. Er hatte schöne Augen, das musste Sydney ihm lassen.
Sydney, reiß dich zusammen! Er hat dich entführt, Herrgott! ENTFÜHRT! Wage es nicht, an irgendetwas anderes zu denken! Sieh zu, dass du von hier wegkommst und zurück nach Hause findest!
Misstrauisch beäugte sie ihn.
Seine Fingerknöchel berührten sie nur flüchtig, als er den Knebel löste und ihr das Seil aus dem Mund nahm. Verblüfft starrte Sydney ihn an. Was hatte das zu bedeuten? Vorsichtig bewegte sie ihren Kiefer, um die Starre zu lösen.
„Wer zur Hölle sind Sie?“, verlangte sie krächzend zu erfahren.
Damians Mundwinkel fuhren beim Klang ihrer Stimme in die Höhe und ein schiefes Grinsen entstand auf seinem Gesicht.
„Ihr dürft mich Damian nennen, Madame. Ich werde Euch jetzt losbinden, damit Ihr Euch erleichtern könnt.“ Eine stumme Warnung legte sich in seine Züge. „Solltet Ihr versuchen zu fliehen oder um Hilfe rufen, werde ich Euch eingeholt haben, ehe Ihr zwei Schritte getan habt. Habt Ihr das verstanden?“
Sydney warf einen Blick auf das Pferd. Sie konnte sich gut daran erinnern mit welcher Geschicklichkeit Damian es zwischen die Bäume geführt hatte. Langsam nickte sie und Damian löste ihre Fesseln.
Nachdem sie ihrem dringendsten Bedürfnis