Seelenfresserin. Ana Marna

Seelenfresserin - Ana Marna


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„Zweihundertsechsundsiebzig.“

      Er hob die Hand und beschrieb mit ihr den Bogen, den sie auch bei der Hexe gesehen hatte. Sofort flirrte es silbern auf und mit offenem Mund staunte sie die silbernen Fäden an, die von ihr ausgingen und sich überall im Raum verteilten. Sie spürte, dass es ihre Verbindungen mit jeder einzelnen ihrer kleinen Freundinnen waren.

      Der Mann wirkte genauso fasziniert wie sie.

      „Wirklich kaum zu fassen“, murmelte er. „Ich hätte nicht gedacht, so etwas einmal zu sehen. Kannst du dir jetzt denken, was ich meine?“

      Sie nickte. Jedes Mal, wenn sie Kontakt mit ihren Freundinnen aufnahm, würden solche Fäden entstehen. Doch ohne diese Verbindungen wäre sie allein. Einsam und unvollständig. Das würde sie niemals lange aushalten.

      Langsam verblassten die silbernen Fäden, doch sie waren noch da. Nur seine Magie ließ nach, das spürte sie.

      „Warum kannst du hexen, wenn du kein Hexer bist?“, fragte sie wieder. „Wer bist du? Und warum hast du mir geholfen?

      Seine Hand strich wieder sanft über ihren Hals.

      „Meine Magie ist - nun, sagen wir mal eine Anomalie. Eine genetische Verwirrung. Warum ich dir geholfen habe? Ich bin eine sehr neugierige Person, und Spinnenmagie fand ich schon immer faszinierend. Ich muss zugeben, dass die Motivation der Hexen meiner nicht ganz unähnlich ist. Die Gelegenheit, etwas über Spinnenmagie zu erfahren, ist einfach verlockend. Und da du deine Magie noch nicht richtig beherrschst, denke ich, dass ich das Risiko eingehen kann, mich mit dir zu beschäftigen.“

      Wieder stieg Furcht in ihr hoch. Was hatte er mit ihr vor? Er grinste spöttisch, als er die Angst in ihren Augen las.

      „Keine Sorge, Spinnenmädchen. Ich habe nicht vor, dich zu töten, und ich werde dir auch nicht wehtun. Zumindest, wenn es sich vermeiden lässt. Aber das bringt mich wieder zu dem Punkt meines Preises.“

      Ehe sie sich‘s versah, hob er sie hoch und setzte sie auf den nächstbesten Tisch, so dass sie in etwa auf gleicher Höhe mit ihm war.

      „Du weißt vermutlich nicht, was ich bin.“

      „Nein.“

      „Hm, das ist einerseits gut und so sollte es auch sein, andererseits fürchte ich, dass ich dir jetzt eine unangenehme Wahrheit offenbaren muss.“

      Beinahe atemlos wartete sie darauf, dass er fortfuhr.

      „Tatsächlich gibt es auf dieser Welt nicht nur Hexen, sondern auch das eine oder andere Monster. Eines davon bin zufällig ich.“

      Selina schluckte.

      „Du – du siehst aber nicht wie eines aus“, wagte sie anzumerken, woraufhin er zu lachen anfing.

      „Nein, zurzeit nicht, und ich werde vermeiden, dir mein Monsteraussehen zu zeigen. Ich erschrecke ungern kleine Mädchen. Aber wie du vielleicht weißt, kommt es nicht immer auf das Äußere an. Die inneren Werte zählen auch. Und in meinem Fall hängt es ein Stück weit auch von meiner Ernährungsweise ab. Und nun wird es interessant für dich, Spinnenmädchen. Ich habe dich vor den Hexen bewahrt und dafür fordere ich dein Blut.“

      Selina erstarrte vor Schreck. Als sie sich wieder fasste und zurückweichen wollte, stellte sie fest, dass sie sich nicht bewegen konnte. Ihre Glieder waren wie gelähmt und sie hing in seinem Blick fest, wie in einer Fliegenfalle.

      „Wehr dich nicht, kleine Spinne“, lächelte er. „Ich werde vorsichtig sein. Ein bisschen wird es wehtun, doch nur am Anfang. Wenn du willst, kann ich dich dazu bringen, dass es dir gefällt. Möchtest du das?“

      Das Mädchen spürte, wie die Panik in ihm anstieg. So musste sich eine Fliege in einem Spinnennetz fühlen, schoss es ihr durch den Kopf. Hilflos und voller Erwartung auf kommende Schrecken.

      „Nein“, flüsterte sie. „Ich will nichts Falsches in mir.“

      „Tapfere kleine Spinne“, lächelte er und beugte sich vor. Ein angstvolles Keuchen und ein leiser Schmerzlaut entglitten ihr, als seine Zähne durch ihr Fleisch stießen und sich in ihrem Hals verankerten. Seine Hände zogen sie eng an seinen Körper und umfassten sie fest, doch ohne ihr weh zu tun.

      Tatsächlich ließ der Schmerz bald nach und ihre Angst verebbte etwas. Ein seltsames Gefühl entstand in ihr. Da war Furcht, gepaart mit Faszination, und doch fühlte sie sich sicher in diesen unerbittlichen Armen. Er hatte gesagt, dass er sie nicht töten wollte, und sie glaubte ihm.

      Er trank nicht lange. Nach wenigen Schlucken schob er sie wieder von sich und betrachtete sie aufmerksam.

      „Kompliment“, meinte er schließlich. „Du hältst dich tapfer. Ich nehme an, du weißt jetzt, was ich bin.“

      „Ein Vampir“, kam die spontane Antwort. In ihr tobten widersprüchliche Gefühle. Angst, Unglaube und Faszination ließen sie erneut zittern. Aber wenn es Hexen gab und Spinnenmagie, warum nicht auch Vampire?

      „So ist es. Zumindest kommt es dem landläufig bekannten Vampir sehr nahe.“

      „Werde ich jetzt auch einer?“

      Er grinste leicht. „Würde dir das gefallen?“

      „Nein!“

      Das kam sehr bestimmt und ließ sein Grinsen breiter werden.

      „Ich kann dich beruhigen. Du bist ein Spinnenmädchen und ich bin ein Vampir. Und so wird es auch bleiben. Doch jetzt komm. Ich zeige dir, wo du etwas zu essen und zu trinken findest. Später reden wir darüber, wie es mit dir weiter geht.“

      Er führte sie durch den Raum zu einer normal hohen Tür. Neugierig folgte sie ihm. Die Angst schob sie bewusst in den Hintergrund. Sein Biss hatte zwar wehgetan, doch ansonsten schien ihr nichts zu fehlen. Als sie vorsichtig an ihren Hals langte, stellte sie fest, dass die beiden Bissmale bereits verschorften.

      Es war ein seltsamer Ort, an den er sie gebracht hatte. Es gab keine Fenster, nur warmes Licht aus den unterschiedlichsten Lampen und Gegenständen erhellte die Zimmer und Korridore, die sie durchschritten. Auch einige Kerzen erspähte sie, doch diese waren nicht angezündet.

      Schließlich landeten sie in einer großen Küche. Diese war modern eingerichtet, mit Herd, Backofen und Kühlschrank. Sogar eine Spülmaschine war vorhanden.

      Staunend sah sie sich um.

      „Wozu kochen Vampire?“, fragte sie.

      Wieder lachte er.

      „Das tue ich nicht. Aber manchmal habe ich Gäste und diese teilen in den seltensten Fällen meine Vorlieben. Ich hoffe, du findest hier alles, was du brauchst. Lass dir Zeit. Wenn du fertig bist, komm wieder in die Bibliothek!“

      Damit ließ er sie allein.

      Selina stand mitten in der Küche und fragte sich ernsthaft, ob sie das Ganze nicht doch träumte. Doch dann setzte sie sich in Bewegung. Sie hatte tatsächlich Hunger – und noch viel mehr Durst. Besser sie stillte ihre Begierden jetzt. Die nächste Gelegenheit konnte lange auf sich warten lassen.

      Eine Stunde später stand sie wieder in dem großen Büchersaal.

      Der Vampir erwartete sie bereits.

      Entschlossen stellte sie sich vor ihn hin.

      „Ich heiße Selina. Selina Serra“, verkündete sie.

      Er nickte amüsiert.

      „Ja, ich weiß.“

      „Warum nennst du mich dann immer Spinnenmädchen?“

      „Namen sind Schall und Rauch. Spinnenmädchen trifft dein Wesen eher.“

      „Soll ich dich dann Vampir nennen?“

      Er lachte leise auf.

      „Nenn mich, wie du willst. Ich hatte schon viele Namen und einer ist so gut wie der andere. Doch ich vermute mal, dass es dir angenehmer ist, wenn du einen Namen genannt bekommst.“

      Sie


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